Bochum-Werne. 1943, mitten im Krieg: Auch in Bochum suchen die Menschen Schutz vor den Bomben – und graben sich selbst ihre Bunker. Wie zum Beispiel in Werne.

Als „Waffenschmiede des deutschen Reichs“ zog im Zweiten Weltkrieg gerade das Ruhrgebiet die alliierten Bomber an. Auch Bochum wurde flächendeckend bombardiert, besonders zum Ende hin. Die Menschen lebten in ständiger Angst und suchten Schutz. In ihrer Not halfen sich viele selbst und gruben eigenhändig Stollen, die sie quasi als Bunker nutzen – wie ein Beispiel in Werne zeigt.

Vor 80 Jahren: Bochumer Bürger bauen sich selbst einen Bunker

Erika und Jürgen Bagner leben noch heute dort, wo früher – vor 80 Jahren – ein Luftschutzstollen gebaut wurde. An der Lütge Heide, parallel zum Friedhof, suchten die Menschen aus der Nachbarschaft damals etwa sechs Meter tief unter der Erde Schutz vor den Bomben. Ihr Opa, Wilhelm Maesener, sei der Initiator gewesen, weiß die 76-Jährige aus vielen Erzählungen. Und auch Fotos vom Bau des Stollens hat sie noch.

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„Stollenbau 43“ steht auf der Rückseite der Schwarz-Weiß-Aufnahmen geschrieben. Sie zeigen die Männer bei der Arbeit, wie sie – unterstützt durch eine Seilwinde – Schubkarren voller Erde aus dem Mundloch schieben. Maesener wäre allein wohl nicht in der Lage gewesen, das Projekt zu organisieren – er war Lehrer an der Volksschule auf der Kreta. Doch der Schwager hatte Ahnung vom Bergbau. Er arbeitete in der Zeche Robert Müser, kam also an Material und auch an Leute, die helfen konnten.

Erika und Jürgen Bagner zeigen auf das Lüftungsrohr, das heute noch an den früheren Luftschutzraum in Bochum-Werne erinnert.
Erika und Jürgen Bagner zeigen auf das Lüftungsrohr, das heute noch an den früheren Luftschutzraum in Bochum-Werne erinnert. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Für die Anwohner der Straßen Bramheide und Lütge Heide lag der noch heute existierende Bunker am Werner Markt/Boltestraße angesichts der oftmals nur sehr kurzen Alarmzeiten zu weit weg und war wohl oft auch schon überfüllt. Daher der Plan, einen eigenen Stollen in der unmittelbaren Umgebung zu bauen, oberhalb vom heutigen Freibad.

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Der bergmännisch ausgehöhlte und gesicherte Luftschutzraum bot Platz für ca. 60 bis 70 Personen. Der Eingang des unterirdischen Raumes befand sich in Höhe des großen Schwimmbeckens des Freibades. Nach dem Krieg wurde der Raum verfüllt und das gesamte Gelände zur heutigen Form umgestaltet. „Nur ein ehemaliges Lüftungsrohr ragt heute noch, kaum sichtbar, ca. 40 Zentimeter aus dem Boden heraus“, berichtet Jürgen Bagner (81). „Doch davon weiß kaum jemand.“

Stadt Bochum berichtet von vielen Selbsthilfe-Stollen

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Gesichert war der „Bürger-Bunker“ durch eine massive Tür. „Damit niemand die Bänke und Liegen stehlen konnte“, wurde Erika Bagner vom Opa berichtet. Viel habe er vom Zweiten Weltkrieg aber nicht erzählt. „Der einzige Sohn ist damals im Krieg gefallen. Das haben meine Großeltern nie so richtig verwunden.“ Von der Mutter weiß die 1946 geborene Erika Bagner, dass damals viele Krankheiten grassierten und man sich gerade während des Aufenthalts in den Schutzräumen, in denen man eng zusammensaß, ansteckte.

