Bochum. 20 Jahre nach Michael Maertens spielt der junge Benjamin Werner die „Eröffnung“ in Bochum: An der Rottstraße 5 gelingt ihm das richtig gut.
„Ich eröffne Ihnen mein neues Leben. Ich eröffne Ihnen dieses Theater!“ Mit diesen schönen Worten endet das Stück „Die Eröffnung“ von Peter Turrini. Besser, weil hoffnungsvoller hätten es dieser Tage nicht gewählt werden können: Nach über einem Jahr Zwangspause meldet sich das Theater Rottstraße 5 mit dieser optimistisch stimmenden Botschaft am Freitagabend aus dem Corona-Lockdown zurück – und der Jubel im ausverkauften Saal nimmt euphorische Züge an.
Als Turrini seinen Monolog vor über 20 Jahren verfasste, konnte er freilich nicht ahnen, dass einmal ein Virus den gesamten Kulturbetrieb über Monate lahmlegen würde. Vielmehr schrieb er sein Solo über einen abgehalfterten Schauspieler als Auftragsarbeit fürs Bochumer Schauspielhaus: Ein gewisser Matthias Hartmann legte damit den Grundstein für fünf enorm erfolgreiche Jahre an der Königsallee. Michael Maertens spielte die Hauptrolle in einem furiosen Ritt, wofür er zum „Schauspieler des Jahres“ gekürt wurde.
Uraufführung vor 20 Jahren am Schauspielhaus Bochum
Die nächsten Premieren
Bis zum Jahresende plant das Theater Rottstraße 5 zwei weitere Premieren: „Wir, Kinder der Sonne“ (am 13. November) basiert auf dem Drama von Maxim Gorki. Drei Schauspielerinnen teilen sich die Bühne.
„Die Wand“ (am 3. Dezember) nach dem Roman von Marlen Haushofer wird zu einem Solo für die Schauspielerin Lea Kallmeier. Beide Male führt Alexander Ritter die Regie.
Dass „Die Eröffnung“ in der Regie von Oliver Paolo Thomas jetzt an der Rottstraße 5 auf die Bühne kommt, ist gewiss kein Zufall. Denn Turrinis Stück ist eine einzige große Liebeserklärung an die Magie des Theaters, die kein Stream der Welt jemals ersetzen könnte. Großes Glück, tiefer Schmerz, unbändige Lust und eine Menge Witz: All dies ist in diesem pointiert geschriebenen Text vereint, den zudem ein Hauch von Bochumer Theatergeschichte umgibt. Dieses Stück jetzt für eine neue Generation von Theatergängern fit zu machen, ist ein cleverer Schachzug, denn nicht wenige der vielen jungen Besucher im Saal dürften bei der Uraufführung anno 2000 noch in den Windeln gelegen haben.
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Benjamin Werner gibt auf der Bühne Vollgas
Allein: Es braucht schon einen wahrhaft unerschrockenen Schauspieler, der diesen herausfordernden Monolog stemmen kann. An der Rottstraße ist es Benjamin Werner – und mit einiger Erleichterung kann man festhalten: Er schlägt sich mehr als beachtlich. Rund 90 pausenlose Minuten lang gibt er auf der Bühne Vollgas und stürzt sich kopfüber in diese nicht ganz leicht zu durchdringende Figur des jungen Mannes, der auf der Theaterbühne mehr Halt findet als im echten Leben. Werner stirbt an diesem Abend 1000 Tode, er kriecht und windet sich über die Bühne, flucht, schimpft und zetert – und findet nebenbei sogar noch die Muße für einige spontane Scherze mit dem Publikum. Chapeau!
Der Text zeigt kleinere Schwächen
Dabei zeigt Turrinis Text allerdings auch kleinere Verschleißerscheinungen. So wirkt etwa das Frauenbild, das der Autor in seiner tragikomischen Erzählung propagiert, mittlerweile doch merklich antiquiert. Wenn sich der Erzähler von seiner Angebeteten trennt, nur weil ihr Gesäß nicht mehr ganz so knackig aussieht wie früher, schleudert ihm Linda Bockholt mit ihrer E-Gitarre einen rotzigen Rocksong entgegen. Überhaupt sorgt Bockholt nicht nur für die Live-Musik, sondern übernimmt auch kleinere Nebenrollen wie die Tänzerin oder den „Feind“, was ihr prima gelingt.
Ansonsten überwiegt an diesem Abend vor allem zweierlei: die Ehrfurcht vor Turrinis Text und die Dankbarkeit, nach dem ewig langen Theater-Entzug endlich wieder spielen zu dürfen. „Das Theater ist der einzige Ort, das Leben zu überleben“, heißt es einmal so schön. Die riesige Plastikplane, mit der an der Rottstraße während der Pandemie anfänglich der Spielbetrieb weitergehen sollte, liegt zusammengefaltet im hinteren Teil der Bühne. Jetzt ist wieder Zeit für echtes, direktes Theater – und das maskierte Publikum dankt mit langem, lautem Beifall.
Wieder am 14. und 21. November sowie am 17. Dezember, jeweils um 19.30 Uhr. Karten: karten@rottstr.de