Bochum. Bochum bringt geflüchtete Kinder und Jugendliche vorübergehend in Turnhallen unter. Das ruft scharfen Protest hervor. Zu Unrecht, so die Stadt.

Dass Bochum unbegleitete minderjährige Ausländer (UMA) in Turnhallen unterbringt, hat zum Teil heftige Kritik und Empörung hervorgerufen. Der Initiativkreis Flüchtlingsarbeit Bochum zeigt sich „entsetzt“ darüber. Ähnlich äußert sich der Flüchtlingsrat NRW: „Turnhallen sind keine kinder- und jugendgerechte Unterbringung“, sagt Birgit Naujoks.“

153 alleinreisende Kinder und Jugendliche in Bochum

Die Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats, der seinen Sitz in Bochum hat, spricht allerdings auch von einer Sondersituation, die sich durch die Funktion der Stadt als Erstaufnahmestation für unbegleitete Minderjährige in NRW ergebe. Das sei nicht mit anderen Kommunen vergleichbar. Gleichwohl: Auch der Flüchtlingsrat drängt auf andere Lösungen. Nutzräume würden die Privatsphäre noch stärker reduzieren und ließen das Konfliktpotenzial wachsen, heißt es in einer Erklärung, die er vor einigen Tagen anlässlich des Weltkindertages veröffentlicht hat.

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153 Kinder und Jugendliche sind nach Auskunft von Sozialdezernentin Britta Anger derzeit in Obhut der Stadt Bochum; der überwiegende Teil vorübergehend, da die Stadt für die Erstbetreuung unbegleiteter Minderjähriger in NRW zuständig ist. Untergebracht sind sie u. a. in der Turnhalle am Westring (Innenstadt; 53) in der Pestalozzi-Turnhalle in Weitmar (47) und in Essen. Dort sei kurzfristig in Brückenprojekt von Plan B aufgestockt worden. Vor allem die jüngeren Kinder seien von Bochum dorthin gebracht worden. Vorsorglich eingerichtet für die vorübergehende Aufnahme wurde außerdem die Turnhalle der Realschule Höntrop. Denn: Allein am Wochenende hat es 30 Neuankömmlinge gegeben.

Initiativkreis sagt, Stadt verletze eigene Standards

Scharf kritisiert wird die Stadt vom Initiativkreis Flüchtlingsarbeit Bochum. Die Unterbringung von alleinreisenden Kindern und Jugendlichen in Turnhallen verletze jegliche Standards, die sich Bochum auch selbst gegeben habe. „In Turnhallen gibt es für die Jugendlichen und Kinder keine Privatsphäre, keine Ruhe, keine ausreichenden Sanitäranlagen, keinen hinreichenden Infektionsschutz und keine angemessene medizinische, psychologische und soziale Versorgung“, heißt es in einer Erklärung. Und: „Turnhallen bieten kein adäquates Umfeld für geflüchtete Kinder und Jugendliche und die Stadt Bochum bricht mit diesem Vorgehen eindeutig Grundsätze der Kinderrechtskonvention.“

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Dem widerspricht die Sozialdezernentin entschieden: „14- bis 18-Jährige für zehn bis 14 Tage in einer Turnhalle unterzubringen, ist nicht schön, aber aus meiner Sicht vertretbar. Ein Verstoß gegen die Kinderrechtskonvention wäre es, sie auf der Straße übernachten zu lassen.“

Stadt prüft andere Unterbringung im ehemaligen Frauenhaus

Auch die Kritik von Initiativkreis und Flüchtlingsrat, Bochum habe es versäumt, rechtzeitig geeignete Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen, lässt sie nicht gelten. „Für Außenstehende mag das manchmal anders aussehen. Aber wir bemühen uns seit langem intensiv um gute Lösungen.“ Größere räumliche und personelle Kapazitäten vorzuhalten, die mitunter für längere Zeit gar nicht genutzt werden, sei aus zwei Gründen nicht möglich: Sie werden nicht refinanziert. Und die Träger der Betreuung könnten nicht Personal vorhalten, dass zeitweise keine Beschäftigung habe. Im Übrigen sei für niemanden voraussehbar gewesen, dass kurzfristig neue Fluchtrouten etwa über die Türkei und Serbien zu einem Anstieg der Fluchtbewegung führen würde.

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Gleichwohl reagiert das Sozialdezernat offenbar auf die Kritik. Geprüft wird, ob eine früher für erwachsene Flüchtlinge genutzte Immobilie an der Kemnader Straße und das ehemalige Frauenhaus für die Unterbringung unbegleiteter Minderjähriger in Frage kommt. Auch gibt es Bemühungen, weitere Brückenprojekte in Nachbarstädten zu finden.

Ministerium appelliert an Städte

Aus dem Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration habe es derweil einen Appell an die NRW-Kommunen gegeben, weitere alleinreisende Minderjährige aufzunehmen. Bochums Sozialdezernentin hat außerdem die Zusage des Landschaftsverbandes Rheinland, der für die Verteilung der UMA in NRW zuständig ist, dass diese nach Prüfung ihrer Verfahren binnen eines Tages von den aufnehmenden Städten übernommen werden müssen. Hilfreich wäre es außerdem, so Anger, wenn zumindest vorübergehend eine andere Kommune die Erstaufnahme der unbegleiteten Minderjährigen übernehmen würde.

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Grüne pochen auf Unterstützung des Landes

Ihr zur Seite springt die Grünen-Fraktion im Rat: „Wir wissen auch von den intensiven Bemühungen der Sozialverwaltung, die Situation für diese Menschen zu verbessern. Dies betrifft vor allem die Unterbringungssituation“, sagt die sozialpolitische Sprecherin Sonja Lohf. Ihr Blick richtet sich nach Düsseldorf. „Wir brauchen nun umgehend auch die Unterstützung des Landes und ihre Mithilfe, um zukünftig mehr Kapazitäten vorzuhalten.“

Das sei grundsätzlich vielleicht möglich, sagt Birgit Naujoks vom Flüchtlingsrat NRW. Allerdings hat sie nicht allzu viel Hoffnung, dass es sich – selbst wenn der Wille dazu da wäre – kurzfristig umsetzen lässt. Denn: Auch andere Kommunen stünden vor dem Problem, die nötigen Kapazitäten dafür zu schaffen.