Gruppenbild vor dem selbstgebauten Luftschutzraum in Bochum-Werne: Volksschullehrer Wilhelm Maeusener (7.v.l.), Opa von Erika Bagner, war der Initiator
Gruppenbild vor dem selbstgebauten Luftschutzraum in Bochum-Werne: Volksschullehrer Wilhelm Maeusener (7.v.l.), Opa von Erika Bagner, war der Initiator © FUNKE Foto Services | Repro: Frank Oppitz

Laut Stadt Bochum war es damals üblich, Stollen in Eigenregie zu errichten. „Neben den Luftschutzkellern in Häusern waren Selbsthilfestollen die am weitesten verbreitete Art des Schutzes vor Bombenangriffen“, übermittelt Stadtsprecher Peter van Dyk aus dem Rathaus-Archiv. „Da im Ruhrgebiet ein großer Teil der Bevölkerung aus Bergleuten bestand, konnten leicht Stollen gebaut werden. Das nötige Gerät, Werkzeuge und Material war bei den Bergwerken und Industriebetrieben vorhanden und konnte da geliehen oder besorgt werden.“

Bombenangriffe ab Mai 1943

Die schweren, flächendeckenden Bombenangriffe in Bochum begannen im Mai 1943. Der schwerste alliierte Luftangriff zerstörte am 4. November 1944 die Bochumer Innenstadt fast völlig. 700 britische Bomber warfen zwischen 19 und 20 Uhr mehr als 10.000 Sprengbomben und mehr als 130.000 Brandbomben. 1300 Menschen starben, 2000 wurden verwundet, 70.000 verloren ihr Hab und Gut.

Insgesamt fielen im Zweiten Weltkrieg auf Bochum 550.000 Bomben, die mehr als 4000 Menschen töteten.

Über die Anzahl gibt es offizielle Zahlen aus dem Stadtarchiv: Demnach wurden in Bochum 1093 dieser Selbsthilfestollen gebaut, die 75.500 Menschen Schutz boten. „Über die tatsächliche Zahl kann es aber nur Vermutungen geben, die bis in die Schätzung von 2000 geht“, sagt Peter van Dyk. In einer Auflistung des Tiefbauamtes, wahrscheinlich aus dem Jahr 1963, seien an die 1000 Stollen, aber auch Luftschutzkeller erfasst. Davon gab es in Bochum 10.070 mit Platz für 131.840 Menschen.

Bomben auf Bochum: Auch in Luftschutzräumen starben viele Menschen

Die meisten dieser Stollen und Keller waren zwischen zehn und 20 Meter lang. Es gab wohl aber auch welche von 80 bis 100 Meter. Der in der Bramheide ist laut Stadt auch in einer Liste aufgeführt: als 35 Meter langer Holzstollen.

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Von vielen selbstgebauten Stollen weiß auch Hobby-Historiker Clemens Kreuzer. Er hat selbst für die Zeitschrift „Bochumer Zeitpunkte“ (Nr. 17, Dezember 2005) über den Bombenkrieg in den Stadtteilen des Bochumer Ostens geschrieben. Unter anderem über einen Stolleneingang auf der Zeche Mansfeld in Langendreer, in dem beim Bombenangriff am 15. Januar 1945 mindestens 57 Menschen starben. „Das Risiko bei den Stollen war offenbar dadurch groß, dass bei aller bergmännischen Baukunst die oberflächennahen Teile des Stollens getroffen werden konnten, dort sich aufhaltende Menschen starben oder der Zugang verschüttet wurde“, erklärt Kreuzer.

Die Seilwinde wurde beim Bau des Selbsthilfe-Stollens in Bochum-Werne stets von zwei Arbeitern bedient.
Die Seilwinde wurde beim Bau des Selbsthilfe-Stollens in Bochum-Werne stets von zwei Arbeitern bedient. © FUNKE Foto Services | Repro: Frank Oppitz

Dramatisches spielte sich wohl auch in einem zwischen Rixenburgweg und Eisenbahn angelegten Stollen ab. Nach mehreren Bombentreffern fanden laut Werner Pfarr-Chronik von damals 50 Menschen „durch Sprengstücke oder durch Ersticken ein furchtbares Ende“.

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Der Stollen im heutigen Freibadbereich in Werne scheint von solchen Ereignissen verschont geblieben zu sein, glaubt Clemens Kreuzer, „denn in den Aufzeichnungen des Berichterstatters im Bochumer Rathaus, der nur über Stollen berichtete, in denen es Opfer gab, kommt er ebenso wenig vor wie in den Berichten von Zeitzeugen, die ich ausgewertet habe“. Das spreche dafür, dass dort alles glimpflich verlief.

Kreuzer zufolge bombardierten die Alliierten vor allem die Industriegebiete von Werne und Langendreer, also die Zechen Mansfeld und Robert Müser, das Langendreerer Werk des Bochumer Vereins und die Werksanlagen der Chemischen Fabrik Raschig.