Duisburg. Die katholische Kirche will sich besser um ihre Missbrauchsopfer kümmern. Auch in Duisburg leben Betroffene. Für sie gibt es neue Hilfsangebote.

Macht, Missbrauch, sexualisierte Gewalt und Vertuschung – die katholische Kirche muss sich seit Jahren mit diesen Vorwürfen auseinandersetzen. Jetzt bröckelt die Mauer des Schweigens. „Man hat nicht auf die Opfer geschaut“, räumt aktuell der Jesuit und päpstliche Berater Hans Zollner ein. Das soll sich jetzt ändern. Auch für viele Duisburger Missbrauchsopfer. Sowohl das Bistum Essen, als auch das Bistum Münster, die beide für Duisburg zuständig sind, bieten konkrete Hilfe unterschiedlicher Art an.

Ganz neue Wege geht dabei das Bistum Essen. Es hat einen Kooperationsvertrag mit der Duisburger Praxis für Sexualität geschlossen und bietet Betroffenen und ihren Angehörigen die Möglichkeit, sich kostenlos und unverbindlich informieren und beraten zu lassen. Dieses Angebot wird vom Bistum Essen finanziert. „Aber wir erfahren nicht, wer sich beraten lässt“, betont der Interventionsbeauftragte Simon Friede. „Das ist uns ganz wichtig.“

Praxis für Sexualität: Niederschwelliges Angebot in Duisburg

Der 33-Jährige ist Sozialarbeiter und Sozialpädagoge, hat viele Jahre praktischer Arbeit hinter sich. Beruflich hat er sich intensiv mit sexualisierter Gewalt befasst. Großes Lob hat er übrig für die Offenheit von Bischof Franz-Josef Overbeck und Generalvikar Klaus Pfeffer, „die vorbehaltlos und mit vielen Hilfsangeboten an die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle gehen.“

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Das Bistum Essen erhofft sich durch die Praxis für Sexualität ein niederschwelliges Angebot für die Betroffenen. „Natürlich können sich die Opfer auch weiterhin an unsere Ansprechpersonen oder auch direkt an mich wenden“, sagt Simon Friede. „Doch gerade nach einer Leidensgeschichte mit der Kirche suchen viele Missbrauchs-Opfer zunächst lieber eine unabhängige Einrichtung auf“, beschreibt er die Erfahrungen des Bistums und den Grund für die Zusammenarbeit mit der Duisburger Praxis. Dort gebe es nicht nur ein offenes Ohr, sondern auch unmittelbar die Möglichkeit, fachkundige Beratung und Hilfe zu bekommen.

Allerdings wenden sich auch Betroffene selbst an den Fachmann. „Es gibt eine Reihe an Fällen, die sich tatsächlich auf die 60er und 70er Jahre beziehen, aber auch durchaus neue Fälle, die jüngere Menschen betreffen.“ In der Regel sind es Opfer, die direkt im Kirchenumfeld Missbrauch erfahren haben, aber auch vereinzelt andere Vorkommnisse, die im weiteren Sinne mit Kirche zu tun haben. Auch da werde geholfen.

Priester machte Missbrauchsopfer zur Täterin

So ist eine Frau, die in einem streng katholischen Haushalt aufgewachsen ist, in der eigenen Familie missbraucht worden, schildert der Interventionsbeauftragte. In ihrer Not habe sie sich vertrauensvoll an einen Priester gewandt. „Der hat dann das Opfer zum Täter gemacht und angeboten, ihr die Beichte abzunehmen. Denn Missbrauch in der eigenen Familie sei Sünde. So ein Verhalten geht natürlich überhaupt nicht.“ Das mache auch den Interventionsbeauftragen fassungslos.

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Um den Opfern endlich Hilfe anzubieten, habe Bischof Overbeck angeregt, einen Betroffenenbeirat zu gründen, der seine Wünsche und die weitere Vorgehensweise selbst formuliert. „130 Personen, von denen wir Namen und Adresse kennen, haben wir angeschrieben. An Fällen sind es deutlich mehr, aber die 130 Menschen konnten wir erreichen“, berichtet Simon Friede. 70 von ihnen haben Interesse an Gesprächen gezeigt und 40 schließlich am 27. November 2021 einen Beirat gegründet.

Eins sei klar, sagt der Interventionsbeauftragte des Bistums Essen. Um Einzelfälle in der Kirche handele es sich nicht. Wichtig sei es jetzt, den Opfern, die sexuelle Gewalt erfahren haben, zuzuhören und sie selbst entscheiden zu lassen, wer sie bei der Aufarbeitung beraten und wer helfen soll, die Wunden der Vergangenheit zu lindern. Welche Last durch einen Missbrauch ein ganzes Leben lang auf den Opfern lastet, weiß Simon Friede genau. „Ganz häufig beginnen die Gespräche unglaublicherweise mit einer Entschuldigung.“

Bistum Münster: Auch Opfer aus Duisburg kontaktiert

Für die meisten gibt es eine ganz große Hürde, über ihre Erfahrungen zu sprechen, dazu gehört viel Mut. Meistens bedarf es einer langen Vorlaufzeit und viel Vertrauen, bis sie sich ein Herz fassen, über ihren Missbrauch zu reden. „Wir wollen in erster Linie zuhören, denn es gehört sich für uns nicht zu sagen, es wird wieder gut. Das kann die Praxis für Sexualität sagen, aber nicht wir.“ Bischof Overbeck selbst hat den Betroffenen das Angebot gemacht, persönlich mit ihm zu reden, wenn Bedarf besteht.

Die Praxis für Sexualität in Duisburg-Homberg bietet Opfern des Missbrauchs durch Priester Hilfe an.
Die Praxis für Sexualität in Duisburg-Homberg bietet Opfern des Missbrauchs durch Priester Hilfe an. © FUNKE Foto Services | Volker Herold

Bistum Münster: 217 Missbrauchsopfer angeschrieben – auch in Duisburg

Auch das Bistum Münster ist bei der Aufarbeitung der vielen Missbrauchsfälle aktiv geworden. „Wir arbeiten mit zwei unabhängigen Stellen zusammen und haben mit ihnen Kooperationsverträge“, erklärt Stephan Baumers, Assistent in der Intervention. Auch im Bistum Münster übernimmt die Kosten für Beratung und Hilfe das Bistum. „Wir haben 217 Personen angeschrieben, von denen wir wissen, dass sie Missbrauch erfahren haben. Darunter sind im niedrigen zweistelligen Bereich Duisburger.“

Eingeladen hatte das Bistum für Samstag, 5. Februar, nach Münster. „Viele kommen von weither. Aus dem Norden Deutschlands, aber auch aus Spanien. Die Kosten, auch für die Hotelübernachtung, werden vom Bistum übernommen. Das haben wir im Auftrag der Betroffenen gemacht, von kirchlicher Seite ist bei dem Treffen niemand dabei“, sagte Baumers vorab. „Natürlich können sich die Opfer auch jederzeit an uns wenden.“ Wichtig sei es, dass sich die Menschen untereinander kennenlernen und formulieren, was ihnen in der Aufarbeitung wichtig ist.

>>PRAXIS FÜR SEXUALITÄT: INFOS UND KONTAKT

• Infos zur Praxis für Sexualität gibt es online unter www.praxis-sexualitaet.de. Sie befindet sich an der Baumstraße 33 in Alt-Homberg.

• Das Team ist telefonisch unter 02066 99 35 656 zu erreichen sowie per E-Mail unter info@praxis-sexualitaet.de.