Bochum. Leonie hat einen Gendefekt. Ärzte gaben ihr keine Überlebenschance. Nun ist sie zwölf Jahre alt – ihre Familie spart für einen Assistenzhund.
Im Wohnzimmer von Familie Lehmann in Wiemelhausen schlabbert Hündin Nala Leonie mit der Zunge durchs Gesicht. Der pinke Rollstuhl mit den blinkenden Rädern ist beiseite geschoben, das Mädchen kniet auf dem Boden – und verzieht den Mund. Also Hunde-Spucke mag sie gar nicht! Die Hündin drückt die braune Schnauze wieder auf den Boden. Leonie streichelt das rot-gelbe Geschirr. „Medizinischer Assistenzhund“ steht drauf – das Tier ist „Azubi“.
Dass das Mädchen im sonnengelben Kleid und dem ebenso strahlenden Gemüt heute glücklich und munter im Wohnzimmer spielt, das hatten Ärzte vor zwölf Jahren nicht für möglich gehalten. Leonie Lehmann war mit einem seltenen Gendefekt auf die Welt gekommen, bei der Geburt hatte es zusätzliche Komplikationen gegeben. „Die Ärzte haben nicht damit gerechnet, dass sie lebend auf die Welt kommen wird“, sagt ihre Mutter Monika Lehmann.
Leonie verbringt viel Zeit im Krankenhaus
Die ersten Jahre waren schwierig, Leonie lag lange im Krankenhaus. Wohl als Folge der Geburt entwickelte sie eine Ataxie. Die Zwölfjährige ist ständig in Bewegung, Arme und Beine zucken unkontrolliert. Mit einem Jahr bekommt sie die Niere eines verstorbenen Kindes transplantiert. Viele Jahre später wird ihr Vater Thomas einen Teil seiner Leber spenden müssen. Wieder Krankenhaus.
Leonie besucht heute die Schule im Haus Langendreer, braucht im Alltag aber viel Hilfe. „Sie wird nicht alleine leben können“, sagt Mutter Monika Lehmann. Vielleicht komme später einmal ein betreutes Wohnen, eine Wohngemeinschaft infrage. Wer wisse schon, wie es in ein paar Jahren aussehe. „Sie ist ein Überraschungskind“, sagt Vater Thomas Lehmann (53), der als Physiotherapeut im Bergmannsheil arbeitet.„Sie will alles selber machen. Zum Glück ist sie nie frustriert.“
Assistenzhund soll dem Mädchen mehr Selbstständigkeit ermöglichen
Die Corona-Zeit ist schwierig für die Familie. Bei jedem Corona-Fall im Schulumfeld wurde der Unterricht an den Wohnzimmertisch verlegt. Zu fragil ist das Immunsystem der Zwölfjährigen nach zwei Transplantationen. „Jeder Infekt ist gefährlich für Leonie“, sagt ihre Mutter. Bei jedem Fieber die Sorge: Ist es die Reaktion des Körpers auf eines der gespendeten Organe?
Seltener Gendefekt
Leonie Lehmann hat ARPKD, eine autosomal rezessive polyzystische Nierenerkrankung. Jedes zweite Kind braucht bis zum 20. Lebensjahr eine Nierentransplantation. Allgemein sprechen Ärzte von einer verkürzten Lebenserwartung. Etwa eines von 20.000 Kindern ist betroffen.
Und doch ist es nicht die Sorge, die Leonies Leben prägt. Die Zwölfjährige reitet gerne, spielt Karten mit ihren Eltern und schwärmt für Schlager-Star Florian Silbereisen. Die Pubertät steht vor der Tür – und mit ihr der Wunsch nach mehr Selbstständigkeit. Familie Lehmann hat sich deshalb auf die Suche nach einem Assistenzhund gemacht. Der soll sie irgendwann etwa beim Einkaufen begleiten oder beim Anziehen helfen.
Lange und vergebliche Suche nach einem ausgebildeten Tier
Fast anderthalb Jahre hatte die Familie nach einem fertig ausgebildeten Tier gesucht. „Die Wartezeit dafür beträgt vier bis fünf Jahre“, erzählt die Mutter. „Aber wir brauchen den Hund jetzt. Leonie muss jetzt Vertrauen in ihre Selbstständigkeit entwickeln.“ Nun ist die sieben Monate alte Nala eingezogen und wird von der Familie und einer Hundetrainerin zum Assistenzhund ausgebildet.
Das Problem: Gesetzliche Krankenkassen würden nur die Kosten für einen Blindenhund übernehmen. Mit etwa 12.000 Euro rechnet die Familie für Training, Tierarzt-Kosten und die Prüfungen. Die muss Hündin Nala bestehen, damit sie Leonie etwa in den Supermarkt begleiten darf. „Wir werden das irgendwie stemmen“, sagt Vater Thomas Lehmann. „Aber das ist schon viel Geld.“ Die Familie hat ein Konto eingerichtet, auf das Freunde und Nachbarn für die Ausbildung spenden.
Im Wohnzimmer der Lehmanns liegt Hündin Nala wieder unter dem Tisch, es gibt Leckerchen. Auch Leonie hat wieder Hunger. In wenigen Tagen muss das Mädchen wieder ins Krankenhaus. Die nächste große Operation steht bevor – ein Zugang zur Blase muss gelegt werden. Danach geht Nalas Ausbildung weiter.