Bochum. Bochum steht auf gegen Rechtsextremismus. Erst sind 13.000 Menschen auf die Straße gegangen. Jetzt positionieren sich auch Firmen und Verbände.

Wie ein Befreiungsschlag wirkte die Demonstration von 13.000 Bochumerinnen und Bochumern gegen die Alternative für Deutschland (AfD), gegen Rechtsextremismus und für Vielfalt am vergangenen Freitag. Der Tenor war eindeutig: „Es wird Zeit, dass wir aufstehen.“ Auch Wirtschaftsverbände und Unternehmen aus Bochum positionieren sich nun klar und deutlich.

Regionalverbände sehen Ruhrgebietsfirmen in der Pflicht

„Das Ruhrgebiet wäre ohne die zahllosen Menschen mit Migrationshintergrund nicht das, was es heute ist: ein Ort, an dem Menschen unterschiedlichster Herkunft friedlich zusammenleben und arbeiten“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Industrie- und Handelskammer (IHK) Mittleres Ruhrgebiet, der Arbeitgeberverbände (AGV) Ruhr und der Kreishandwerkerschaft. Deshalb seien Ruhrgebiets-Unternehmen in besonderem Maße verpflichtet, sich einzumischen und klar Stellung zu beziehen gegen jegliche Form von Fremdenfeindlichkeit und Extremismus. „Je mehr sich beteiligen, desto besser“, sagt Johannes Motz, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft.

„Hassrede, Rechtspopulismus und Diskriminierung haben bei uns und unseren Mitgliedern keinen Platz. Unsere Werte heißen stattdessen Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte“, so AGV-Hauptgeschäftsführer Dirk W. Erlhöfer. „Wir setzen auf Weltoffenheit, Toleranz und Miteinander. Deshalb lehnen wir jede Form von Rassismus, Extremismus und Spaltung unserer Gesellschaft auf das Schärfste ab.“ Entsetzen herrscht bei den Wirtschaftsverbänden vor allem über die in rechtsextremen Kreisen diskutierten Pläne, Millionen Menschen des Landes zu verweisen: „Wer so etwas auch nur denkt, hat aus der Geschichte unseres Landes nicht gelernt“, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Michael Bergmann.

Handelshaus beschäftigt Menschen aus 36 Nationen

Die Botschaft von IHK, AGV und Handwerkerschaft ist klar: Extremistische Tendenzen gefährden den gesellschaftlichen Zusammenhalt und sind eine Bedrohung für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Nationalismus, EU-Feindlichkeit und Abschottung vernichten Arbeitsplätze. „Dabei brauchen wir ausländische Arbeits- und Fachkräfte, damit unsere Wirtschaft und unser Land eine Zukunft haben.“

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Beim Bochumer Handelshaus Picard wissen sie ganz genau, was damit gemeint ist. „Es ist eine Tatsache, dass unser Unternehmen ohne Vielfalt und ohne die Bereicherung durch die Menschen, die mit einer internationalen Geschichte zu uns kommen und zusammen mit uns leben und wirken, nie dort wäre, wo wir heute sind“, sagt Geschäftsführer Hans-Martin Reinhardt. Die mehr als 280 Beschäftigten seiner Firma kommen aus 36 Nationen, das 1922 gegründete Unternehmen beliefert den Fachhandel u.a. mit Wälzlagern. Im Jahr 2021 lag der Jahresumsatz bei 136,1 Millionen Euro.

