Bochum. Für das Rad als Verkehrsmittel ist Bochum kein gutes Pflaster. Mehr als die Hälfte aller Radwege sind mangelhaft. Ein neues Konzept soll helfen.
Der jüngste Fahrradklimatest des ADFC spricht Bände. Seit mehr als einem Jahrzehnt tritt Bochum beim Radverkehr auf der Stelle. Veränderungen gibt es bei der Schulnote 4 nur hinter dem Komma. Fortschritt bei dem Ausbau und Zustand von Radwegen bringen soll nun ein neues Radverkehrskonzept (RVK), das am Donnerstag im Rat beschlossen werden soll.
Jeder zweite Radweg in Bochum ist mangelhaft
Während die Verwaltung mit der Mehrheit von SPD und Grünen durchaus rechnen darf, kritisieren Oppositionsparteien das Werk. Schlechte Noten gibt es ebenso aus der Gemeinschaft der Radfahrerinnen und Radfahrer, die seit vielen Jahren vergeblich auf bessere Bedingungen hoffen. Ihrem Wunsch nach schnellen und direkten Routen durch die Stadt wird nicht entsprochen.
Rund 190.000 Euro hat die Stadt in das neue RVK investiert, das die Büros NTS Ingenieurgesellschaft (Münster) und Mobycon (Delft, Niederlande) erstellt haben. Es wird das bisherige Konzept aus dem Jahr 1999 ersetzen. Zu dieser Zeit, es war das erste Jahr der Koalition von SPD und Grünen in Bochum, betrug der Anteil des Radverkehrs am gesamten Verkehr in Bochum rund fünf Prozent. Bis heute ist dieser Anteil um rund zwei Prozentpunkte angestiegen. Aktuelle Zahlen gibt es laut Stadt nicht, 2018 waren es 6,7 Prozent.
Neues Konzept: Radverkehr für alle
Die Bilanz nach 24 Jahren Rot-Grün: Mehr als die Hälfte aller für Radfahrer ausgewiesenen Strecken sind mangelhaft, nämlich 332 von 567 Kilometern. Von diesen wiederum haben 145 Kilometer zudem einen „hohen Handlungsbedarf“, wie es im Konzept heißt. Lediglich für 117 Kilometer bescheinigen die Gutachter „keinen bis geringen Handlungsbedarf“. Handlungsbedarf bedeutet je nach Strecke: Oberflächenschäden, Engstellen, mangelhafte Beschilderung, unsichere Wegeführung, Unfallschwerpunkte und mehr.
„Radverkehr für alle“ heißt die Vorgabe im neuen Konzept. Radfahren soll überall in der Stadt möglich werden. Und zwar nicht nur für diejenigen, die aus innerer Überzeugung auf den Sattel steigen und das Rad nicht nur zum Vergnügen, sondern als Verkehrsmittel nutzen. „Kommende Maßnahmen zur Radverkehrsförderung sollen sich an den Bedarfen aller ausrichten, die mit dem Fahrrad fahren könnten“, heißt es.
Ziel ist es, den Anteil des Radverkehrs bis 2030 auf 15 Prozent am Gesamtverkehr in Bochum zu steigern. „Dieser Wert erscheint innerhalb von acht Jahren realistisch“, schreibt die Verwaltung. „Die vom Gutachter erarbeitete Maßnahmenliste … stellt eine Richtlinie für das Verwaltungshandeln dar.“ 125 besonders dringende Maßnahmen werden beschrieben.
Stadt legt Katalog mit dringenden Maßnahmen vor
Dazu gehören indes weniger konkrete Baumaßnahmen für dringend benötigte neue Radrouten und -wege, sondern eher Selbstverständlichkeiten wie die Beseitigung von Mängeln an Radwegen, das Roteinfärben von Radspuren, zusätzliche Fahrradparkplätze, eine ordentliche Beschilderung der Strecken, ein Winterdienst für Radwege oder Öffentlichkeitsarbeit. Auf Plakaten soll z.B. erläutert werden, was eine Fahrradstraße ist.
