Bochum. Bitter für die Stadt Bochum, ärgerlich für Bürger: Der Radschnellweg Ruhr wird in der Innenstadt keine Bahnflächen nutzen, sondern Wohnstraßen.
Schlechte Nachrichten für die Stadt Bochum: Die Deutsche Bahn (DB) bleibt bei ihrer Haltung von 2018. DB-Flächen für den Radschnellweg Ruhr (RS 1) in der Innenstadt stehen nicht zur Verfügung. Für die Verwaltung ist diese Entscheidung ein Nackenschlag. Folgen hat sie für Radfahrer, Anwohner und letztlich alle Steuerzahler.
Bochum: Deutsche Bahn erteilt Plänen zum Radschnellweg eine Absage
Sturheit siegt nicht immer. Ungeachtet einer klaren Absage der DB im Sommer 2018 hielt die Stadt Bochum an der im Prinzip schon 2014 mit der Machbarkeitsstudie zum RS 1 geborenen Idee fest, den Radschnellweg Ruhr im Bereich der Innenstadt auf Bahnflächen südlich der Linie von Dortmund nach Essen zu bauen. Ende des Jahres platzte dieser Traum.
„Die für den Ausbau des RS1 geplanten Flächen will und muss die DB für einen möglichen Ausbau der Schienenwege in Reserve halten. Gerade in innerstädtischen Bereichen gäbe es sonst perspektivisch keine Möglichkeiten, den gleichermaßen umweltfreundlichen und stetig wachsenden Verkehr auf der Schiene auszubauen“, teilte ein Bahnsprecher auf Anfrage der WAZ mit.
Somit gilt die im März des vergangenen Jahres beschlossene Alternative ohne DB-Flächen: Der RS 1 wird auf der Bessemer Straße nach Süden geführt, östlich in die Ehrenfeldstraße abbiegen und über Clemensstraße, Hermannshöhe, Klever Weg, Buddenbergplatz und Ferdinandstraße in den Kortumpark führen, um letztlich über Akademiestraße und der Straße Am Lohberg an die Springorum-Trasse angebunden zu werden. Von dort aus muss noch ein Weg nach Dortmund gesucht werden.
Während für den östlichen Teil der rund drei Kilometer langen Strecke bereits rund 14 Millionen Euro teure Brückenbauwerke über Universitätsstraße und Wittener Straße geplant sind, stellen die Kreuzungen des RS 1 mit Bessemer Straße und Königsallee die Planer vor neue Herausforderungen. Mit Blick auf die Königsallee teilt die Stadt auf Anfrage mit: „Zurzeit wird davon ausgegangen, dass die Querung durch eine koordinierte Lichtzeichenanlage (Ampel) geregelt wird.“ Kaum vorstellbar, dass Radfahrer hier Vorfahrt bekommen.
Viele Stellplätze in den Anwohnerstraßen entfallen
Anwohner der vom RS 1 benötigten Straßen in Wiemelhausen müssen zudem damit rechnen, dass sich der Parkdruck in ihrem Viertel erhöht. Es sei davon auszugehen, „dass aufgrund der erforderlichen Sicherheitstrennstreifen zu parkenden Fahrzeugen und der Breiten für den RS1 eine erhebliche Anzahl an Stellplätzen wegfallen werden“, heißt es bei der Stadt.
Für die Stadtgestalter war die „kreuzungsfreie Strecke südlich der DB“, die alles, aber eben nicht kreuzungsfrei ist, ohnehin nur eine Mogelpackung. Ebenso wie die im Sommer 2020 mit Bürgern öffentlichkeitswirksam durchgeführte „ergebnisoffene Raumanalyse für die Trassensuche des RS 1 in der Bochumer Innenstadt“.
Eine Akteneinsicht dieser Redaktion bestätigt nicht nur eine Einflussnahme der Verwaltung auf das Gutachten, wie sie der Sprecher der Stadtgestalter, Volker Steude, im Frühjahr 2022 vermutete, sondern auch kontinuierliche Gespräche mit der Bahnflächenentwicklungsgesellschaft NRW (BEG) zur Umsetzung der seit Jahren favorisierten Trasse vom S-Bahnhof Ehrenfeld entlang der Bahnschienen und über die Trasse der ehemaligen Friederika-Bahn zur Hermannshöhe, die auch so als optimierte Variante beschlossen wurde.
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Ungeachtet der Absage der DB im Juli 2018 wurden exakt ein Jahr später „innovative Konstruktionen des RS1 auf der Trasse der Friederika-Bahn“ diskutiert und von der Stadt Bochum gezeichnet. Auf alten offenen Güterwaggons sollte eine Konstruktion aus Stahlplatten für den RS 1 entstehen. Im Mai 2020 legten Düsseldorfer Ingenieure eine von der BEG erstellte „Untersuchung“ vor, die die Machbarkeit des RS 1 auf den Bahnflächen bestätigte. „Die Untersuchungen sollten zunächst ohne Einbindung der DB Netz AG erfolgen“, heißt es in dem Papier.
Die Bahn nimmt daran keinen Anstoß, bestätigt auf Anfrage aber die Zusammenarbeit: DB und BEG (eine gemeinsame Tochter der DB und des Landes NRW) seien mit der Stadt „seit längerem in intensiven Gesprächen. Dabei geht es vor allem um die technische und rechtliche Machbarkeit einer Trassenführung des RS1 auf Flächen der Deutschen Bahn. Deshalb hat die BEG in Abstimmung mit der DB und der Stadt Bochum Alternativen für eine mögliche Trassenführung durch eine Ingenieurgesellschaft entwickeln und untersuchen lassen. Dabei handelt es sich nicht um ein Gutachten, sondern um eine Vorprüfung möglicher Trassenvarianten“.
