Essen. Die RAG-Stiftung plant für die Zeit nach der Kohle – und zieht mit Blick auf Evonik und Vivawest Bilanz. Im Fokus auch: das Colosseum-Projekt.

Wenn Bernd Tönjes als Chef der RAG-Stiftung Bilanz zieht, hat er es mit einer breiten Themenpalette zu tun. Sie reicht vom Stiftungsvermögen mit Revierkonzernen wie Evonik und Vivawest über ehemalige Bergbauflächen und das Grubenwasser-Management bis zum Schalke-Sponsoring und der künftigen Nutzung der früheren Musical-Immobilie Colosseum in der Essener Innenstadt. Als Nachfolger von Stiftungsgründer Werner Müller führt Tönjes aus seinem Büro in einem Gebäude auf dem Essener Zollverein-Areal ein weit verzweigtes Firmen-Konglomerat, das die Aufgabe hat, Geld für die sogenannten „Ewigkeitsaufgaben“ zu erwirtschaften, die nach der Schließung von Deutschlands Steinkohlenzechen entstanden sind.

Die Konten der Stiftung sind gut gefüllt. Beim Vermögen hat Tönjes trotz der Corona-Krise schon im Jahr 2020 erstmals die Marke von 20 Milliarden Euro geknackt. Ende 2021 waren es 21,3 Milliarden Euro. Es sei „ein sehr gutes Jahr für die RAG-Stiftung“ gewesen, berichtet Tönjes. Allein der Essener Chemiekonzern Evonik spülte mit seiner Dividende mehr als 300 Millionen Euro in die Kassen der RAG-Stiftung. 261 Millionen Euro kamen durch Verkäufe von Evonik-Aktien hinzu. Der Gelsenkirchener Wohnungskonzern Vivawest steuerte 56 Millionen Euro bei. Erträge aus Wertpapieren und Beteiligungen an weltweit rund 20.000 Unternehmen kamen nach Angaben der Stiftung hinzu, so dass unter dem Strich in der Bilanz Erträge in Höhe von knapp einer Milliarden Euro standen. Mit dem Geld finanziert die Stiftung unter anderem die Nachbergbau-Kosten des Zechenbetreibers RAG. Die „Ewigkeitsaufgaben“ schlugen im vergangenen Jahr mit rund 264 Millionen Euro zu Buche – das waren knapp 40 Millionen Euro weniger als im Vorjahr.

Etwa 27 Millionen Euro sind im vergangenen Jahr in regionale Projekte rund um Bildung, Wissenschaft und Kultur geflossen. 2022 und in den beiden Folgejahren sollen es etwas mehr werden – jeweils rund 32

RAG-Stiftungschef Bernd Tönjes: 2021 sei „ein sehr gutes Jahr für die RAG-Stiftung“ gewesen, sagt er.
RAG-Stiftungschef Bernd Tönjes: 2021 sei „ein sehr gutes Jahr für die RAG-Stiftung“ gewesen, sagt er. © FFS | Kai Kitschenberg

Millionen Euro. Erstmals unterstützt die Stiftung in diesem Jahr das traditionsreiche Klavier-Festival Ruhr als Hauptförderer. Auch die langjährige Kulturförderung der Ruhrfestspiele Recklinghausen, des Festivals Ruhrtriennale oder ausgewählter Ausstellungen auf dem Zollverein-Gelände und im Essener Museum Folkwang sollen fortgesetzt werden, berichtet Stiftungsvorstandsmitglied Bärbel Bergerhoff-Wodopia. Finanzchef Jürgen Rupp zeigt sich mit Blick auf die Kassenlage zuversichtlich. Er rechne für das laufende Jahr mit Erträgen von mehr als 600 Millionen Euro.

