Bochum. Der Präsident der Technischen Hochschule (THGA) in Bochum geht in den Ruhestand. Über eine große Umstrukturierung und zwei große Glücksmomente.
Während der Amtszeit von Jürgen Kretschmann an der Technischen Hochschule Georg Agricola (THGA) hat es vier Rektoren an der Ruhr-Universität gegeben und mehrere Präsidenten an der Hochschule Bochum. Der 63-Jährige ist der am längsten amtierende Präsident einer Hochschule in ganz Nordrhein-Westfalen. Nun geht er in den Ruhestand. Im Interview mit WAZ-Redakteurin Carolin Rau blickt er zurück auf die große Herausforderung, eine Hochschule in einer sehr schwierigen Zeit komplett umzukrempeln – und auf bewegende Ereignisse.
16 Jahre sind eine sehr lange Zeit. Wenn Sie zurückblicken – was waren die schönsten Momente?
Ein besonderer Moment, den ich mein Leben lang nicht vergesse, war mein erster Bochumer Hochschulball im Jahr 2007. Ich war gerade neu und man sagte mir: „Du darfst den nun eröffnen.“ Ich wusste weder, was der Hochschulball ist, noch hatte ich je einen Ball eröffnet und tanzen konnte ich auch nicht. Um 0 Uhr, beim Feuerwerk, da habe ich das erste Mal realisiert, was für einen tollen Job ich hier habe, das war ein wirklicher Glücksmoment.
Zukunft der Technischen Hochschule in Bochum war lange unklar
Das war kurz nachdem Sie zur THGA gekommen sind. Gab es Momente, die an diesen herangekommen sind?
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Der zweite Glücksmoment war die 200-Jahr-Feier im Jahr 2016. Das war besonders, nicht nur wegen des Jubiläums an sich. Schon 2006 gab es Diskussionen um den Steinkohlenausstieg in Deutschland, 2007 wurde er beschlossen. Schnell kam die Frage auf: Wenn wir keine Steinkohle mehr fördern, wofür brauchen wir diese Hochschule noch? Die Zukunft war unklar.
Aber Sie haben an eine Zukunft geglaubt.
Ich habe gesagt, dass diese Hochschule jetzt wichtiger denn je ist. Sie lebt nicht von der Ausbildung für den Steinkohlenbergbau, sondern leistet einen besonderen Beitrag zur Ingenieursausbildung im Ruhrgebiet insgesamt. Ich stand 2007 vor der schwierigen strategischen Situation, die Hochschule umzukrempeln – weg vom Image der Bergbauschule, hin zu einer modernen Ingenieurschule, die offen für alle ist. Diese Öffnung der Hochschule hat es schließlich ermöglicht, dass wir die 200-Jahr-Feier machen konnten, am 15. April 2016.
Darauf haben Sie viele Jahre hingearbeitet.
Ja. Wir wussten dann, dass die THGA eine langfristige Perspektive hat – über das Ende der Steinkohlenförderung in Deutschland hinaus. Am selben Tag erfolgte auch die Umbenennung von der Technische Fachhochschule zur Technischen Hochschule. Dieser Tag war der Höhepunkt, das Beste in den 16 Jahren. Hinzu kommen zwei weitere besondere Aspekte.
Schwerpunkt Nachbergbau – ein Fach, das es vorher gar nicht gab
Welche sind das?
Als ich kam, da waren Nokia und Opel noch da, da war Bochum die Auto-Stadt und es gab eine große Distanz zwischen dem akademischen Leben und der Stadtgesellschaft. Ich bin stolz, dass wir es im Team aller Hochschulleitungen unter Federführung von Oberbürgermeisterin Dr. Scholz und Oberbürgermeister Eiskirch geschafft haben, dass Bochum sich heute als Univercity identifiziert, das ist sehr wichtig. Von Beginn an lag es mir außerdem am Herzen, eine internationale Hochschule zu schaffen, das ist gelungen.
Schwerpunkt der THGA ist der Nachbergbau – ein Forschungsfeld und Fach, das es gar nicht gab, als Sie 2006 starteten.
