Bochum. Mahmut Günes aus Bochum wurde in der Türkei wegen „Terrorpropaganda“ verurteilt. Es drohte Gefängnis. Nun ist er wieder in Deutschland.

Monatelang hatte seine Familie in Bochum-Wiemelhausen um Mahmut Günes gebangt, der nach einem Urteil wegen „Terrorpropaganda“ in der Türkei festsaß. Der 46-Jährige hatte regierungskritische Tweets geteilt und war im Oktober bei seiner Einreise festgenommen worden. Seine Anwältinnen waren gegen das Urteil (zwei Jahre und neun Monate Haft) in Berufung gegangen, doch Günes durfte die Türkei nicht verlassen. Trotz politischer Unterstützung aus Deutschland und großem öffentlichen Interesse sah es schlecht aus – doch dann kam alles anders.

Am Dienstagmorgen sitzt Mahmut Günes auf dem orangefarbenen Sofa im Wohnzimmer des Einfamilienhauses in Wiemelhausen. In der Küche bereitet die Familie ein opulentes Frühstück zu. Ein Hund huscht durch den Raum. Der 46-jährige Günes genießt den Trubel und die vielen Menschen um sich herum sichtlich.

Noch vor einer Woche waren Sie dem türkischen Gefängnis sehr viel näher als einem Familien-Frühstück in Deutschland. Wie kommt es, dass Sie hier sind?

Sagen wir es einmal so: Ich bin nach Hause gegangen.

Mahmut Günes aus Bochum in Istanbul. Im Oktober wurde er in der Türkei festgenommen. 109 Tage saß er im türkischen Gefängnis.
Mahmut Günes aus Bochum in Istanbul. Im Oktober wurde er in der Türkei festgenommen. 109 Tage saß er im türkischen Gefängnis. © Günes

Wie kann ich das verstehen?

Nun, ich bin abgehauen. Ich wusste, dass ich etwas machen muss, wenn ich frei bleiben möchte. Wäre ich in der Türkei geblieben, dann wäre ich sicher im Juni zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden.

Sie haben allerdings eine Ausreisesperre, konnten also nicht einfach in Istanbul ins Flugzeug steigen.

Stimmt, das war unmöglich. Man hätte mich an der Grenze sofort festgenommen. Ich habe mir also ein Taxi zur bulgarischen Grenze genommen. Dort bin ich ausgestiegen und an einem langen Stau vorbei durch einen Wald gelaufen. Schon war ich aus der Türkei raus.

Hatten Sie denn keine Angst?

Nein. Ich musste ja irgendwas machen. Ich hatte nur einen kleinen Rucksack dabei. Die Taxifahrt zur Grenze dauerte dreieinhalb Stunden. Ich habe dem Fahrer erzählt, dass ich einen Kollegen in Bulgarien besuche, dann haben wir über die hohen Benzinpreise gesprochen. Es ist kein privates Wort gefallen.

Unterstützung von der Politik

Bundestagsabgeordneter Max Lucks (Grüne) hatte mit vielen anderen für die Freilassung von Mahmut Günes gekämpft. „Ich freue mich nach Monaten des Einsatzes, aber auch Bangens mit den Freunden und der Familie von Mahmut Günes, dass er nun endlich wieder seine Kinder in Bochum in den Arm nehmen kann.“

Der Bochumer war bei seiner Einreise in die Türkei im Sommer festgenommen worden.

Und an der Grenze...?

Auf türkischer Seite habe ich mich an den Kontrollen vorbeigeschlichen. Auf bulgarischer Seite wurde ich von Grenzern gefragt, was in Bulgarien möchte.

Was haben Sie geantwortet?

Es ist Ramadan, in der Türkei wird gefastet, alle Kneipen haben zu. Ich bin Tourist, habe ich erzählt und möchte jetzt in Bulgarien ein wenig Spaß haben.

Das hat geklappt, man hat sie durchgelassen.

„Herzlich Willkommen“, sagte der Mann. Es war sehr unkompliziert und ich war erleichtert, als ich die Türkei hinter mir gelassen habe. Mit dem Taxi bin ich dann noch vier Stunden nach Sofia gefahren, von dort wollte ich nach Hause fliegen. Ich hatte 24 Stunden nicht geschlafen. Dann habe ich meine Frau in Bochum angerufen.

Mitglieder von Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und Migrantenorganisationen hatten eine gemeinsame Mahnwache für den Bochumer Mahmut Günes veranstaltet.
Mitglieder von Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und Migrantenorganisationen hatten eine gemeinsame Mahnwache für den Bochumer Mahmut Günes veranstaltet. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Für Ihre Familie war es eine riesige Überraschung, dass Sie auf einmal „frei“ sind.

Ja, ich habe niemandem von meiner Idee erzählt. Ich war sogar für die kommenden Tage in der Türkei noch verabredet. Selbst meine Mutter und meine Schwester in der Türkei wussten nicht, dass ich fliehen möchte. Ich konnte mich nicht verabschieden, das nehmen sie mir übel. Ich habe meine halbe Familie in der Türkei zurückgelassen. Und diesen Teil werde ich für lange Zeit nicht mehr sehen. Das macht es sehr schwer für mich.

Warum war es keine Alternative für Sie, in der Türkei zu bleiben?

Es gibt in der Türkei kein Gesetz, das wirklich gilt. Das ist keine Demokratie. Das Land, das Leben dort sind wunderschön. Aber man ist dort nicht sicher. Wer Erdogan kritisiert, der kommt ins Gefängnis.

Wie sehen denn Ihre weiteren Pläne aus?

Ich werde eine Woche zu Hause bleiben. Dann gehe ich wieder arbeiten. Ich bin ja mit 20 Jahren nach Deutschland gekommen, habe lange als Pizzabäcker gearbeitet. Dann hatte ich in Herne meine eigene Pizzeria, die nun mein Schwager leitet. Da arbeite ich noch ab und an.

Am 15. Juni wird Ihr Fall in der Türkei erneut verhandelt. Wissen Sie, wie das laufen wird?

Meine Anwältinnen werden vor Ort sein. Manchmal laufen die Prozesse auch ohne Angeklagte, aber in der Türkei weiß man ja nie. Ich gehe davon aus, dass ich eine Strafe bekomme. Dann werde ich nicht in die Türkei reisen können, ohne bestraft zu werden. Oder vielleicht auch doch irgendwann mal. Man weiß ja nicht, was in der Türkei noch so passiert.