Bochum-Langendreer. Während daheim der Krieg tobt, wollen zwei ukrainische Familien in Bochum Fuß fassen. Etwas fällt ihnen in der aktuellen Heimat besonders auf.
Es ist ein Leben voller Ungewissheit. Darüber, wie es der Familie daheim im Krieg in der Ukraine geht. Und darüber, wie lange man noch ausharren muss im Exil. Die Schwägerinnen Hanna Kirichiek und Halyna Hospodarysko sind mit ihren Kindern über Polen nach Bochum gekommen. Hier wollen sie nun Fuß fassen. Dabei erleben sie sehr viel Gastfreundschaft – und auch erstaunliche Dinge.
Von Odessa nach Bochum: Was Ukrainern bei uns so gefällt
Die beiden Frauen sind mit den vier Kindern bei Frank Dagobert Müller in Langendreer untergekommen – über Kontakte. „Ein Autohändler aus dem Dorf hat mich gefragt, ob ich nicht was tun kann. Die beiden sind Bekannte von seinem Vater“, berichtet Müller. Da sein Dachgeschoss – immerhin 100 Quadratmeter auf zwei Etagen – leer stand, zögerte er nicht lange.
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
Die Wohnung sei eigentlich für seine Tochter gedacht gewesen, sagt Müller. Doch da diese momentan eher zwischen Berlin und Los Angeles pendelt, würden die Räume kaum genutzt. Zwischenzeitig hatte Müller hier auch schon Austauschfamilien aus Weißrussland untergebracht, allerdings nur für ein paar Wochen. Wie lange die ukrainischen Gäste bleiben, ist offen. „So lange sie möchten“, stellt Müller klar.
Nachbarschaft hat für die Gäste aus der Ukraine gesammelt
Als sich der Besuch ankündigte, informierte er per WhatsApp die Nachbarschaft und fragte nach Möbeln. „innerhalb von zwei Wochen hatten wir alles zusammen“, schwärmt Müllers Lebensgefährtin Christa Burkardt vom Zusammenhalt im Viertel. Fahrräder, Bettwäsche, Handtücher, Möbel – alles war da, als die beiden Familien im April einzogen. Müller beschriftete für sie sogar die Klingelschilder.
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
Die ersten Wochen, sagt der 61-Jährige, habe er noch den Unterhalt gesichert. Dann habe das mit der Stadtverwaltung geklappt. „Und dann waren unsere neuen Mitbewohner erstaunlich schnell selbstständig“, lobt er. Klar ist noch immer Hilfe beim Ausfüllen von Anträgen vonnöten, „aber im Großen und Ganzen wuppen die das selbst“.

Müller konnte auch dabei helfen, die beiden Jungs Roman (15) und Vladyslav (13) von Halyna sowie den älteren Sohn Mykola (12) von Hanna in der Goetheschule unterzubringen. „Die besuchen dort eine integrative Klasse, in der sie vor allem Deutsch lernen, aber auch Mathe, Englisch und Sport als Fächer haben.“ Nur für Hannas Kleinen, Kostya (3), konnte bisher kein Kindergarten-Platz gefunden werden.
Ukrainer in Bochum: Die Mamas und ihre Jungs lernen fleißig Deutsch
Die Mamas sind ebenfalls fleißig dabei, Deutsch zu pauken, um sich besser verständigen und somit integrieren zu können. Denn die Sprachbarriere führt natürlich dazu, dass Kontakte schwierig zu knüpfen sind. „Unsere Jungs haben daher auch leider noch keine Freunde gefunden“, bedauert die 38-jährige Hanna, die in der Ukraine als Zahnärztin gearbeitet hat.
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
Die beiden Familien kommen aus Odessa. Die Ehemänner sind noch dort, telefonisch wird Kontakt gehalten. „Sie arbeiten“, sagen die Frauen. „Aber die Situation ist sehr gefährlich.“ Natürlich machen sie sich jeden Tag Sorgen. Die Gefühlslage sei schwierig, erklärt Halyna. Man habe nicht geplant, für lange wegzubleiben. Und nun ist schon November.
Fast 3000 Geflüchtete aus der Ukraine
Zum Stichtag 4. November 2022 waren in Bochum laut Stadtverwaltung 2954 Schutzsuchende aus der Ukraine registriert. Davon waren zu diesem Zeitpunkt 943 Personen minderjährig und 2011 volljährig (1479 Frauen/532 Männer).
Von diesen 2954 Personen wohnen 2379 bei Gastgeberinnen und Gastgebern oder in Mietwohnungen, die sie selbst gefunden haben (heißt: keine Unterbringung durch die Stadt Bochum). 418 leben in Wohnungen, die die Stadt Bochum für sie zur Unterbringung angemietet hat; diese sind über das gesamte Stadtgebiet verteilt. 157 Menschen aus der Ukraine sind in der Sammelunterkunft an der Axtstraße in Linden untergebracht.
Deutschland gefällt den sechs Gästen aus der Ukraine gut. „Es gibt hier viel Schönes zu sehen“, sagt Hanna und meint damit die Natur und die vielen gepflegten Gärten. Toll sei auch, wie viel hier für die Integration getan werde. Eine Sache ist den ukrainischen Gästen im Gegensatz zu ihrer Heimat in Deutschland besonders aufgefallen. „Alle sind hier sehr tolerant“, hat Halyna festgestellt. Und „dass es sehr viele unterschiedliche Nationalitäten und Typen gibt“. Auch die Behörden würden anders arbeiten. „Hier wird per Post kommuniziert“, stellte Hanna zu Beginn erstaunt fest. „Bei uns in der Ukraine geschieht das alles digital.“
Von Odessa nach Bochum: Freundschaft mit den Gastgebern ist entstanden
Zwischen den Gastgebern und den Gästen aus der Ukraine ist inzwischen so etwas wie Freundschaft entstanden. „Halyna kocht und backt alles selbst“, berichtet Christa Burkardt. „Da werden wir auch immer mal mit bewirtet.“ Im Gegenzug sei jetzt zur „Erntezeit“ viel Obst aus dem Garten nach oben gegangen.
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
Hanna und Halyna sind dankbar, so wunderbar aufgenommen worden zu sein. „Wir sind sehr froh, in Sicherheit zu sein, so viel Hilfsbereitschaft zu erfahren, und dabei, uns an die neue Umgebung zu gewöhnen“, sagen sie. Doch ein Dauerzustand solle das nicht werden. Denn in Gedanken seien sie jeden Tag bei ihren Angehörigen und Landsleuten in der Heimat.