Bochum. Dieses Jahr dürfen Mira und Emilia zum ersten Mal wählen. Die Bochumerinnen haben klare Vorstellungen, ihre vier Wünsche für Europa und die Wahl.

Anfang Juni dürfen Emilia Testa (17) und Mira Harkous (18), Abiturientinnen an der Willy-Brandt-Gesamtschule, zum ersten Mal an die Wahlurne treten und bei der Europa-Wahl ihre Stimme abgeben. Für Europa und die Zukunft haben sie klare Wünsche: Sicherheit, soziale Gerechtigkeit und mehr Toleranz, Gleichberechtigung.

Mehr zum Thema

„Deutschland und Europa sind, was das angeht, nicht so weit, wie sie es sagen“, meint Mira. Es würde noch immer an zu vielen Stellen unterschieden zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. „Ich habe eine Freundin, die ein Kopftuch trägt und Angst hat, auf der Straße rumzulaufen, weil sie ein Kopftuch trägt.“

Bochumer Schülerinnen wünschen sich ein Europa ohne Angst

Sowas dürfe nicht länger passieren. „Junge Menschen dürfen keine Angst vor ihrer Zukunft haben.“ Mira und auch Mitschülerin Emilia wünschen sich, dass das auch die älteren Menschen das bedenken, wenn sie bei der Europawahl ihr Kreuzchen setzen. „Man muss sich informieren“, sagt Emilia, auch mit Blick auf die AfD. „Wir brauchen mehr Toleranz. Wir haben viel, aber das reicht nicht. Ich wünsche mir eine Regierung, die Probleme löst“, verdeutlicht Emilia. Manche ihrer Freundinnen und Freunde hätten das Vertrauen in Politik bereits verloren.

Erstmalig dürfen die beiden Bochumerinnen in diesem Sommer wählen und werden das auch tun. „Durch das Wahlrecht ab 16 Jahren werden uns viele neue Türen offenstehen“, hofft Mira. Doch Emilia macht auch deutlich: „Viele kennen sich im Bereich Wahlen und Politik gar nicht so aus, viele Jugendliche wissen gar nicht so genau, was sie wählen sollen.“ Zwar würde in Schulen über Politik informiert, aber nicht genug. „Ich wusste sehr lange nicht, welche Partei ich wählen würde, wenn ich wählen dürfte“, meint Emilia.

Bochumer veröffentlicht „Junge Ruhrpott-Agenda für Europa“

Doch was denken junge Menschen generell über Europa? Was wünschen sie sich? Um das herauszufinden, hat Bochumer Milad Tabesch (27) fünf Monate lang verschiedene Schulklassen im Ruhrgebiet besucht und die Initiative „Ruhrpott für Europa“ gegründet.

Milad Tabesch aus Bochum hat die Initiative „Ruhrpott für Europa“ gegründet.
Milad Tabesch aus Bochum hat die Initiative „Ruhrpott für Europa“ gegründet. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

200 Schülerinnen und Schüler haben 26 Fragen anonym beantwortet und einen Einblick in ihre Wünsche und Ideen gegeben. Etwa die Hälfte davon ist zwischen 14 und 16 Jahren alt. Besonders wichtig sind den jungen Menschen Gerechtigkeit, die Sicherung der Menschenrechte und Demokratie in der EU sowie Bildung und Chancengleichheit. Gleichzeitig solle die EU die Sorgen der Menschen ernster nehmen und junge Menschen in Politikentscheidungen mehr einbeziehen.

Was mögen junge Menschen im Ruhrgebiet an Europa? Was läuft schlecht?

Viele der Befragten empfinden eher eine lokale als eine nationale oder europäische Verbundenheit. „Auch wenn Europa nicht die wichtigste Identität darstellt, so besteht trotzdem ein ausgeprägtes Zugehörigkeitsgefühl“, lautet ein Ergebnis, das Milad Tabesch in der „Jungen Ruhrpott-Agenda für Europa“ zusammengestellt hat.

Diese Texte haben viele Menschen interessiert

Auf gut 30 bunt gestalteten Seiten kommen junge Menschen, viele davon mit Migrationshintergrund, zu Wort und erklären zum Beispiel, was sie an Europa mögen – und was besser laufen muss. Fast alle Schülerinnen und Schüler finden demnach die Zukunft Europas wichtig oder sehr wichtig, sie blicken jedoch eher zurückhaltend auf die Zukunft.

Mira Harkous und Emilia Testa haben klare Wünsche, was die Zukunft von Europa angeht.
Mira Harkous und Emilia Testa haben klare Wünsche, was die Zukunft von Europa angeht. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Fragt man Emilia und Mira, womit sie sich am ehestens identifizieren, ist nicht Europäerinnen die Antwort – und auch nicht Deutsche. „Eher als Bochumerin“, finden die beiden. Nichtsdestotrotz, die Vorzüge von Europa schätzen die beiden. Dass man Grenzen einfach überschreiten kann, es eine einheitliche Währung gibt – das sei nicht selbstverständlich.

Mehr Europa im Schulalltag

Initiator Milad Tabesch erklärt: „Diejenigen, die die wählen gehen wollen, sind die, die sich eher europäisch fühlen.“ Daran habe er abgeleitet, dass es die Berührungspunkte zum Thema Europa braucht. „Durch Austausche oder im Schulalltag. Man bekommt so mehr ein Gefühl für den Kontinent.“

+++ Wollen Sie keine Nachrichten mehr aus Bochum verpassen? Dann abonnieren Sie hier unseren kostenlosen Newsletter! +++

Die Agenda für Europa steht. Aber wie geht es nun weiter? Bereits im Januar hat in der Jahrhunderthalle eine Veranstaltung stattgefunden, bei der die Ergebnisse präsentiert wurden. Vor Ort waren einige Mitglieder des Europaparlaments, das vom 6. bis 9. Juni neu gewählt wird.

Europabus-Tour und Kooperation mit Landeszentrale für politische Bildung

Milad Tabesch sagt: „Jetzt beginnt die richtige Arbeit.“ Die Agenda sei publiziert, nun gehe es darum, sie bekannter zu machen. Mittlerweile würden auch Politikerinnen und Politiker auf Tabesch und die Initiative zukommen und fragen: Wie kann ich meine Stimme bei euch bekräftigen? Bei einer Europabus-Tour soll die Agenda vorgestellt werden, zudem gibt es eine Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung.

Mehr Informationen über „Ruhrpott für Europa“ und die Agenda gibt es hier: ruhrpott-europa.org.