Picard-Geschäftsführer lehnt AfD ab

Gleichwohl geht das Bekenntnis Reinhardts für Vielfalt, Toleranz und Weltoffenheit über die wirtschaftlichen Aspekte hinaus. Es gehe nicht nur darum, den Wohlstand zu sichern, sondern darum, Raum zu schaffen, „in dem wir alle gerne leben und arbeiten wollen, wenn wir mit dem gleichen Grundverständnis, dem gleichen Respekt voreinander und der gleichen Toleranz ans Werk gehen“. Als Unternehmung habe Picard eine gesellschaftliche Verantwortung für die Beschäftigten, den Standort und die Stadt. Auch als Privatperson positioniert sich Reinhardt deutlich: „Ich lehne die Partei AfD komplett ab und sehe es mit Bedenken, wie unsere Gesellschaft auseinander differenziert wird.“

Appell: Vielfalt ist nicht nur für Firmen wichtig

Sorgen macht sich auch Andreas Kremer, Gründer und Geschäftsführer des Callcenter-Dienstleisters KiKxxl, der seit Ende 2016 einen seiner sechs deutschen Standorte im Bochumer Jahrhunderthaus betreibt und dessen Unternehmen im Geschäftsjahr 2021/22 einen Jahresumsatz von beinahe 91 Millionen Euro erzielt hat. 300 Beschäftigte aus 42 Nationen arbeiten allein in Bochum. „In unserer Belegschaft spiegelt sich die facettenreiche Gesellschaft wider, die uns umgibt. Die Diversität der Menschen, mit denen wir bei unserer Dienstleistung tagtäglich im Dialog stehen. Wir sind fest davon überzeugt, dass diese Vielfalt nicht nur für KiKxxl, sondern auch darüber hinaus von großer Bedeutung ist.“

In einem offenen Brief seines Hauses heißt es: „Wir sagen Nein zu Rechtsextremismus und Diskriminierung, denn wir sind stolz darauf, ein buntes und vielfältiges Team aus 42 Nationen zu sein. Kikxxl fordert seine Mitarbeitenden, Geschäftspartner, Kunden und „die breite Gesellschaft“ auf, vereint für Demokratie einzutreten.

„Multikulti“ ist ein Kennzeichen des Ruhrgebiets

Beim Bochumer Elektromotorenwerk Wilhelm Vogelsang (Jahresumsatz 2021: 45 Millionen Euro) arbeiten mehr als 320 Beschäftigte. „Und mehr als 30 Prozent haben einen Migrationshintergrund“, so Mitinhaber und Geschäftsführer Christian Vogelsang. Multikulti sei spätestens seit den 1960er Jahren ein Kennzeichen des Ruhrgebiets, Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft leben und arbeiten neben- und miteinander. So hatte sich unlängst auch Vonovia-Vorstandsvorsitzender Rolf Buch geäußert: „Wenn alle Menschen mit Migrationshintergrund das Ruhrgebiet verlassen würden, wäre es leer und sehr einsam bei uns.“ Und: „Es ist verrückt: Wir betreiben einen enormen Aufwand, um Fachkräfte aus Kolumbien für uns zu gewinnen, damit sie hier in Deutschland arbeiten können. Und da gibt es Menschen, die unsere Fachkräfte wieder wegschicken wollen, weil sie oder ihre Eltern nicht in Deutschland geboren wurden. Das darf nicht sein.“

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Forderung an die Politik: Weniger Bürokratie, mehr Transparenz

„Fremdenhass ist mir fremd“, sagt derweil Unternehmer Christian Vogelsang. Auch aus seiner Sicht ist es wichtig, „aufzustehen und ein Zeichen zu setzen. Wenn wir Leute aus dem Ausland gewinnen wollen, die produktiver Teil der Gesellschaft sein sollen, dann müssen sie sich auch willkommen fühlen“. Er fordert daher von der Politik, bürokratische Hürden abzubauen, „damit jeder für seinen Lebensunterhalt sorgen könne“. Das fördere die Akzeptanz.

Auch IHK, AGV und Kreishandwerkerschaft haben Forderungen an die Politik. Sie müsse Entscheidungsprozesse wieder transparenter gestalten und gleichzeitig langfristig denken. Politik müsse künftig wieder mehr erklären und sich nicht im Klein-Klein parteipolitischer Kompromisse verlieren.