Bochum. „Das neue Leben“ reißt das Publikum im Schauspielhaus von den Sitzen. „Das Gespenst der Normalität“ zeigt entschleunigte Alltagsgeschichten.

Mit großen Erwartungen ist das Schauspielhaus am Wochenende in die neue Spielzeit gestartet. Es ist die dritte während der Intendanz von Johan Simons, die hoffentlich ganz anders verläuft als die vorherige, als die Pandemie einen normalen Spielbetrieb kaum zuließ. Doch jetzt strömen die Menschen wieder halbwegs optimistisch in Richtung Theater.

Die Impf- und Testnachweise werden am Eingang genau kontrolliert, wegen der Corona-Auflagen finden weiterhin nur wenige Zuschauerinnen und Zuschauer überhaupt Einlass. Dafür klingt der begeisterte Schlussapplaus bei der Premiere von „Das neue Leben“ im Großen Haus beinahe schon wieder so, als wäre der Saal voll besetzt.

Premieren im Oktober

Nach der langen Corona-Pause dreht sich das Bühnen-Karussell im Schauspielhaus munter weiter. Allein im Oktober sind fünf Premieren angekündigt: darunter „Der Kissenmann“ am 15. Oktober und „Ödipus, Herrscher“ von Johan Simons am 17. Oktober.

Gespannt sein darf man auf die erste Arbeit von Oliver Frljić in Bochum: Der kroatische Regisseur inszeniert „Schande (Discgrace)“ (30. Oktober).

Neue Künstler beim Saisonstart am Schauspielhaus Bochum

Interessant zu beobachten ist, dass zum Saisonstart neue künstlerische Stimmen im Schauspielhaus Einzug gehalten haben. Während der Spielplan in den Jahren zuvor deutlich von den Arbeiten seines Intendanten dominiert war, melden sich jetzt spannende junge Theatermacher zu Wort.

Die größte Neugierde gilt Christopher Rüping: Der 36-Jährige gilt als „der“ Shooting-Star der deutschsprachigen Theaterszene und räumt eine Auszeichnung nach der nächsten ab. Für sein Bochumer Debüt mischt der Hausregisseur am Schauspielhaus Zürich so unerschrocken wie experimentierfreudig den uralten Text „Das neue Leben“ von Dante Alighieri mit bittersüßen Liebesliedern von Britney Spears bis Whitney Houston. Dass diese niemals aufdringlich rüberkommen, liegt vor allem an dem wunderbaren Ensemble, das sich Text und Popsongs auf der Bühne scheinbar selbst erst erschließt – als wäre der Zuschauer bei den Proben dabei. Absolut sehenswert!

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Beschwingter Bilderreigen in den Kammerspielen

Es gibt stehende Ovationen und donnernden Beifall, wie ihn das Haus lange nicht gehört hat. Unter den Premierengästen ist auch Maja Beckmann: Die in Bochum bestens bekannte Schauspielerin, mittlerweile in Zürich engagiert, verbindet mit Rüping eine langjährige Arbeitsbeziehung.

Der hierzulande wenig bekannten finnischen Dramatikerin Saara Turuunen gehört der zweite Abend in den Kammerspielen. „Das Gespenst der Normalität“ basiert auf ihren Kurzgeschichten, die sie in einem beschwingten Bilderreigen in eigener Regie auf die Bühne bringt.

In dichten Nebelschwaden versinkt die Premiere von „Das neue Leben“ im Schauspielhaus Bochum. 
In dichten Nebelschwaden versinkt die Premiere von „Das neue Leben“ im Schauspielhaus Bochum.  © Schauspielhaus Bochum  | Jörg Brüggemann Ostkreuz

Erzählt werden viele kleine Geschichten, die teilweise kaum länger als eine Minute dauern. Ganz normale Menschen in ganz normalen Situationen: flüchtige Begegnungen in der Disco, beim Abendbrot, auf dem Pausenhof, allein vor dem Fernseher. Manchmal gibt es Streit, manchmal etwas Zärtlichkeit, manchmal schneit’s, manchmal gibt‘s auch was zu lachen. Immer wieder mischen sich skurrile Momente darunter, etwa wenn einer plötzlich mit dem Kopf eines Papageien dasteht.

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Liebevolle Aufführung erinnert an Aki Kaurismäki

Das nicht selten traurige Schicksal der vom Leben Enttäuschten birgt durchaus Komik. Ungeduldigen Theatergängern sei allerdings gesagt: Wenn man sich darauf nicht mit Muße einlässt und große Theatermomente auch in scheinbar kleinen Dingen suchen möchte, dann kann das recht schnell etwas einschläfernd wirken. Mit viel Lakonie und wenigen Dialogen erinnert Saara Turuunens exakt gebaute und liebevoll eingerichtete Aufführungen nicht selten an die Filme ihres Landsmanns Aki Kaurismäki.