Bochum. Vorzeitig in Rente gehen: Immer mehr Arbeitnehmer nutzen diese Chance, auch mit deutlichen Abschlägen. Für Bochum gibt es jetzt aktuelle Zahlen.

In Bochum wächst die Zahl der Arbeitnehmer, die vorzeitig in den Ruhestand gehen. Jeder zweite Renteneintritt erfolgte im vergangenen Jahr vor der regulären Altersgrenze, berichtet die Deutsche Rentenversicherung Westfalen. Unternehmen, Gewerkschaften und ein Versichertenältester bestätigen den Trend.

Rente in Bochum: Aktuelle Zahlen untermauern die Entwicklung

Politik und Wirtschaft zeigen sich mit Blick auf den massiven Fachkräftemangel alarmiert. Die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren veranlasst deutlich mehr Beschäftigte als erwartet, früher aus dem Berufsleben auszuscheiden. Zugleich nehmen immer mehr über 60-Jährige Einbußen in Kauf, um sich den Traum vom Ruhestand zu erfüllen. Pro Monat werden dabei 0,3 Prozent von der Rente abgezogen, im Durchschnitt sind es laut Rentenkasse 110 Euro.

Auch interessant

Die aktuellen Zahlen der Deutschen Rentenversicherung Westfalen untermauern die Entwicklung. Im Jahr 2022 wurden in Bochum 4045 Altersrenten bewilligt. Davon hatten lediglich 2041 Versicherte die Regelaltersgrenze erreicht. 881 Frauen und Männer nutzten nach 45 Beitragsjahren die abschlagsfreie Altersrente. Weitere 660 Neurentner setzten sich gleichfalls vor der Zeit, jedoch mit Abschlägen zur Ruhe. Hinzu kamen 449 Erwerbsminderungsrenten und 14 Altersrenten für langjährig unter Tage beschäftigte Bergleute.

Unternehmer: Frühere Rente ist auch Frage des Zeitgeistes

„Ja“, bestätigt Unternehmer Christin Vogelsang, „ich glaube, dass der Wunsch zunimmt, früher in den Ruhestand zu gehen.“ Das gelte gerade für Beschäftigte aus dem gewerblichen Bereich. Bei Elektromotoren Vogelsang in Wattenscheid arbeiten 120 Beschäftigte im Bereich Motorenwartung. Wer es sich leisten kann, der denke eher als das bei früheren Generationen der Fall war, über den vorzeitigen Ruhestand nach.

Auch interessant

Das habe meist gesundheitliche Gründe. „Wenn man jeden Tag zehn Stunden körperlich arbeitet und nur zwei Tage zur Erholung hat, dann ist das für jemanden, der mittlerweile 60 ist, ein bisschen schwierig“, so Vogelsang. Aber es sei auch eine Frage des Zeitgeistes. „Früher haben sich die Menschen oft über die Arbeit definiert, heute eher über das Leben, die Familie, die Freunde.“ Ein Wandel.

Ulrike Hölter, Erste Bevollmächtigte der IG Metall Ruhrgebiet, fordert eine Rückkehr zur betrieblichen Altersversorgung: „Das ist deutlich schwächer geworden.“
Ulrike Hölter, Erste Bevollmächtigte der IG Metall Ruhrgebiet, fordert eine Rückkehr zur betrieblichen Altersversorgung: „Das ist deutlich schwächer geworden.“ © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

Wattenscheider Firma plant inzwischen mit Ausstieg mit 65 Jahren

Christian Vogelsang hat längst darauf reagiert. „Ich gehe nicht davon aus, dass im gewerblichen Bereich die Leute alle bis 67 arbeiten. Wir planen mit 65 Jahren, was eben jetzt nicht mehr das gesetzliche Rentenalter ist.“ Für ihn persönlich sei das nachvollziehbar. Und wenn der Ausstieg rechtzeitig mit dem Unternehmen besprochen werde, sei es in der Regel auch kein Problem.

Eher noch als im gewerblichen Bereich gehen Beschäftigte der kaufmännischen Abteilung vorzeitig in Rente. Sie könnten es sich in der Regel wegen des besseren Verdiensts eher leisten – „noch dazu, wenn es zwei Verdiener gibt“.

IG Metall: Viele Leute können sich Vorruhestand nicht leisten

Genau das ist aus Sicht von Christian Vogelsang der springende Punkt. Der Wunsch, früher in Rente zu gehen, sei bei vielen da. „Aber es können sich auch nicht viele Leute leisten.“ Jedenfalls nicht als Alleinverdiener.

Auch interessant

Das sieht auch Ulrike Hölter, die Erste Bevollmächtigte der IG Metall Ruhrgebiete Mitte, so. „Wir stellen fest, dass viele ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Wunsch haben, nicht mehr bis zum Regelrentenalter zu arbeiten. Wegen des sinkenden Rentenniveaus können sich das aber immer weniger leisten.“ Die Schere zwischen Wunsch und Wirklichkeit gehe auseinander.

Jörg Laftsidis ist als ehemaliger Reviersteiger auf der Zeche Prosper Haniel (Archivfoto) seit 2017 ehrenamtlich als Versichertenältester tätig. Er beobachtet: Immer mehr Beschäftigte wollen vorzeitig in Rente gehen.
Jörg Laftsidis ist als ehemaliger Reviersteiger auf der Zeche Prosper Haniel (Archivfoto) seit 2017 ehrenamtlich als Versichertenältester tätig. Er beobachtet: Immer mehr Beschäftigte wollen vorzeitig in Rente gehen. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Versichertenältester: Um regulären Renteneintritt geht es nur noch selten

Jörg Laftsidis widerspricht. „In Zeiten, in denen meist beide Ehepartner berufstätig sind, können sich viele Arbeitnehmer eine frühere Rente erlauben“, beobachtet der 56-Jährige, der für die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See als ehrenamtlicher Versichertenältester im Einsatz ist. Gerade noch zehn Prozent seiner jährlich 40 bis 50 Beratungsfälle seien reguläre Altersrenten. Der ehemalige Reviersteiger und SPD-Ratsherr erkennt in den Gesprächen: Freie Zeit, ein, zwei oder drei Jahre ohne Arbeit und Stress, sind immer mehr Menschen wichtiger als die volle Rente.

Auch interessant

Aus Sicht der IG-Metall-Chefin Hölter ist das „eines der Topthemen in diesem Jahr“, dem sich auch die Gewerkschaft intensiv widmen möchte. Dabei müsse es auch um die finanzielle Vorsorge gehen, mit der jeder Einzelne möglichst schon in jungen Jahren beginnen sollte. Und: „Früher war es auch gang und gäbe, dass gute Unternehmen eine betriebliche Altersvorsorge angeboten haben. Das ist deutlich schwächer geworden.“

Gewerkschaft wünscht sich Rückkehr zur betrieblichen Altersvorsorge

Ein Trend, der sich nach Einschätzung Hölters wieder umkehren sollte. Tatsächlich könnten auch Unternehmen davon profitieren, eine betriebliche Altersvorsorge anzubieten. Es könnte ein Argument sein, um angesichts des Fachkräftemangels Beschäftigte zu gewinnen und an sich zu binden.