Kritik an Velorouten abseits der Hauptstraßen
Das Radwegenetz Bochum wird künftig in vier Kategorien unterteilt: Radschnellwege, Velorouten, Hauptrouten und Nebenrouten. Insbesondere die Velorouten stoßen auf Kritik, weil sie nicht dem Wunsch vieler Radfahrer nach sicheren Wegen entlang der Hauptstraßen entsprechen, sondern abseits der großen Verkehrsachsen liegen. Ein Beispiel ist die Südumfahrung der Wittener Straße in Altenbochum.
„Eine interessante Idee, aber in der Praxis bedeutet dies meist deutliche längere Wege“, schreibt das Rad-Bündnis Radwende. „Wir befürchten Zick-Zack-Routen mit gefährlichen Kreuzungen und langen Umwegen“, so Dominik Bald mit Verweis auf die Situation in Altenbochum.
Die Radwende stößt sich auch am 15-Prozent-Ziel. Das Ziel sei 2016 bei der Bewerbung zur Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte (AGFS NRW) ambitionierter gewesen. Das Bündnis spricht von 25 Prozent, die Stadt auf Anfrage von 20 Prozent.
Als „ein gutes Angebot für Nicht-Profi-Radfahrer“ indes sieht Martina Schnell die Velorouten. Die verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion verspricht: „Die Velorouten sollen eine Alternative, aber kein Ersatz für Radwege entlang der Hauptstraßen sein. Velorouten lassen sich aber einfacher und schneller umsetzen als baulich abgesetzte Radwege an Hauptstraßen.“
SPD drückt aufs Tempo: Beschluss auf die Straße bringen
Ihr Pendant von der CDU, Stefan Jox, verweist auf die Gutachter. Als ein Ergebnis der Bürgerbeteiligung sei eindeutig die Akzeptanz einer Veloroute parallel zur Herner Straße nachgewiesen worden. Jox aber mahnt: „Das Wichtigste beim Ausbau des Radwegenetzes ist, dass die Leistungsfähigkeit der Straßen für alle Verkehrsträger erhalten bleibt.“ Alle Lösungen müssten pragmatisch sein. „Bei der Königsallee halfen am Ende schmalere Fahrspuren.“ Die angedachte Veloroute im Bereich der Essener Straße sieht er kritisch. „Wie soll das realisiert werden?“
Zweifel am Konzept
Radfahrverbänden in Bochum (ADFC, Radwende, VCD) geht das Radverkehrskonzept nicht weit genug. Sie melden „erhebliche Zweifel“ an, ob die vorgestellten Maßnahmen zum Ziel führen. „Den Zielwert von 25 Prozent Radverkehrsanteil im Konzept herunterzusetzen, weil in der Realität jahrelang zu wenig für den Radverkehr in der Stadt getan wurde, ist nicht richtig. Gerade ein Konzept muss die auch an anderer Stelle beschlossenen hohen Ansprüche aufrechterhalten“, heißt es in einer Stellungnahme.
Gut sei die Bestandsaufnahme. Diese zeige die eklatanten Mängel in Bochum auf. „Die erfassten, sicherheitsrelevanten baulichen Mängel sind umgehend abzustellen.“ Die Verbände fordern zudem eine klare Maßnahmenplanung für die kommenden vier Jahre.
Zu den Velorouten heißt es: „Es darf kein Ausspielen der Hauptverkehrsrouten entlang der Radialen und Hauptverkehrsstraßen gegen die Velorouten geben. Nur über die Hauptrouten sind wichtige Ziele in den Stadtteilen zu erreichen.“
Aufs Tempo indes drückt die SPD. „Wir müssen den Beschluss jetzt auf die Straße bringen“, sagt Schnell. Dafür seien auch 20 neue Stellen im Tiefbauamt geschaffen worden. Besetzt sind laut Stadt bereits zwei. „Weitere sechs Besetzungsverfahren laufen. Sieben Verfahren sind in unmittelbarer Vorbereitung für die Ausschreibung“, teilt die Stadt auf Anfrage mit.