Bochum. Eine Mauer neben der Jahrhunderthalle ziert nun das Gesicht von Josef Gera. Der Bochumer wurde 1997 im Westpark zusammengeschlagen und starb.
Es ist ein ungewöhnliches Kunstwerk, das seit Mittwoch die Mauer neben der Jahrhunderthalle im Westpark Bochum ziert: ein „Reverse-Graffito“ – also ein Bild, das allein durch das Abtragen des Schmutzes von der Wand entsteht. Es zeigt das Gesicht von Josef Gera. Der Bochumer Frührentner kam am 16. Oktober 1997 nach einer Prügelei auf dem Brachgelände zu Tode. Laut dem Initiator der Kunst- und Gedenkaktion Heiko Koch gehört die Tat als homophobes Hassverbrechen heute neu bewertet.
Westpark: Streetart-Künstler Klaus Dauven bildet getöteten Bochumer ab
Es ist nicht das erste Mal, dass Künstler Klaus Dauven gemeinsam mit Anwendungstechniker Nick Heyden von der Firma Kärcher auf die Hebebühne steigt. Die pinken Markierungen zeigen an, wo gekärchert – also hochdruckgereinigt – werden soll und wo die Oberfläche weiterhin verfärbt bleiben darf. Dann richten die beiden durch einen bestimmten Aufsatz den Wasserstrahl auf das Mauerwerk und das verdreckte Wasser rinnt die Mauer hinab.
„Danke, dass du mir immer hilfst, meine verrückten Ideen umzusetzen“, sagt Dauven seinem Teamkollegen, nachdem er die Arbeiten an dem „Säuberungskunstwerk“ abgeschlossen hat. Die Idee für das „Reverse-Graffito“ hatte Heiko Koch und holte für die Umsetzung die Galerie Januar aus Bochum ins Boot. Finanziell unterstützte „Demokratie Leben!“ die Aktion.
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Dauvens Kunst ziert Unterführungen, Lärmschutzwände und riesige Staumauern
Klaus Dauven ist für Streetart-Bilder bekannt, die durch die Reinigung von der Patina, der verschmutzen Oberfläche, entstehen. Europaweit zieren riesige Staumauern, Lärmschutzwände und auch Bochumer Unterführungen seine Kunstwerke. Und nun auch die alte Krupp-Mauer neben der Jahrhunderthalle Bochum.
Denn genau hier, an einer der Baracken auf dem alten Bochumer Brachgelände nahe der Klosterstraße, wurde am Abend des 14. Oktobers 1997 Josef Anton Gera von Männern aus der Wohnungslosenszene so schwer verletzt, dass er zwei Tage später starb. Der Frührentner (59) aus Riemke hatte mit den Obdachlosen auf dem Brachgelände zuvor getrunken.
Bei der Gedenkfeier vor Ort betont Barbara Jeßel (Grüne), es sei wichtig, dass „dieser Platz ein Gesicht bekommt“. Das „Reverse-Graffito“ sei ein „Bild gegen das Vergessen und Verschweigen“. Denn: Die Tötung Geras habe sich gegen seine Homosexualität gerichtet und sei von „Politik und Justiz depolitisiert“ worden – eine Haltung, die auch Heiko Koch vertritt, der sich seit Jahrzehnten mit dem Fall Gera beschäftigt.
Totschlag mit „rechtsradikalem Hintergrund“
Tatsächlich zeigt ein Blick in das WAZ-Archiv: Nach der Tat hatte der schwer verletzte Rentner angegeben, vier Skinheads hätten ihn verprügelt.
Doch erst, als Gera zwei Tage später im Krankenhaus starb, nahm die Polizei tatsächlich Ermittlungen auf und suchte die Täter mit „rechtsradikalem Hintergrund“, so gab die Polizei später selbst zu. Festgenommen und im April 1998 verurteilt wurden dann zwei geständige Täter: Patrick K. (26) und Uwe K. (35). Diese gaben in den Vernehmung selbst an, an den Baracken auf dem alten Kruppgelände „Sieg Heil“ gerufen, den Hitlergruß gemacht und sich betrunken zu haben.
Die Staatsanwaltschaft hatte wegen gemeinschaftlichem Mord angeklagt, „das Schwurgericht änderte die Anklage ab in ,gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge’, begangen im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit“, hieß es in einem WAZ-Prozessbericht. Die Täter wurden zu sechs Jahren beziehungsweise fünf Jahren Haft verurteilt. Aus Sicht des Gerichts hatte Patrick K. am Tatabend seinen nackten Oberkörper präsentiert, um den homosexuellen Gera zu provozieren. „Als G. tatsächlich der Verlockung nicht widerstand, hätten sie ihren Anlaß zum ,äußerst brutalen Zuschlagen’ gehabt“, heißt es im Bericht zum Gerichtsurteil.
Tatsächlich ist in dem Artikel auch von einem weiteren „Lehrstück aus der Serie: Die heillosen Folgen des Alkoholkonsums“ die Rede. Initiator Heiko Koch ist davon überzeugt, dass die Staatsanwaltschaft die Tat zu einem „Exzess unter Alkoholeinfluss“ gemacht hat. Staatsanwaltschaft und die lokale Presse hätten den „Mord“ entpolitisiert. Jahrelang habe die Tat in der Öffentlichkeit und Politik keine Rolle mehr gespielt, beklagt Koch. Er fordert eine neue Beurteilung der Tätermotive. Josef Gera gehöre in eine Reihe mit anderen Opfern rechter Gewalt gestellt.
„Dass wir hier stehen, ist unfassbar. Das, was hier passiert ist, ist unfassbar“, sagt Bildungsdezernent Dietmar Dieckmann bei der Gedenkfeier. Auch in Bochum müsse man sich fragen: „Wie gehen wir mit Hassverbrechen um?“ Daher erarbeite sein Dezernat derzeit auch ein entsprechendes Konzeptpapier.