Bochum. Der Bochumer Mahmut Günes war in der Türkei im Gefängnis, weil er Texte bei Twitter geteilt hat. Nun ist er frei, aber ausreisen darf er nicht.

Es ist kalt geworden in Istanbul. In der Stadt, in der Pizzabäcker Mahmut Günes (46) aus Bochum-Wiemelhausen seit Monaten festsitzt. 109 Tage hat er nach dem Teilen von Erdogan-kritischen Twitter-Beiträgen im türkischen Knast verbracht. Den durfte er inzwischen verlassen, eine Ausreise aber ist weiter unmöglich. Im Video-Interview spricht der 46-Jährige mit WAZ-Redakteurin Karoline Poll über seine Zeit im Gefängnis, seine Wut über einen „politischen Prozess“ und über die Hoffnung, bald nach Deutschland ausreisen zu dürfen. Ein Übersetzer hilft bei schwierigen Passagen.

Das Gefängnis durften Sie verlassen, die Türkei nicht. Wo sind Sie gerade, Herr Günes?

Ich bin in der Wohnung eines Kollegen. Es ist wie ein Hotel hier für mich.

Womit verbringen Sie Ihre Zeit?

Ich lese ab und an ein Buch, besuche Freunde und Familie. Ich vermisse meine Familie in Deutschland.

Der Bochumer Mahmut Günes in der Wohnung eines Kollegen in Istanbul. Auch wenn er aus dem Gefängnis entlassen wurde, nach Deutschland ausreisen darf der 46-Jährige bis zu einem weiteren Gerichtstermin nicht.  
Der Bochumer Mahmut Günes in der Wohnung eines Kollegen in Istanbul. Auch wenn er aus dem Gefängnis entlassen wurde, nach Deutschland ausreisen darf der 46-Jährige bis zu einem weiteren Gerichtstermin nicht.   © Unbekannt | Günes

Sie waren auf der Hochzeit eines Neffen eingeladen, wollten danach Urlaub machen, als Sie im August dieses Jahres bei der Einreise in die Türkei festgenommen wurden. In der Anklage wurde Ihnen Terrorpropaganda vorgeworfen.

Ich habe auf Twitter Beiträge geteilt, in denen es um die Situation der Kurden etwa im Irak ging. Es waren vorwiegend Beiträge von kurdischen Schriftstellern und Journalisten. Was ich getan habe, wäre in Deutschland lachhaft. Das fällt unter die Meinungsfreiheit. Ich gehöre keiner Organisation an. Ich habe einfach nur seit 2011 ab und an etwas bei Twitter geteilt.

Und diese Beiträge hat man Ihnen vorgehalten?

Ja, genau. Man hat mir eine Akte vorgelegt. Das waren nicht viele Sachen. Ich habe das im Jahr vielleicht zwei oder drei Mal gemacht.

Wussten Sie, dass das bei der Einreise in der Türkei zum Problem werden könnte? Haben Sie sich denn vorher keine Sorgen gemacht?

Nein (schüttelt heftig den Kopf)! Ich habe mich auf die Hochzeit meines Neffen gefreut. Ich bin ganz normal – wie jedes Jahr – von Düsseldorf nach Kayseri in die Türkei geflogen. Gegen Mitternacht bin ich dort angekommen, dann hat man mich noch am Flughafen festgenommen. Jemand muss mich angezeigt haben.

Wie ging es dann weiter?

Ich habe eine Nacht auf der Polizeistation verbracht, dann bin ich ins Gefängnis gekommen. Man hat mich körperlich nicht schlecht behandelt, aber der psychologische Druck ist immens. Ich bin Kurde, so hat man mich auch behandelt.

Inwiefern?

Ich bin nie geschlagen worden oder so etwas. Aber wenn ich etwas wollte, zum Beispiel Sprudelwasser, dann hieß es immer, dass es das nicht gibt. Später wurde es dann noch schlimmer. Die ersten 18 Tage war ich in Einzelhaft. Es gab keine Informationen, keine Spaziergänge. Man ist den ganzen Tag allein. Das ist Folter.

