Bochum. Großer Beifall und lange Gesichter halten sich beim Spielzeitauftakt im Schauspielhaus Bochum die Waage. Ein Klassiker sorgt für Kontroversen.

Großer Jubel und lange Gesichter: Die Reaktionen des Publikums auf den Spielzeitstart des Schauspielhauses Bochum sind gemischt. Auf ungeteilte Sympathie stößt die zauberhafte Einrichtung von „Früchte der Vernunft“ am Freitagabend in den bestens gefüllten Kammerspielen. Dagegen sorgt „Dantons Tod“ tags drauf im längst nicht voll besetzten großen Haus für gespaltene Lager: Die einen jubeln über den Erfindergeist von Regisseur Robert Borgmann lautstark, die anderen applaudieren am liebsten gar nicht.

Schauspielhaus Bochum startet in die neue Spielzeit

Etwas erschlagen verlässt man am Ende das Schauspielhaus. Die ewig gültige Botschaft von Idealismus und dem Streben nach Freiheit, die in Büchners unverwüstlichem Klassiker steckt, hat Borgmann seinem Publikum in zwei langen Theaterstunden förmlich eingehämmert, dabei dummerweise bloß oft das kluge Stück aus den Augen verloren.

Düstere Bilder findet Regisseur Robert Borgmann für seine Einrichtung von Georg Büchners „Dantons Tod“ im Schauspielhaus Bochum. Mit dabei (von links): Risto Kübar, Marius Huth und William Cooper.
Düstere Bilder findet Regisseur Robert Borgmann für seine Einrichtung von Georg Büchners „Dantons Tod“ im Schauspielhaus Bochum. Mit dabei (von links): Risto Kübar, Marius Huth und William Cooper. © Schaupielhaus Bochum | JU Bochum

Was haben ein Storch, eine tickende Eieruhr und ein schreiendes Baby im Wandschrank gemeinsam? Sie alle sind Teil des neuen Stücks „Früchte der Vernunft“ der finnischen Autorin und Regisseurin Saara Turunen, die sich damit, zwei Jahre nach „Das Gespenst der Normalität“ in den Kammerspielen zurückmeldet. Wer den Erstling gesehen hat, wird vieles wiedererkennen: die wortkargen Figuren, die vielen kleinen Szenen, die wie von Geisterhand ineinanderlaufen, der beschwingte Soundteppich – und vor allem die in matten Beigetönen gehaltene Bühne.

Ensemble zeigt überbordende Situationskomik

Was „Früchte der Vernunft“ vom Vorgänger indes unterscheidet: Der Abend ist wesentlich schwungvoller, lustiger und weitaus leichter zugänglich. Die vielen Geschichten, die sich auf der Bühne kreuzen, sind besser auseinanderzuhalten. Das fünfköpfige Ensemble schultert die teils überbordende Situationskomik mit gehöriger Raffinesse. Als leichtfüßige Tragikomödie, die läuft wie ein Schweizer Uhrwerk, macht „Früchte der Vernunft“ beim Zuschauen einfach Spaß, auch wenn das Lachen gelegentlich im Halse stecken bleibt.

Schauspielhaus schafft gedruckte Programmhefte ab

Zu Beginn der neuen Spielzeit wartet das Schauspielhaus mit einer Überraschung auf: Die Programmhefte sind abgeschafft. Über Jahrzehnte konnte man sie mit Fotos und Hintergrundinfos im Foyer kaufen.

Stattdessen bekommen die Theatergänger Zettel kostenlos ausgehändigt. Ein QR-Code führt zum „BO-Book“, dem digitalen Programmheft, das man auch auf der Webseite des Schauspielhauses findet.

Vor allem aus Gründen der Nachhaltigkeit, so das Theater, habe man sich dazu entschieden. Schade natürlich für all jene, die die Programmhefte gern als Erinnerungsstücke im Bücherregal aufbewahrten.

Saara Turunens Helden sind ganz normale Menschen aus der Mittelschicht mit ihren Sorgen und Nöten. Sie sind etwas bieder, meist ziemlich langsam und grundsympathisch obendrein. So wie die kinderlose Frau, die sich nichts im Leben sehnlicher wünscht als ein Baby, und dafür mitten in der Kirche den Kreischanfall eines Kleinkindes hinlegt. Anna Drexler gibt ihrem Mauerblümchen eine anrührende Schüchternheit, die gelegentlich frösteln lässt. Oder die ältere Mutter (Veronika Nickl), die umständlich ausrechnet, was die Kleidung ihrer viel zu groß geratenen Tochter (super: Lukas von der Lühe) wohl gekostet hat, damit sie endlich mal jemand zum Tanzen ausführt: „2900 Euro!“

Kurze Szenen ohne viel Text

Da wäre die junge Frau, die herausfindet, dass ihr Mann sich heimlich an Sexfilmen im Internet ergötzt. Welchen Schluss sie daraus zieht, zeigt Jing Xiang in einem unnachahmlichen Solo. Oder der Pfarrer (Michael Lippold), der erst seelenruhig auf einer Beerdigung steht, nur um die einsam Trauernde, dann mit einer hektischen Handbewegung nach Hause zu schicken. Die kurzen Szenen, die ohne viel Text auskommen, sind wunderbar gebaut und tragen die knapp 100 Minuten Spieldauer mit Leichtigkeit.