Bochum. Schock-Ausstellung in der Bochumer City: In einem Schaufenster wird eine Puppe als Missbrauchsopfer inszeniert. Die Reaktionen: widersprüchlich.

Entsetzt, ratlos, nachdenklich: Widersprüchlich fallen die ersten Reaktionen auf eine Installation aus, die der Bochumer Künstlerbund in der Innenstadt zeigt. Im Blickpunkt: eine weibliche Schaufensterpuppe, ohne Kopf, blutend und als Missbrauchsopfer inszeniert. Die Hilfsorganisation „Wildwasser“ äußert Zweifel an der Präsentation.

„Candyfloss for Patriarchy“ (Zuckerwatte für das Patriarchat) heißt die Ausstellung, die bis Ende Juli im Schaufenster eines leerstehenden Ladenlokals an der Kortumstraße 49 zu sehen ist. Sie animiere „zum Nachdenken über sexualisierte Gewalt an Frauen“, sagen die Künstlerinnen Simone Neumann-Salva und Silvia Szlapka, deren gemeinsames Projekt durch ein Stipendium des Landes NRW gefördert wurde.

Schock-Ausstellung in Bochum soll sexualisierte Gewalt sichtbar machen

Gewalt gegen Frauen ist meist sexualisierte Gewalt, oft verübt vom Lebenspartner oder nahestehenden Verwandten. Die Taten hätten häufig verhindert werden können“, meint Simone Neumann-Salva. Doch vielfach werde wegguckt und verdrängt; die Frauen würden als Mitschuldige diskriminiert. „Erschreckend, dass sich so wenig daran ändert.“

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Großformatige Bilder sollen die widersprüchlichen Anforderungen an Frauen und ihre Körper nachzeichnen: „selbstbewusst, aber nicht zu aggressiv; gestylt, aber bloß nicht billig“. Die Puppe, in Opferpose auf dem Boden liegend, rückt das Verbrechen an Körper und Seele drastisch und provokativ in den Vordergrund – samt blutroter Verletzung am Oberschenkel.

Kopflose Puppe hat Lineal zwischen den Schenkeln

Warum ist die Puppe kopflos? Die missbrauchte Frau solle bewusst ohne Gesicht und damit anonym bleiben. Zudem solle eine Verwechslung mit einer Sex-Puppe vermieden werden, erläutert Simone Neumann-Salva. Warum klemmt ein Lineal zwischen den Schenkeln? Ein kritischer Hinweis auf Thigh Gap, eine Oberschenkel-Lücke, die vielen Frauen „irrsinnigerweise“ als erstrebenswertes Körperideal gilt. Und warum die 20 blau und rot beschmierten Damenbinden vorn im Fenster? Ein ironischer Seitenhieb auf die blütenweiße TV-Reklame, die mit Farbflüssigkeiten für die Hygieneprodukte wirbt.

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Verstärkte Aufmerksamkeit durch Bochum-Total-Festival

Ein Zufall sei das Zusammentreffen der Ausstellung mit Bochum Total, sagt Simone Neumann-Salva, zeigt sich aber erfreut, dass die Installation während des Festivals mit mehr als 500.000 erwarteten Besuchern damit eine noch größere Aufmerksamkeit erfahren werde.

Zahl der Sexualdelikte ist 2021 gestiegen

Die Zahl der „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ ist 2021 deutlich angestiegen: von 410 auf 586.

Die Zunahme ist vor allem auf Delikte im Bereich der Kinderpornografie (von 105 auf 247) zurückzuführen. Bei den angezeigten Vergewaltigungen (41, Vorjahr 55) und Missbrauchsfällen bei Kindern (78, Vorjahr 75) gab es geringfügigere Änderungen.

Wer Hilfe sucht: Die Beratungsstelle „Wildwasser“ ist dienstags von 15 bis 17 Uhr und donnerstags von 11 bis 13 Uhr unter 0234/79 45 652 zu erreichen. Alle Infos: wildwasserbochum.de.

Am Freitag blickten zahlreiche Passanten in die Schaufenster. „Krass! Aber gut, dass sich die Kunst mit diesem Thema auseinandersetzt“, sagt die 27-jährige Simone Puchhill, die für BO-Total aus Österreich angereist ist. „Schäbig“, erwiderte eine 73-jährige Rentnerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will: „So etwas gehört nicht in die Öffentlichkeit!“

Elke den Brave vom Verein „Wildwasser“ äußert Zweifel an der Schaufenster-Ausstellung in der Bochumer Innenstadt.
Elke den Brave vom Verein „Wildwasser“ äußert Zweifel an der Schaufenster-Ausstellung in der Bochumer Innenstadt. © FUNKE Foto Services | Kerstin Buchwieser

Verein „Wildwasser“ äußert Zweifel an der Ausstellung

„Wildwasser“, die Bochumer Beratungsstelle für Opfer sexueller Gewalt und für Prävention, bewertet die Ausstellung zwiespältig. „Natürlich ist es wichtig und richtig, dieses Thema nicht unter den Teppich zu kehren“, betont Mitarbeiterin Elke den Brave. Missbrauch bedeute aber nicht nur – wie durch die Puppe symbolisiert – Vergewaltigung von Frauen, sondern beginne vielfach früher, in der Kindheit und Jugend.

Fraglich sei zudem, ob die Installation für jedermann sichtbar und zugänglich sein sollte. „Bei allem Respekt vor der Freiheit der Kunst“, so Elke den Brave: „Auf der Kortumstraße laufen ja auch viele Kinder an dem Schaufenster vorbei.“

Nächste Station der Kunstwerke ist das Frauenmuseum Bonn.