Bochum. Ein Gewaltexzess nach einem Bezirksliga-Spiel in Bochum endete vor Gericht – und mit einem Urteil. Das Opfer schilderte schockierende Details.

„Ich habe mein Glaubensbekenntnis gesprochen“, sagt der Schiedsrichter (28) im Gerichtssaal. Nach dem Ende der Bezirksliga-Partie zwischen dem SV Phönix und dem CF Kurdistan Bochum (CFK) am 22. Oktober 2022 wurde der Student von Spielern, Zuschauern und Offiziellen der Gäste bedrängt, attackiert und lebensbedrohlich verletzt. Er dachte, er würde sterben.

Zwei Ex-Funktionäre des CF Kurdistan (36 und 60 Jahre alt), einer davon der ehemalige Trainer Meyhaddin Tammo, wurden dafür nun vor dem Amtsgericht Bochum zu Bewährungsstrafen verurteilt. Ins Gefängnis müssen sie nicht.

Schockierend war, was der Schiedsrichter eindrücklich beschrieb und die beiden Angeklagten im Großen und Ganzen einräumten. Durch einen Strafstoß kurz vor Schluss glich der SV Phönix im Spiel gegen CFK zum 1:1 aus. Nach dem Spiel sei der CFK-Torwart auf ihn zugekommen, erklärt der Schiedsrichter, habe ihn als „Nazi“ beleidigt, er sei den Deutschen „in den Arsch gekrochen“. Daraufhin habe er ihm die Gelb-Rote Karte gezeigt, was der Auslöser für die Eskalation war.

Schiedsrichter brutal zusammengeschlagen – mit Schuhen gegen den Kopf getreten

Der Schiedsrichter wich vor einer vom Trainer angeführten Menschentraube zurück. Der Trainer habe mit den Armen gefuchtelt und ihn und seine Familie auf Arabisch verflucht. Dafür zeigte der Schiedsrichter die Rote Karte – der 60-Jährige schubste ihn.

Im Zurückweichen trat ihn ein Dritter von hinten zu Boden, während ein anderer Funktionär (36) ihm mit der Handkante ins Gesicht und die Pfeife aus dem Mund schlug. Der Schiedsrichter sei auf die Knie gegangen, dann zu Boden, wurde von weiteren Personen „mit Anlauf“ mit Fußballschuhen gegen Kopf und Körper getreten und verlor das Bewusstsein.

Die Gewalttäter brachen ihm Jochbein, Nasenbein und eine Rippe – der 28-Jährige hätte an den Folgen sterben können, erklärte der Gutachter des Gerichts. Wer im Einzelnen trat und welche Verletzung verursachte, ist unklar.

Verfahren vor dem Schöffengericht war schockierend und frustrierend

Am Mittwoch sprach das Schöffengericht die beiden Männer der gefährlichen Körperverletzung schuldig, die den Gewaltexzess mit auslösten. Die Freiheitsstrafen von neun Monaten und einem Jahr wurden zur Bewährung ausgesetzt nach einem nicht nur schockierenden, sondern auch frustrierenden Verfahren: Der mutmaßliche Haupttäter wurde nicht ermittelt, unklar ist auch, wie viele Leute mitgemacht haben.

Die Angeklagten mit ihren Verteidigern Christoph Pindur (links) und Ilhan Kavak (rechts) sowie einem Dolmetscher vor Gericht.
Die Angeklagten mit ihren Verteidigern Christoph Pindur (links) und Ilhan Kavak (rechts) sowie einem Dolmetscher vor Gericht. © WAZ | Philipp Ziser

Frustrierend waren die rund zweieinhalb Stunden der Hauptverhandlung: Während der 36-jährige Angeklagte ein grundsätzliches Geständnis ablegte und sich beim Schiedsrichter entschuldigte, wollte der 60-Jährige sich erst nicht äußern, stritt dann ab, den Schiedsrichter überhaupt berührt zu haben, behauptete, er habe beschwichtigt – um dann später doch noch die Vorwürfe im Großen und Ganzen einzuräumen.

Richter nennt angeklagten Ex-Trainer „dreist“

„Dreist“ fand der Vorsitzende Richter Axel Deutscher den Auftritt des Ex-Trainers, sprach davon, das sei die „letzte Ausfahrt“ gewesen. So konnte das Gericht auf weitere Zeugenaussagen verzichten, die für den 60-Jährigen eine wohl deutlich härtere Strafe bedeutet hätten. „Eindeutig“, fand der Richter die Sachlage. Aber er musste auch feststellen: „Der Hauptverursacher ist sicher nicht hier“, meinte er in Anspielung auf den Dritten, der den Schiedsrichter von hinten getreten hatte.

Der 36-jährige Angeklagte wurde zu neun Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Der Vater von zwei Kindern ist seit acht Jahren in Deutschland, seitdem nicht auffällig geworden. Er hatte sich bereits vor dem Sportgericht beim Schiedsrichter entschuldigt, der hatte die Entschuldigung angenommen. (Lesen Sie hier Details zur Verhandlung vor dem Sportgericht)

Der 60-jährige ehemalige Trainer dagegen bekam ein Jahr auf Bewährung. Auch er wurde bereits vom Sportgericht bestraft, für acht Monate gesperrt. Die Salamitaktik und das eher taktisch motivierte Geständnis ohne erkennbare Reue und die arg späte Entschuldigung, die der Schiedsrichter nicht annahm, wurden ihm zur Last gelegt.

Verein hat sich von Angeklagten getrennt – Schiedsrichter pfeift wieder

In der aufgeheizten Atmosphäre sei die Tat eine Spontanhandlung, nicht gezielt gewesen. Der 60-Jährige allerdings sei als Rädelsführer aufgetreten, obwohl er in seiner Funktion als Trainer deeskalierend hätte wirken müssen. „Das wäre Ihre Pflicht gewesen“, so der Richter, der auf weitere Bewährungsauflagen verzichtete – die beiden Verurteilten sind Kriegsflüchtlinge aus Syrien und haben sich seit 2015 in Deutschland nichts zu Schulden kommen lassen. Allerdings: Sollten sie erneut auffallen, droht ihnen das Gefängnis.

Die Angeklagten haben das Urteil akzeptiert. Der Verein CF Kurdistan hatte sich nach den Vorwürfen von den beiden getrennt. Der 28-Jährige ist inzwischen wieder als Schiedsrichter aktiv.“

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