Bochum. „Ernsthafte Gefahrenlage, verbarrikadiert euch in den Klassen.“ Amok-Fehlalarm am Neuen Gymnasium: Schüler berichten von den ungewissen Minuten.

„Wir haben eine ernsthafte Gefahrenlage, verbarrikadiert euch im nächstgelegenen Raum!“ Dienstagmittag (7. September), hunderte Schülerinnen und Schüler nutzen die Fünf-Minuten-Pause vor der sechsten Stunde, um den Raum zu wechseln. Plötzlich ertönt die Durchsage im Neuen Gymnasium Bochum. Julia und Joscha aus der Jahrgangsstufe 12 eilen wie so viele Schülerinnen und Schüler in den nächstgelegenen Raum. Die Türen schließen, Minuten der Ungewissheit beginnen.

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„Wir haben auf dem Flur vor dem Chemieraum auf unsere Lehrerin gewartet, als die Durchsage kam“, erinnert sich Joscha zwei Tage später zurück. Wenige Sekunden später ist der gesamte Kurs im Chemie-Raum, in dem sich auch Schülerinnen und Schüler einer achten oder neunten Klasse befinden. In einem anderen Teil des Schulgebäudes bringt sich in diesem Moment auch Julia in Sicherheit: „Zusammen haben wir Tische vor die Tür geschoben. Unser Kurs war nicht ganz vollständig, wir haben die Leute angerufen, die sich gerade nicht bei uns im Raum befanden.“ Andere, die sich gerade in der großen, gläsernen Aula befinden, verstecken sich hinter Vorhängen.

Bochumer Schülerin: „Komisches Gefühl, draußen viele Polizisten mit Waffen zu sehen“

Beide – Julia und Joscha – sind sich recht sicher, dass es sich um einen Fehlalarm handelt. Vor fünf Jahren habe es schon mal einen gegeben. Der Unterschied: Da war das sehr viel schneller klar. „Es war ein komisches Gefühl, vor allem als wir draußen die vielen Polizisten gesehen haben, die schwer bewaffnet waren“, erzählt Julia. Sie und ihre Mitschülerinnen und Mitschüler versuchen, sich abzulenken.

Oberstudiendirektor Oliver Bauer leitet das Neue Gymnasium in Bochum.
Oberstudiendirektor Oliver Bauer leitet das Neue Gymnasium in Bochum. © FUNKE Foto Services | Gero Helm

Minuten vergehen, immer wieder ertönt eine Durchsage von Schulleiter Oliver Bauer.Die Polizei sei vor Ort, es müsse sich keiner Sorgen machen, doch trotzdem solle niemand die Räume verlassen. „Das war eine sehr emotionale, belastende Situation“, erzählt Bauer. Weil viele Schülerinnen und Schüler zwischen der fünften und sechsten Stunde den Raum wechseln müssen, gibt es Schülergruppen, die ohne Lehrkräfte in den Räumen ausharren müssen.

„Schülerinnen und Schüler haben sich um andere gekümmert. Das war toll“, so der Schulleiter. Einige hätten die Ausnahmesituation gut weggesteckt, andere nahm sie mehr mit. Bauer spricht ein Lob aus – an die über 1200 Schülerinnen und Schüler sowie die mehr als 100 Lehrkräfte: „Sie alle haben sich sehr vorbildlich und richtig verhalten.“

Amok-Fehlalarm am Neuen Gymnasium Bochum: Schule nach vier Stunden freigegeben

Um kurz vor 13 Uhr wird am Mittag der Alarm ausgelöst, erst gegen 16.30 Uhr dürfen Schülerinnen und Schüler die Klassenräume nach und nach verlassen. Gemeinsam mit der Schulleitung kontrollierte die Polizei, ob Schülerinnen und Schüler vollzählig da sind – gar nicht so leicht, befanden sich diese nicht in ihren eigentlichen Lerngruppen. Schulleiter Bauer spricht von einer „Meisterleistung der Polizei“, die sehr beruhigend auf alle eingewirkt habe. Nach 17 Uhr wurde das Schulgebäude wieder freigegeben.

Fehlalarm: Keine vergleichbaren Fälle in Bochum

Einen Amok-Fehlalarm wie am Dienstag (7. September) am Neuen Gymnasium gab es in Bochum bisher nicht, bestätigt die Stadt.

Ein ähnliches Sicherheitssystem wie das des Neuen Gymnasiums gebe es an allen neuen und sanierten Schulen. „An allen anderen Schulen gibt es Alarme, die per Schulklingel aktiviert werden und deren Abhilfe nur schulintern bekannt sind. Es soll vermieden werden, dass mutmaßliche Täter gewarnt werden“, so Stadt-Sprecherin Nina Christin Menken.

Am Tag nach dem Amok-Fehlalarm steht Schülerinnen und Schülern der Schulpsychologe zur Seite. Katja Hülser ist Leiterin der Schulpsychologischen Beratungsstelle der Stadt Hagen, eine gemeinsame Einrichtung mit dem Land NRW. „Es ist so, dass es ein Fehlalarm war. Viele denken, dass das nicht so schlimm ist. Aber in dem Moment fühlt es sich echt an. Die Reaktionen sind wie bei einem echten Alarm. Es ist erst anders, wenn man weiß, es ist vorbei.“

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Bei Schülerinnen und Schülern können so Ängste und Unsicherheit ausgelöst werden, auch andere Thematiken können hochkommen. Die Reaktionen seien immer unterschiedlich. „Jegliche Reaktionen sind angesichts des unnormalen Ereignisses normal“, so Hülser. Das sei absolut okay. „Der eine möchte viel reden, der andere nicht. Einer ist traurig oder wütend, der andere kommt gut mit der Situation klar.“ Aufgabe des Schulpsychologischen Dienstes sei es vor allem, die Schulen, die gut aufgestellt sind, zu bestärken und unterstützen.

Ursachen für Amok-Fehlalarm in Bochum noch unklar

Wie der Amok-Fehlalarm im Neuen Gymnasium ausgelöst wurde, ist noch unklar. „Wir sind da ein Stück weiter, aber das muss noch gecheckt werden“, so Bauer. Die Ermittlungen der Polizei sind derweil abgeschlossen, das bestätigte Sprecher Jens Artschwager am Mittwoch.

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Am Tag zwei nach dem Fehlalarm ist an der Schule in Wiemelhausen wieder Alltag eingekehrt – wie auch an der benachbarten Hans-Böckler-Realschule, die ebenfalls evakuiert wurde. Den Mittwoch nutzen Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler vor allem für die Aufarbeitung.