Bochum. Deutschland diskutiert über die Vier-Tage-Woche. Ein Betrieb in Bochum hat sie bereits eingeführt. Rückblick auf die ersten Erfahrungen.
- Ein Modellprojekt in Deutschland soll zeigen, wie praktikabel eine Vier-Tage-Woche wäre
- Eine Elektrotechnik-Firma aus Bochum hat bereits Anfang des Jahres auf eine Vier-Tage-Woche umgestellt
- In diesem Artikel – erstveröffentlicht am 9. Februar 2023 – schildern Chef und Mitarbeiter ihre ersten Erfahrungen mit dem Modell
Die Arbeitstage bei der AS Elektrotechnik GmbH in Bochum sind seit Anfang des Jahres länger geworden. Morgens beginnt die Schicht für die 20 Beschäftigen eine halbe Stunde früher, Feierabend ist eine halbe Stunde später als sonst. Die Stimmung im Betrieb ist dennoch gut. Denn: Freitags ist mittlerweile frei. Jeden Freitag. Die Elektrotechnikfirma hat die Vier-Tage-Woche eingeführt und gehört damit mit einigen anderen Betrieben zu den Vorreitern im Ruhrgebiet.
Erste Erfahrungen mit der Vier-Tage-Woche sind in Bochum positiv
Das erste Fazit nach gut vier Wochen fällt positiv aus, berichtet Geschäftsführer Marco Stoltz. Sein Vater Fred hatte im vergangenen Jahr einen Bericht im Fernsehen über einen Klempnerbetrieb in Bayern gesehen, der die Vier-Tage-Woche eingeführt hat. „Und dann haben wir uns gefragt, ob wir das nicht auch machen sollten.“ Das Votum in der Familie wie bei den Beschäftigten fiel nahezu einhellig aus: Eine gute Idee.
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Das Modell sieht so aus: Statt an vier Tagen jeweils acht Stunden und am Freitag sechs Stunden wird bei AS Elektrotechnik von montags bis donnerstags jeweils neun Stunden gearbeitet, insgesamt also 36 statt bislang 38 Stunden. Bei vollem Lohnausgleich. Sollten mal Überstunden anfallen, was sehr selten passiere, sind die ersten beiden allerdings „entgeltfrei“.
Bochumer Betrieb verspricht sich Vorteile im Wettbewerb um Fachkräfte
Eingeführt hat das Familienunternehmen die kurze Woche vor allem, um sich angesichts des Fachkräftemangels von der Konkurrenz abzuheben und attraktiver für potenzielle Beschäftigte zu werden. „Gerade die jüngeren Leute stehen auf die Vier-Tage-Woche“, so Marco Stoltz. Aber das Modell hat deutlich mehr Vorteile. „Die Beschäftigten sagen, gefühlt schaffen sie durch die eine Stunde Arbeitszeit mehr am Tag insgesamt mehr im Vergleich zur Fünf-Tage-Woche.“ Denn: Bei lediglich sechs Stunden gehe am Freitag durch Anfahrt, Rüstzeit, Besprechungen viel Zeit verloren. „Das ist dann wie ein verlorener halber Tag.“
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Außerdem zeichnet sich jetzt schon ab, dass die Firma einiges spart: Stromkosten, Spritkosten; Fahrzeuge und Maschinen werden weniger beansprucht. Auch die Auftraggeber sind überzeugt, wobei AS Elektrotechnik nur für wenige Privatkunden und vor allem für die Ruhr-Uni, deren Vermieter BLB, einige Unternehmen und die Stadt Bochum arbeitet.
Gute Erfahrungen auch in anderen Branchen und Ländern
Bislang ist überhaupt erst ein Haken aufgetaucht: Azubis aus dem vierten Lehrjahr müssen sozusagen in ihrer Freizeit zur Berufsschule gehen, weil die nur freitags stattfindet. Marco Stoltz ist jedenfalls voll überzeugt von dem neuen Arbeitszeitmodell: „Ich denke schon. dass es sich auf lange Sicht im Handwerk lohnt.“
Und vielleicht nicht nur dort. Der Bochumer Immobilienentwickler Dennis Cholewa etwa kann sich vorstellen, „dass die Vier-Tage-Woche zumindest für Teilbereichen“ auch in seiner DGC-Gruppe umsetzbar wäre. Andere Branchen und andere Länder haben bereits positive Erfahrungen gemacht. So hat eine Studie der Non-Profit-Initiative „4 Day Week Global“ in mehreren englischsprachigen Ländern ergeben, dass die Zahl der Krankheitstage der Beschäftigten gesunken, Umsatz und Produktivität aber gestiegen sind.
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Arbeitgeber: Vier-Tage-Woche ist keine flächendeckende Blaupause
Island hat bereits seit 2015 die Auswirkungen der verkürzten Wochenarbeitszeit und die Abschaffung der Fünf-Tage-Woche untersucht. Das Ergebnis: Leistung und Produktivität sind bei der Vier-Tage-Woche konstant geblieben, die Zahl sind nur moderat gestiegen, die Krankmeldungen sind zurückgegangen.
„Die Vier-Tage-Woche kann für Arbeitgeber durchaus attraktiv sein“, sagt Dirk. W. Erlhöfer, Geschäftsführer der Arbeitgeberverbände Ruhr/Westfalen mit Sitz in Bochum. Aber sie komme längst nicht für jedes Unternehmen in Frage, so etwa nicht für Mehrschichtbetriebe, deren Maschinen auch am Freitag laufen müssen. Daher warnt er: „Eine Vier-Tage-Woche kann nicht ins Gesetz kommen und auch nicht Eingang in Tarifverträge finden, weil es eben für Nischen ist, aber keine flächendeckende Blaupause.“
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Aus Sicht des Familienbetriebs überwiegen die Vorteile
Für Marco Stoltz und seinen Familienbetrieb überwiegen auf jeden Fall die Vorteile. Der Umsatz im Januar ist stabil. Die Aufträge lassen sich an vier Wochenarbeitstagen gut erledigen. Und aus Sicht der Beschäftigten zieht vor allem das Freizeitplus. Freitags frei, das birgt viele Möglichkeiten: vom langen Urlaubswochenende über stressfreies Einkaufen am Freitagmorgen bis hin zu Terminoptionen. Stoltz: „Auch zum Elektriker muss vielleicht mal ein Klempner kommen.“ Freitag wäre dafür dann ein guter Tag – wenn der Klempner nicht auch die Vier-Tage-Woche einführt.
Dieser Artikel ist erstmals am 9. Februar 2023 erschienen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte haben wir ihn noch einmal veröffentlicht