Bochum. Die Zahl der Organspender ging 2022 deutlich zurück. Eine Tagung in Bochum bringt die Widerspruchslösung erneut ins Spiel. Die SPD will handeln.
Drei Jahre nach dem Beschluss des Bundestags, bei Organspenden eine sogenannte Entscheidungslösung anzuwenden, habe sich „nichts, aber auch gar nicht verbessert“. Das beklagt Prof. Richard Viebahn, Leiter des Transplantationszentrums am Knappschaftskrankenhaus Langendreer. Sein Appell, die Widerspruchslösung erneut auf die politische Agenda zu setzen, fand am Wochenende Unterstützung bei einem Aktionstag auf dem Bochumer Gesundheitscampus.
Organspenden: Rückgang in Nordrhein-Westfalen beträgt 18 Prozent
Nach jahrelangen Diskussionen hatte sich Anfang 2020 eine Abgeordnetengruppe um die heutige Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) mit dem Antrag durchgesetzt, die Information über Organspenden zu verstärken – etwa bei der Verlängerung des Ausweises oder beim Hausarzt. Ob eine Organspende erfolgen darf oder nicht, soll ab 2024 in einer zentralen Datenbank registriert werden.
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Die Reform sei gescheitert, konstatiert Richard Viebahn, der sich an der Uni-Klinik in Langendreer auf die Verpflanzung von Nieren und Bauchspeicheldrüsen spezialisiert hat. Ernüchternd sei die aktuelle Bilanz der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Danach ist die Zahl der Spenden 2022 bundesweit um sieben Prozent gesunken: von 933 auf 869. In Nordrhein-Westfalen betrug das Minus sogar 18 Prozent.
Organspende-Stiftung: Wille von Verstorbenen ist oft nicht bekannt
Als eine Ursache erkennt DSO-Geschäftsführer Dr. Scott Oliver Grebe die Corona-Pandemie. Auch die Demografie spiele eine Rolle: Potenzielle Organspender werden tendenziell älter und kränker – mit den entsprechenden medizinischen Kontraindikationen.
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„Der häufigste Grund, warum eine Organspende nicht erfolgt, ist aber die fehlende Einwilligung“, schildert Grebe, der mit der DSO Bindeglied zwischen den landesweit 300 „Entnahmekliniken“ und den Transplantationszentren ist. „Dabei ist auffällig, dass die Ablehnung in weniger als einem Viertel der Fälle auf einem bekannten schriftlichen oder mündlichen Willen der Verstorbenen basiert.“
Experten: Widerspruchslösung würde zum Umdenken führen
Stattdessen entschieden sich Angehörige häufig aus Unsicherheit gegen eine Organspende. „Daher ist unser Appell, zu Lebzeiten eine Entscheidung zu treffen, diese etwa mit einem Spenderausweis zu dokumentieren und mit der Familie darüber zu sprechen“, betont Grebe, der am Samstag zu den Teilnehmern eines Aktionstages in der Geschäftsstelle des „Netzwerks Organspende NRW“ auf dem Gesundheitscampus zählte.
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Die Gesetzesänderungen von 2020 hätten wegen der Pandemie noch nicht ausreichend Zeit gehabt, um zu greifen. „Grundsätzlich erhoffe ich mir davon in Zukunft höhere Spenderzahlen“, sagt Grebe. Gleichwohl sei er persönlich ein Anhänger der Widerspruchslösung. Dabei müssen die Bürger ausdrücklich „Nein“ sagen, wenn sie gegen eine Organentnahme nach ihrem Tod sind. Sonst werden sie automatisch zum Spender. Grebe: „Das würde zu einem Umdenken und zu einer Enttabuisierung beitragen und die Organspende ein Stück weit zur Normalität machen. Ich würde mich freuen, wenn die Politik die Widerspruchslösung noch einmal aufgreifen würde.“
SPD-Abgeordneter kündigt neue Initiative im Bundestag an
Der Bochumer SPD-Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer schließt sich der Forderung an. „Wir werden die Widerspruchslösung erneut auf die Agenda setzen“, kündigte Schäfer gegenüber der WAZ an. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach wisse er dabei an seiner Seite.
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Eile ist geboten. 8500 Namen umfasst die Warteliste der Patienten, die auf ein Spenderorgan angewiesen sind: mit großem Abstand auf eine Niere (6700), gefolgt von Leber, Herz, Bauchspeicheldrüse und Lunge. „Nieren-Patienten hängen im Schnitt acht Jahre an der Dialyse, bevor ein Spenderorgan bereitsteht. Viele überleben das nicht“, sagt Richard Viebahn. Das sei „ein Armutszeugnis für Deutschland“. In Spanien, wo die Widerspruchslösung gilt, seien die Spenderzahlen fünfmal höher.