Eine herausragende Rolle für die Kalkulationen der Stiftung spielt der Essener Chemiekonzern Evonik. Im vergangenen Jahr machte die Dividende 43 Prozent der Erträge aus. Durch weitere Aktienverkäufe könnte die Stiftung ihre Einnahmen in die Höhe treiben. Vorstandschef Tönjes betont, die Stiftung wolle zwar unabhängiger von Evonik werden, habe aber „keine Eile“, wenn es darum gehe, den Anteil am Chemiekonzern zu reduzieren. „Evonik ist ein überaus erfolgreiches Unternehmen – und so soll es bleiben“, sagt er. „Bewährte Partnerschaften geben gerade in Krisenzeiten Verlässlichkeit und Stabilität.“

Brand belastet den Wohnungskonzern Vivawest

Nach Evonik ist der Wohnungskonzern Vivawest die zweitgrößte Beteiligung der Stiftung. Vivawest ist unlängst bei Schalke 04 als Trikotsponsor eingestiegen, als der russische Gaskonzern Gazprom nach dem Angriff auf die Ukraine „nicht mehr tragbar“ gewesen sei, wie es Tönjes formuliert. Angesichts des Schalker Aufstiegs in die 1. Fußball-Bundesliga zeichnet sich allerdings schon wieder ein Abschied von Vivawest als Hauptsponsor ab. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Vivawest tatsächlich Hauptsponsor sein kann in der Größenordnung 1. Bundesliga“, sagt Bärbel Bergerhoff-Wodopia, die auch Vivawest-Aufsichtsratschefin ist.

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Eine Belastung für Vivawest ist ein Großbrand am 21. Februar in einem Wohnkomplex nahe der Essener Innenstadt. Drei Menschen erlitten Rauchvergiftungen. An der Immobilie entstanden schwere Schäden. Bergerhoff-Wodopia betont, Untersuchungen hätten ergeben, dass alle Brandschutzauflagen eingehalten worden seien. Allerdings liegen ihren Angaben zufolge die Gutachten zur Brandursache noch nicht vor. Es bestehe weiterhin der Verdacht einer fahrlässigen Brandstiftung. Balkonverkleidungen hatten in der Februarnacht Feuer gefangen. „Um den Mietern in unmittelbarer Nachbarschaft Befürchtungen zu nehmen“, so die Managerin, habe Vivawest in der Nähe des vom Brand betroffenen Gebäudes „die Balkonverkleidungen sowie die Trennwände der Balkone kurzfristig entfernt“.

Beim Colosseum-Projekt in Essen „die Reißleine gezogen“

Beim geplanten Umbau des ehemaligen Musical-Theaters Colosseum in der Essener Innenstadt kommt die RAG-Stiftung nicht voran. Wegen der „enorm gestiegenen Preise in der Bauwirtschaft“ habe die Stiftung „die Reißleine gezogen“, erklärt Tönjes. Der bisherige Planungsprozess für ein großes Gründerzentrum im Colosseum ist erst einmal unterbrochen. Die Gründer-Plattform Bryck hat im benachbarten Medienturm die Arbeit aufgenommen. Die Stiftung prüfe, ob es „alternative Nutzungsmöglichkeiten“ für das Colosseum gebe, berichtet Tönjes. Erwogen werde auch, auf Umbauten zu verzichten.

Ob es möglich sei, Deutschlands Steinkohlenbergwerke wieder in Betrieb zu nehmen? „Die jetzt stillgelegten Zechen sind für immer verloren“, sagt Tönjes dazu. Das Wasser in den Schächten steige an. Es gebe zwar Kohle tief unter der Erde im Bereich Schermbeck und Olfen. Dafür seien aber neue Schächte erforderlich. Ein Bau würde wohl zehn Jahre dauern. Tönjes konstatiert, ein Steinkohleabbau in Deutschland sei daher nur eher eine „theoretische Möglichkeit“, die kurzfristig auch nicht helfen werde.

Im Fokus der Stiftung steht vor allem, was nach der Kohle kommt im Ruhrgebiet. So soll durch ein neues Grubenwasser-Konzept auch die Natur geschont werden, sagt Tönjes. Besonders sichtbar werde dies bei der Emscher. In den lange Zeit stark belasteten Fluss soll nach 150 Jahren ab September kein Grubenwasser mehr geleitet werden.