Bochum. Zum Schutz vor sexualisierter Gewalt müssen alle Ehrenamtlichen und Kirchen-Mitarbeitende ins Seminar. So wird der Kurs angenommen.

Vom Friedhofsgärtner bis zur Pfarrerin – alle müssen durch. Der evangelischen Kirche in Bochum steht eine Mammutaufgabe ins Haus. Jede und jeder haupt- oder ehrenamtliche Mitarbeitende muss eine Schulung zur Prävention von sexualisierter Gewalt absolvieren. Das schreibt ein neues Kirchengesetz der westfälischen Landeskirche vor. Sich auf die verpflichtenden Kurse einzulassen, fällt nicht allen Mitgliedern des Kirchenkreises leicht.

Missbrauch: Evangelische Kirche Bochum organisiert verpflichtende Seminare

Zwei Schulungsteilnehmer stehen im Abstand von drei Metern einander gegenüber. Dann darf die Eine nach vorn gehen, so viele Schritte auf den Anderen zu, wie es ihre innere Grenze vorgibt. Das Gefühl für die eigene Grenze entwickeln und den Nahbereich des anderen zu sehen: Es ist eine kleine, unspektakuläre Übung, mit der die Teilnehmenden in den Kurs starten – und doch macht sie das Thema Grenzverletzungen für die Mitarbeitenden in Bochums evangelischen Gemeinden greifbar.

Multiplikatorinnen Kathrin Bick (rechts) und Ruth Ditthardt führen die Schulungen am liebsten zu zweit durch. „Wir müssen davon ausgehen, dass in jeder Gruppe auch Betroffene sitzen.“ In solchen Fällen sei es gut, sich aufzuteilen und die Betroffenen zu unterstützen.
Multiplikatorinnen Kathrin Bick (rechts) und Ruth Ditthardt führen die Schulungen am liebsten zu zweit durch. „Wir müssen davon ausgehen, dass in jeder Gruppe auch Betroffene sitzen.“ In solchen Fällen sei es gut, sich aufzuteilen und die Betroffenen zu unterstützen. © FUNKE Foto Services | Dietmar Wäsche

Bei Andreas Meredig hat die Schulung einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Als Mitglied im Kreissynodalvorstand gehörte er zu den ersten Mitarbeitenden, die geschult wurden. „Ich bin mit einer bestimmten Vorstellung davon, was sexualisierte Gewalt ist, in den Kurs reingegangen“, schildert Meredig. Doch im Zuge des Seminars habe dann festgestellt, dass die Schwelle für Grenzverletzungen viel niedriger ist, als er bislang annahm.

„Ich habe ein Gespür dafür bekommen, dass wir es mit einem Problem zu tun haben, das in der gesamten Gesellschaft vorherrscht. Wir können also nicht sagen, bei uns passiert das nicht’“, so Meredig. Die Schulung trage dazu bei, eine „Kultur des Hinsehens“ im Kirchenkreis zu entwickeln.

„Für Jugendliche und Betreuer sind Grenzverletzungen immer ein Thema“

Ob Jugendleiter, Verwaltungsmitarbeitende oder Reinigungskräfte aus den Kirchengemeinden – die beiden Multiplikatorinnen Kathrin Bick und Ruth Ditthardt passen die Schulungen auch an die Teilnehmenden an, je nach Arbeitsbereich und Vorkenntnissen.

„Als Kirche haben wir die Pflicht, dafür zu sorgen, dass diejenigen, die zu uns kommen, so sicher wie möglich sind“, sagt Pfarrerin und Synodalassessorin Diana Klöpper.
„Als Kirche haben wir die Pflicht, dafür zu sorgen, dass diejenigen, die zu uns kommen, so sicher wie möglich sind“, sagt Pfarrerin und Synodalassessorin Diana Klöpper. © FUNKE Foto Services | Dietmar Wäsche

Referentin Kathrin Bick hat die Erfahrung gemacht, dass die jungen Ehrenamtlichen viel offener in die Präventions-Schulung gehen, als ältere beziehungsweise hauptamtliche Kirchenmitarbeitende. „Für Jugendliche und Betreuer sind Grenzverletzungen immer ein Thema – einige haben das auch schon selbst erlebt“, fügt Ruth Ditthardt hinzu, die auch als Jugendreferentin für den Kirchenkreis arbeitet.

