Bochum. Bei der Staatsanwaltschaft Bochum laufen immer mehr Verfahren auf. Es wird befürchtet, gute Nachwuchskräfte an die Privatwirtschaft zu verlieren.

Bei der Staatsanwaltschaft Bochum wachsen die Aktenberge. Nachdem vor kurzem der Deutsche Richterbund, bei dem auch die Staatsanwälte organisiert sind, Alarm geschlagen hat, äußert sich nun auf WAZ-Anfrage auch Richter Michael Rehaag vom der Bochumer Bezirksgruppe des Richterbundes. Die Arbeitsbelastung in der Anklagebehörde sei „deutlich höher“ als beim Landgericht und führe „nicht selten dazu, dass junge Kolleginnen und Kollegen kurz nach der Einstellung den Dienst wieder quittieren“.

Der Deutsche Richterbund habe die Befürchtung, dass die Personalausstattung der Justiz insgesamt in Zukunft schlechter werden werde, erklärt Rehaag. „Bereits heute hat die Justiz nicht unerhebliche Probleme bei der Nachwuchsgewinnung. Einem weiterhin hohen Einstellungsbedarf steht ein Rückgang bei der Anzahl der Bewerberinnen und Bewerber gegenüber.“

Richterbund beklagt „Gehaltsschere“ zwischen öffentlichem Dienst und Privatwirtschaft

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Viele gut qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber würden sich schon heute eher für eine Tätigkeit in Anwaltskanzleien entscheiden, vor allem, weil diese in der Regel deutlich besser bezahlt seien als die Tätigkeit in der Justiz. Der Abstand zwischen der Besoldung in der Justiz und in der Privatwirtschaft – insbesondere den Großkanzleien – habe sich in den letzten Jahren „deutlich vergrößert“. Rehaag spricht von einer „Gehaltsschere“ zwischen dem öffentlichen Dienst und der Privatwirtschaft.

Wie der Bochumer Oberstaatsanwalt Jan Oelbermann der WAZ mitteilte, ist die Anzahl der Ermittlungsverfahren zuletzt deutlich angestiegen. Im Jahr 2020 wurden 59.553 Verfahren gegen namentlich bekannte Beschuldigte neu eingeleitet, im Jahr 2021 waren es 61.675 und im vorigen Jahr 63.116.

Oberstaatsanwalt: „Personelle Lage in einzelnen Dienstsparten besonders angespannt“

Bei der Staatsanwaltschaft (inklusive der Schwerpunktabteilung für Wirtschaftskriminalität und Korruption, Organisierte Kriminalität und Vermögensabschöpfung) arbeiten 88 (Ober-)Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Hinzu kommen 18 Amtsanwältinnen und Amtsanwälte (für kleinere Strafsachen) sowie gut 150 weitere Beschäftigte (Rechtspfleger, Wachtmeister, Beamte des mittleren Justizdienstes etc.).

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Wie Oelbermann sagt, habe sich zuletzt die Anzahl der Mitarbeitenden und die damit verbundenen Arbeitskraftanteile zwar erhöht, aber: „Wegen vermehrter krankheitsbedingter – auch längerfristiger – Ausfälle ist die personelle Lage dennoch in einzelnen Dienstsparten besonders angespannt.“

Eine starke Belastung führt vereinzelt auch zu einer gewaltigen zeitlichen Ausdehnung der Ermittlungsverfahren. Beispiel: Schon seit rund vier Jahren ermittelt die Behörde zu einem mutmaßlichen Abrechnungsbetrug in einem Bochumer Pflegedienst. Die Ermittlungen stehen nach WAZ-Informationen jetzt aber kurz vor dem Abschluss.

Beim Amtsgericht Bochum fehlt Personal in den Geschäftsstellen

Beim Amtsgericht wird in diesem Jahr mit einem deutlichen Anstieg der Neueingänge von Strafsachen gerechnet. Die bis zum Sommer vorliegenden Fälle hochgerechnet, kommt man auf rund 6200 Neuverfahren. Im Jahr 2022 gab es 4630 Strafsachen. Dies habe aber auch mit der Corona-Krise zu tun, erläutert Amtsgerichtsdirektor Oliver Hoffmann. Vor der Pandemie seien die Fallzahlen ungefähr so hoch wie jetzt wieder gewesen. Man kehre im Prinzip zu der Zeit vor Corona zurück. Die Verfahrensdauer in Einzelstrafsachen betrage etwa fünf Monate.

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Mit 20 Stellen im strafrichterlichen Bereich sei man, sagt Hoffmann, „eigentlich ganz gut besetzt“. Das könne man aber nicht für den Servicebereich behaupten, die Geschäftsstellen, wo unter anderem die Akten verwaltet werden. „Da sind wir alle stark belastet.“ 35 Menschen arbeiten zurzeit dort, nicht alle in Vollzeit.

Teilweise sind es laut Hoffmann auch neue Gesetze, die die Arbeitsbelastung steigern: etwa die deutliche Strafverschärfung im Bereich des Besitzes von Kinderpornografie, ein neuer Geldwäsche-Paragraf sowie der vielfache Missbrauch von staatlichen Sonderhilfen für Kleinunternehmer wegen der Corona-Krise. Wie Oberstaatsanwalt Oelbermann sagt, löse beispielsweise auch die Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung „teilweise erheblichen, nicht näher quantifizierbaren Mehraufwand aus“.

Beim Landgericht Bochum ist die Personalsituation besser als bei der Anklagebehörde

Für diese Städte ist die Bochumer Strafjustiz zuständig

Die Bochumer Staatsanwaltschaft im Justizzentrum am Ostring behandelt nicht nur Fälle aus Bochum. Sie ist auch zuständig für Herne, Witten und die größten Teile des Kreises Recklinghausen (Recklinghausen, Datteln, Herten, Waltrop, Oer-Erkenschwick).

Obwohl die Anzahl der neu eingeleiteten Verfahren konstant steigt, wurden zuletzt immer weniger Anklagen erhoben: 7716 waren es im Jahr 2020, 7448 im Jahr 2021 und 6821 im Jahr 2022.

Auch die Anzahl der beantragten Strafbefehle (Verurteilungen im rein schriftlichen Verfahren ohne Prozess) sank: von 6036 im Jahr 2021 auf 5461 im Jahr 2022.

Beim Landgericht (LG) sieht die Situation besser aus als bei der Staatsanwaltschaft. Von den dem LG Bochum zustehenden 88 Planstellen sind laut Richter Rehaag aktuell 84 besetzt. Probleme entstünden allerdings immer wieder dadurch, dass kurzfristig Kolleginnen und Kollegen aufgrund verschiedener Umstände nicht zur Verfügung stünden bzw. abgezogen würden. Gründe: Schwangerschaften, Mutterschutz, Elternzeit, Abordnungen an andere Gerichte und Behörden.

Die Anzahl der neuen Strafverfahren, die im vorigen Jahr beim Landgericht eingingen, betrug 385. Das sind 48 weniger als im Jahr 2021. Auffällig sind aber die Daten bei den Wirtschaftsstrafsachen: Obwohl die Anzahl der Neueingänge seit einigen Jahren deutlich sinkt, dauerten die Hauptverfahren zuletzt deutlich länger – im vorigen Jahr im Schnitt 16,7 Monate. Grund: Die Fälle werden immer komplexer und sind schwerer aufzuklären.