Bochum. Immer mehr Frauen werden Opfer von Gewalt. Auf einem Bochumer Pferdehof läuft eine außergewöhnliche Therapie. Ziel: neue Stärke zu gewinnen.
Mehr als 114.000 Frauen in Deutschland haben im vergangenen Jahr Gewalt durch ihren Partner erlitten. Oft wurden sie sexuell missbraucht. 122 Frauen starben. „Und das sind nur die offiziellen Zahlen. Die Dunkelziffer dürfte immens hoch sein“, befürchtet Elke den Brave. Als langjährige Mitarbeiterin der Beratungsstelle „Wildwasser“ weiß sie, welche Abgründe sich hinter allzu vielen, auch noblen Fassaden auftun. Die Opfer finden Unterstützung bei „Wildwasser“: neuerdings auch auf dem Hof „Pferdestärken“ in Kornharpen.
376. Die Zahl lässt erschaudern. 376 Bochumerinnen suchten im vergangenen Jahr den Rat des „Wildwasser“-Vereins mit Sitz an der Oberstraße in Langendreer. Das bedeutet: Täglich gibt es in unserer Stadt rein rechnerisch mindestens eine Frau, die sich offenbart, Hilfe sucht und annimmt, auch wenn nur die wenigsten aus Scham oder Angst eine Strafanzeige gegen ihren Peiniger stellen. Die werden offenbar immer mehr: „In diesem Jahr liegen wir bei den Beratungen schon jetzt deutlich über der Vorjahresmarke. Dabei stammen die Opfer und Täter aus allen gesellschaftlichen Schichten“, berichtet Elke den Brave.
Weihnachten ist es besonders schwer
Telefonberatung, persönliche Gespräche, Selbsthilfegruppen, Begleitung bei der Anzeigenerstattung und bei Bedarf auch später im Gericht, gemeinsames Drachenboot-Paddeln auf dem Kemnader See oder zuletzt die Gastro-Kampagne „Ist Luisa hier?“: „Wildwasser“, 1989 gegründet, ist mit zwei hauptamtlichen Mitarbeitern, zwei Mini-Jobbern und zahlreichen Ehrenamtlern im Einsatz, um den Frauen zur Seite zu stehen. Auch und gerade jetzt in der Weihnachtszeit. Viele fallen dann in ein Loch, schildert Mitarbeiterin Melanie Michel. Entweder der Gewalttäter hockt straf- und schamlos mit am Tannenbaum. Oder die Familie ist längst zerstört und das Opfer allein.
Stärke tut not. Neues Selbstbewusstsein, um zurück ins Leben zu finden. Kraft zur Gegenwehr. All das können Pferde vermitteln, versichert Lorena Schenuit, Leiterin des Reiterhofes „Pferdestärken“ am Kappweg in Kornharpen. Hier setzt „Wildwasser“ seit dem Frühjahr eine Therapie fort, die zuvor schon in Witten Erfolge zeigte und von den Profis als „Hilfe zur Selbsthilfe“ verstanden wird.
Pferd spiegelt bei der Therapie das eigene Verhalten
Es geht um Stärke und Vertrauen: Eigenschaften, die die Verbrecher den gedemütigten Frauen durch ein mitunter jahrelanges, nicht selten in die Kindheit und Jugend reichendes Martyrium geraubt haben. Stärke gewinnen sie, indem es gelingt, das Pferd durch ein Kommando oder einen ausgestreckten Arm auf Distanz zu halten: „Hier ist die Grenze!“ Die Frauen lernen: Ich weiche nicht (mehr) zurück. Ich schreite nach vorn! So stark, so sicher, dass das Pferd reagiert und mein Verhalten respektiert. Selbstwahrnehmung und Körpersprache sind elementar. „Das bringt den Frauen super viel“, beobachtet Therapeutin Eva Happ.
Stadtwerke spenden 5000 Euro
Der Verein „Wildwasser“ finanziert sich hauptsächlich durch Spenden. Umso dankbarer sind die Mitarbeiter, dass die Stadtwerke Bochum die Arbeit als Bürgerprojekt mit 5000 Euro unterstützen.
Alle Informationen über den Verein gibt es auf www.wildwasserbochum.de . Telefonisch sind die Mitarbeiter dienstags von 15 bis 17 Uhr und donnerstags von 11 bis 13 Uhr unter 0234/29 76 66 zu erreichen.
Mit zwei Gruppen ist „Wildwasser“ wöchentlich zu Gast bei den „Pferdestärken“. Was auf dem Reiterhof im sicheren Umfeld, mit den ausgebildeten Therapiepferden klappt, soll – endlich – auch im Alltag funktionieren. Hinzu kommt: Das Vertrauen, das so furchtbar enttäuscht und verletzt wurde, kehrt mit den Pferden zurück.
Es ist die Befreiung aus der Opferrolle hin zur Erkenntnis: Ich kann wieder eine Beziehung aufbauen, mir selbst helfen – und mich wehren, wenn’s darauf ankommt.