Die vor und parallel zur „ergebnisoffenen Bürgerbeteiligung“ geführten Gespräche und Arbeiten waren nach heutigem Stand also ebenso für die Katz’ wie der Erwerb eines Grundstücks östlich der Bahnbrücke der Königsallee. Schon 2017 nämlich tauschte die Stadt für die gewünschte Trasse Flächen mit einem privaten Eigentümer. Den Wert gibt die Stadt mit rund 63.000 Euro an
Deutlich wird in den Akten der Verwaltung auch die Einflussnahme auf den Gutachter, das Ingenieurbüro Bernard in Köln. Wie berichtet, empfahlen die Gutachter anfangs sogar, die von der Stadt favorisierte Trasse südlich der Bahngleise nicht weiter zu verfolgen. Gewünscht von den Bürgerinnen und Bürgern sei eine Trasse mitten durch die Bochumer Innenstadt.
Bürgerbeteiligung fällt Mehraufwand für Gutachter zum Opfer
Im ersten Entwurf des Gutachtens weisen die Ingenieure noch korrekt aus, wie die Vorzugsvarianten zustande gekommen sind. „Nach internen Beratungen der Stadt Bochum wurden die … Trassenvarianten als Vorzugstrassen festgelegt“, heißt es da. In der Bildzeile zur Abbildung der Varianten, die im Wesentlichen später auch so beschlossen wurden, heißt es: „Trassenvarianten im Rahmen der Vorplanung auf Basis des Variantenvergleichs und Abstimmungen mit der Stadt Bochum“. In allen folgenden Versionen fehlt indes der Hinweis auf die Einflussnahme der Verwaltung.
„Bitte prüfen, ob wir hier nicht schon unsere Vorzugsvarianten ausgeschlossen haben“, heißt es in einer handschriftlichen Notiz zu einer Tabelle, die Varianten auflistet, die nicht in Frage kommen und dazu Begründungen aufführt. Verändert wurde auch das ursprüngliche Bewertungsraster. Der Mehraufwand für die Gutachter führte letztlich dazu, dass eine geplante zweite Beteiligung der Öffentlichkeit nicht mehr stattfand. So konnte der Kostenrahmen für das Gutachten in Höhe von 150.000 Euro gehalten werden.
Interessant ist auch der Umgang der Stadt mit den Vorwürfen der Stadtgestalter aus der Ratssitzung vom 3. März 2022, die sich aus der Einsicht der Akten ergeben hatten; zusammengefasst: Sämtliche Bürgervorschläge hatten keine Chance. „Bitte ermöglichen Sie der Fraktion der Grünen (Hr Dittert) möglichst schnell und heute eine Akteneinsicht und geben Sie dem Politiker bitte vorab die Information, die in unserer Antwort stehen werden“, weist Stadtbaurat Markus Bradtke das Tiefbauamt am 8. März 2022 per Mail an – einen Tag vor der Beschlussfassung im zuständigen Ausschuss.
Wenig überraschend, dass Raphael Dittert, der Vorsitzende des Ausschusses für Mobilität und Infrastruktur, nach 90 minütigem Aktenstudium einen Tag später zu dem Schluss kommt: „Die Aktenlage zeigt eine gewissenhafte Prüfung aller Vorschläge. Richtig ist: Die Verwaltung hat dem Gutachter mit Details zu den untersuchten Straßen zugearbeitet. In diesem Zusammenhang irritiert, dass der Gutachter erst durch die Stadt auf den Standard des RS1, nämlich vier Meter Breite und eine Streckenführung möglichst ohne Ampel und Kreuzungsverkehr, aufmerksam gemacht werden musste. Dass durch solch eine Bewertung verschiedene Varianten wegfallen, ist aber kein Skandal, sondern solides Verwaltungshandeln.“
Exklusive Vorstellung der Ergebnisse in der SPD-Fraktion
Dieses „solide Handeln“ wird in den Akten schon drei Monate vorher deutlich. Am Nikolaustag 2021 schreibt Stadtbaurat Markus Bradtke an das Tiefbauamt: „Herzlichen Dank für die gute Vorbereitung für meine Präsentation unserer Überlegungen zum RS in der Bochumer Innenstadt heute in der Gesamtfraktion der SPD. Kurz gesagt: es war ein voller Erfolg! Die Fraktion ist schwer begeistert und trägt unsere Ideen in Breite und Tiefe mit. Ein guter Start also. Nun zur weiteren Vorgehensweise: 1. Die Vorlage soll nun auf den Weg gebracht werden. MZ OB!! … 4. Variante 2, die noch einen guten Namen braucht, ist die Vorzugsvariante. 5. In Variante 2 soll der Abschnitt „mit DB-Flächen“ als Optimalvariante herausgearbeitet werden.“
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Aber nicht nur auf SPD und Grüne kann sich die Verwaltung verlassen, auch auf den ADFC. Einen Tag vor einem Pressegespräch am 18. März 2022 teilt das Tiefbauamt dem Stadtbaurat mit, dass der Allgemeine Deutsche Fahrrad Club am Pressetermin teilnehmen wolle. „Das klingt nach voller Unterstützung der grundsätzlichen Entscheidung. Wir sollten uns aber überlegen, welche Rolle der ADFC bei dem Pressetermin haben soll. Eine konstruktive Einbindung des ADFC wäre sicherlich gut.“ Vorsitzender des ADFC ist SPD-Ratsherr Jens Matheuszik, Beisitzerin die Grünen-Ratsfrau Stephanie Kotalla.