Der Sinn der verpflichtenden Schulung habe sich nicht allen Kirchenkreis-Mitgliedern auf Anhieb erschlossen. „Eine Verwaltungsangestellte fragte mich zu Beginn, was das hier soll. Sie arbeite doch gar nicht mit Kindern, sondern in der Verwaltung der Gelder“, berichtet Bick. Am Ende des Kurses habe die Mitarbeiterin aber begriffen, dass sie selbst aus dem Fenster einen Blick auf die Jugendgruppe werfen könne, um auf mögliche Vorfälle aufmerksam zu werden. In jedem Kurs bekämen die Referentinnen an der einen oder anderen Stelle den Satz zu hören: „Wenn das auch nicht okay ist, dann darf man ja bald gar nichts mehr machen“. Die Referentinnen machten den Teilnehmenden dann klar, dass Gutgemeintes nicht immer gut für das Gegenüber sei.

Am Ende seien rund 90 Prozent der Geschulten erleichtert und dankbar für den Kurs. „Die Leute wissen, dass sie mit ihrem Bauchgefühl richtig liegen und was sie in diesem Fall zu tun haben“, sagt Bick.

„Wenn ihr das Gefühl habt, da stimmt etwas nicht – geht zur Meldestelle!“

Im Seminar werden auch Täterstrategien sowie die Meldestelle besprochen, an die sich Zeugen eines Übergriffs wenden können. „Die Meldepflicht bei einem Verdacht ist bei uns sehr niedrig angesetzt. Wir sagen: ,Wenn ihr das Gefühl habt, da stimmt etwas nicht – geht zur Meldestelle’“, sagt Diana Klöpper, Stellvertreterin des Superintendenten, die den Themenbereich koordiniert. Dort sitze eine Fachkraft, die dann prüfe, ob ein Verstoß gegen die sexuelle Selbstbestimmung vorliegt. Wenn dem so ist, gehe ein Automatismus los, inklusive Personalgespräch und Freistellung, wenn nötig. Vor dem neuen Kirchengesetz sei das nicht klar geregelt gewesen.

Die drei Säulen des Gesetzes sehen vor, Führungszeugnisse von allen Mitarbeitenden einzuholen, die Schulungen durchzuführen und Schutzkonzepte zu entwickeln. „Um Übergriffe zu verhindern, versuchen wir sichere Räume zu schaffen: Wir entwickeln also Lösungen, beispielsweise wenn bei einer Jugendfreizeit nur eine Dusche zur Verfügung steht“, sagt Ditthardt. Auch achte man darauf, dass es nicht nur einen Betreuer bei bestimmten Projekten gebe, um Machtmissbrauch vorzubeugen. Jugendleiterinnen und -Leiter würden beispielsweise auch darauf hingewiesen, nicht mit Konfirmanden per Whatsapp zu schreiben.

Es gehe ihnen nicht darum, alle Mitarbeitenden unter einen Generalverdacht zu stellen. „Wir wollen einfach sicher und transparent sein“, fügt Bick an. „Die Leute denken, sie würden Täter erkennen“, schildert Klöpper. Immer, wenn doch einer auffliege, beteuere das Umfeld, dabei habe es sich um so eine nette Person gehandelt. „Täter passen nicht in eine Schublade.“ Klöpper hofft, dass Täterinnen und Täter eine – künftig – so sensibilisierte Institution meiden. Eine offene Gesprächskultur, in der die eigenen Grenzen respektiert werden, wirke sich auch direkt auf die Kinder in den Gemeinden aus. „Die merken das und trauen sich dann auch, etwas zu sagen, wenn ihnen etwas nicht gefällt.“