Bochum. Sie soll hunderte Male den Notruf gewählt und einen Richter gestalkt haben. Diesen ungewöhnlichen Fall verhandelte das Bochumer Schöffengericht.

Eine „Tragödie“ nannte der Vorsitzende Richter den Prozess. Eine 47-Jährige ist am Montag vor dem Bochumer Schöffengericht schuldig gesprochen worden. Sie soll nicht nur hunderte Male die Notrufnummer 110 gewählt haben, sondern auch einem Richter im Zuge des Verfahrens monatelang nachgestellt haben.

Stalking-Prozess vor Bochumer Schöffengericht: Angeklagte gesteht im dritten Anlauf

Die Liste der Vorwürfe der Staatsanwaltschaft ist lang: Von 2017 bis 2019 soll die psychisch labile Angeklagte immer wieder nachts betrunken den Notruf gewählt oder bei verschiedenen Polizeibehörden angerufen haben – häufig dutzende Male pro Nacht. Dabei habe sie immer wieder Polizeibeamte beleidigt.

Als der häufige Missbrauch der Notfallnummern drohte, ein Gerichtsverfahren nach sich zu ziehen, habe die 47-Jährige ab dem Frühjahr 2020 den zu jener Zeit verfahrensführenden Richter gestalkt. Über das Internet habe sie eine Büronummer seiner Ehefrau und die Nummer seines Sohnes recherchiert – und dort hunderte Male – meist betrunken – angerufen. Selbst noch, als der Richter längst nicht mehr mit dem Verfahren betraut war.

Ausführlich schilderte das Stalkingopfer (61) im Zeugenstand, wie belastend die zahllosen Anrufe zur Nachtzeit für ihn und sein Umfeld gewesen seien. Bis zu 50 Anrufe in einer Nacht hätten seinen Sohn erreicht, der in manchen Nächten kein Auge zugetan habe. Weiter schilderte der Richter: Zahlreiche Prozesse im Bereich der Wirtschaftskriminalität machten ihn „bestimmt nicht zur beliebtesten Person am Gericht“. „Ich hatte schon mit Hells Angels und Bandidos zu tun, aber so etwas habe ich noch nie erlebt“, so der gestalkte Richter.

Angeklagte fürchtete sich vor ihrem Ex-Freund

Die 47-jährige Hauptangeklagte beteuerte vor Gericht, sie habe nur aus Angst vor ihrem Ex-Freund so oft die Polizei gerufen. „Er stand vor meiner Tür“, betonte sie immer wieder. Bereits sechs Mal hat die Bochumerin in den letzten Jahren bewirkt, dass sich ihr 53-jähriger Ex-Freund nicht nähern darf. Die Angeklagte bestritt zudem, Polizeibeamte beleidigt oder den Richter gestalkt zu haben. Im Gegenteil: Der Richter habe sich mit SMS und obszönen Sprachaufnahmen bei ihr gemeldet. In der abgespielten Sprachaufnahme erkannten die Prozessteilnehmenden aber keine Ähnlichkeit mit der Stimme des Stalkingopfers.

Vor Gericht saß die Angeklagte bereits mit Verteidiger Nummer zehn und elf. Diese – ebenso wie der Vorsitzende Richter Axel Deutscher – legten der Angeklagten dreimal nahe, ein Teilgeständnis abzulegen, was die Bochumerin letztlich auch tat. So entschied sich die Kammer für eine achtmonatige Haftstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wird, die Staatsanwaltschaft hatte ein Jahr gefordert. Die Angeklagte muss zudem ihre psychologische Behandlung in einer Tagesklinik fortsetzen und darf das Stalkingopfer nicht mehr kontaktieren. Laut dem Gericht brachte die „toxische Beziehung“ zum Ex-Freund die Angeklagte in eine emotionale Schieflage, die dieses „Drama“ von Gerichtsverhandlung zur Folge hatte.

Vor Gericht stand am Montag auch der Ex-Freund, der ebenfalls beim Richter angerufen haben soll. Der 53-Jährige erklärte zunächst, seit Jahren keinen Kontakt mehr mit der Mitangeklagten zu haben. Nachdem Richter Deutscher ihm klar machte, diese Aussage sei unglaubwürdig, entschied sich der Ex-Freund um und räumte Kontakte mit ihr ein. Mit dem Stalking des Richters habe er aber nichts zu tun – das Gericht trennte das Verfahren gegen ihn ab und stellte es ein.