Mehrere Anwälte kümmern sich um den Fall „Mahmut Günes“ in der Türkei.
Mehrere Anwälte kümmern sich um den Fall „Mahmut Günes“ in der Türkei. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Wie haben Sie sich in der Zeit in dem Hochsicherheitsgefängnis Kayseri-Bünyan beschäftigt?

Ich habe die Gespräche aus den Nachbarzellen belauscht und angefangen, das aufzuschreiben. Es waren Schmuggler, Drogenhändler neben mir untergebracht. Das war meine einzige Beschäftigung.

Nach den 18 Tagen in Einzelhaft sind Sie verlegt worden. Auf Ihren Wunsch hin wurden Sie gemeinsam mit anderen politischen Gefangenen untergebracht.

Dort war es wundervoll. Es sind alles intelligente und politisch interessiere Menschen dort gewesen, die fürs „Politischsein“ bestraft wurden. Es gab einen Tagesablauf mit Sport- und Lesezeiten. Ein gewählter Sprecher hat die Interessen der Gefangenen vertreten.

Im Oktober ist Ihr Fall schließlich vor Gericht verhandelt worden. Die Strafe: fast drei Jahre Haft. Hatten Sie und Ihre Anwälte damit gerechnet?

Überhaupt nicht. Meine Anwälte haben mir gesagt, dass sie höchstens mit drei Monaten Haft rechnen. Es war ein Schock. Sie haben mir die höchstmögliche Strafe gegeben und damit türkisches und internationales Recht gleichzeitig gebrochen. Die Strafe scheint mir vorher festgelegt gewesen zu sein. Im Prozess ist auf nix eingegangen worden. Ich habe mich total ausgeliefert gefühlt.

Politiker-Besuch in Istanbul

In der vergangenen Woche hat der Bochumer Bundestagsabgeordnete der Grünen Max Lucks die Türkei besucht. Im deutschen Generalkonsulat Istanbul traf er auch Mahmut Günes. „Der Prozess gegen ihn und seine Ausreisesperre soll ein Abschreckungssignal gegen kritische Stimmen sein. Doch wir lassen unsere Staatsbürger nicht alleine“, so Max Lucks über den Bochumer.

Nach einer Berufung sind Sie völlig überraschend aus der Haft entlassen worden. Bis zu einem erneuten Gerichtstermin dürfen Sie die Türkei aber nicht verlassen. Es gilt eine Ausreisesperre.

Das ist eine typische Bestrafung. Ich darf meine Kinder in Deutschland, meine Familie nicht sehen. Trotzdem bin ich froh, nicht mehr im Gefängnis zu sein. Das habe ich sicher auch dem Druck der deutschen Öffentlichkeit zu verdanken.

Es hat Mahnwachen in Bochum gegeben, Politiker versprachen, sich für Sie einzusetzen. Was haben Sie davon mitbekommen?

Ich habe einige Videos gesehen, ein paar Nachrichten bekommen. Ich möchte mich bei allen bedanken, die sich für mich eingesetzt haben. Ihr seid toll! Die Bitten aus Deutschland haben viel Druck erzeugt.

In Bochum hatte es Mahnwachen für Mahmut Günes gegeben. Hier ein Foto aus dem Oktober.
In Bochum hatte es Mahnwachen für Mahmut Günes gegeben. Hier ein Foto aus dem Oktober. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Wie geht’s nun weiter?

Meine Anwälte haben Widerspruch eingelegt. Und ich bin zuversichtlich: So wie sich die Gefängnistüren geöffnet haben, so wird sich auch die Grenze für mich wieder öffnen. Vielleicht sogar schon im Januar.

Auch in der Türkei haben Sie Familie und Freunde. Würden Sie die dann zurücklassen müssen?

Ich lasse mir das Recht nicht nehmen, meine Verwandtschaft zu besuchen. Ich bin mir keiner Schuld bewusst. Das ganze Verfahren beruht nur darauf, dass man als Kurde schweigen soll. Ich bin ein Symbol dafür, jemanden zum Schweigen zu bringen.