Über Jürgen Kretschmann
Jürgen Kretschmann (63) ist in Gelsenkirchen geboren und aufgewachsen. Heute lebt er in Wanne-Eickel. Er ist verheiratet, hat zwei Töchter und drei Enkelkinder.
Kretschmann hat Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten Aachen, Bochum und Dortmund studiert und an der Georg-August-Universität in Göttingen promoviert. Zum Professor wurde er 2005 an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen ernannt.
Zwischen 1990 und 2001 arbeitete Kretschmann in verschiedenen Positionen bei der Ruhrkohle AG, 2001 wechselte er in die Geschäftsführung der RAG Bildung GmbH. Seit 2006 ist er Präsident der Technischen Hochschule Georg Agricola, zum 31. August geht er in den Ruhestand.
Die Wissenschaft hat sich mit den Folgen des Bergbaus nicht beschäftigt, das war für uns eine große Chance. Wir haben den Masterstudiengang „Geoingenieurwesen und Nachbergbau“ ins Leben gerufen und das Forschungszentrum Nachbergbau gegründet, mit sehr großer Unterstützung der RAG-Stiftung, der wir sehr dankbar sind. Das Forschungszentrum hat mit zwei Personen begonnen, jetzt gibt es weit über 40 Expertinnen und Experten. Es ist ein Alleinstellungsmerkmal und weltweit einzigartig. Ein völlig neues Fach zu entwickeln, was es bisher nicht gab, das war eine schöne spannende Aufgabe, die mir viel Spaß gemacht hat.
Sie haben in 16 Jahren an der THGA und auch davor vieles erreicht und umgesetzt. Was sind Ihre Beweggründe?
Ich bin zutiefst von der Aussage „Engineering for a better world“ überzeugt. Dass Ingenieurinnen und Ingenieure einen Beitrag leisten können, der die Welt verbessert – an ihrem Arbeitsplatz, in ihrer Stadt, in ihrem Umfeld. Durch Kreativität und Innovation leisten sie einen Beitrag zum Fortschritt. Es macht einfach Sinn, Ingenieurinnen und Ingenieure für eine bessere Welt auszubilden. Doch wir können als Hochschule noch mehr tun, als nur gute Fach- und Führungskräfte auszubilden.
Zum Beispiel?
Wir leisten auch in der Forschung vieles und haben spannende Projekte. Zum Beispiel in Kooperation mit dem „Tierpark + Fossilium Bochum“. Hier überwachen Messstationen, die an unserer Hochschule entwickelt wurden, die Wasser- und Luftqualität von verschiedenen Aquarien und Terrarien. So wird sichergestellt, dass die Tiere ideal versorgt und geschützt sind. Wir haben auch ein ganz neues Projekt mit der Stadt Bochum. Es geht darum, wie Stadtbäume effektiv gegossen werden können. Die Frage ist immer: Wie können wir einen positiven Beitrag für die Gesellschaft leisten?
„Ich habe viele Ideen“
Susanne Lengyel von der Hochschule Hamm-Lippstadt tritt zum 1. September ihre Nachfolge an. Welche Herausforderungen werden auf sie als neue Präsidentin zukommen?
Hochschulen müssen jetzt den drei großen Trends nachgehen. Das ist die Digitalisierung. Zudem werden die Integrationsaufgaben im Zuge der Internationalisierung der Hochschule zunehmen. Hier sind wir schon jetzt sehr gut aufgestellt. Der dritte Punkt ist, die Nachhaltigkeit zu leben. Im kommenden Jahr wird zum Beispiel der neue Studiengang „Climate Change Management“ starten. Der Klimawandel und die Frage, was man dagegen tun kann, wird in den nächsten Jahren eine lebenswichtige Aufgabe sein, die vor allem Ingenieurinnen und Ingenieure bewältigen können.
Was haben Sie persönlich für die Zeit des Ruhestandes geplant?
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Die Wissenschaft hört nicht auf, weil man pensionsberechtigt ist, ich habe viele Ideen. In der Zeit als Hochschulpräsident habe ich viel gelernt. Dieses Wissen möchte ich an Dritte weitergeben, in den Ländern, in denen es besonders wichtig ist. Zum Beispiel möchte ich in Afrika beim Aufbau von Hochschulstrukturen helfen. Anfang September geht es dafür nach Namibia.