Bochum. Zeichnen wie ein Blinder – ein Workshop der Initiative „Blinc“ in Bochum bietet genau das an. Die blinden Kursleiter sammeln so Berufserfahrung.
Samuel Sommerhoff aus Bochum kann Stifte vor seinen Augen kaum sehen. Er kann nicht sagen, ob er ein Türkisblau auf das Blatt Papier zeichnet, so wie der Himmel im Sommer, oder doch ein sattes Grün, so wie die Blätter der Bäume im Frühling. „Ich bin seit meinem 16. Lebensjahr gesetzlich blind“, sagt der 22-Jährige. Auf einem Auge reicht die Sehkraft gerade noch, um seine Finger zu erkennen, auf dem anderen Auge liegt sie schon unter zwei Prozent. Malen, Zeichnen, Modellieren oder Pinseln – das kann Sommerhoff trotzdem. Und das zeigt er auch anderen in ganz speziellen Kunst-Workshops.
Bochum: Spezielle Kunst-Workshops sorgen für ganz besondere Erfahrung
Beim Projekt „Blinc“ nimmt er Menschen, die nicht sehbehindert sind, mit in seine Welt. „Wir bieten Kunstworkshops an, die von blinden oder sehbehinderten Menschen geleitet werden. Das ist für sehende Menschen ein besonderes Erlebnis“, sagt Nina Karger von „Blinc“.
Auch interessant
Sie selbst hat bereits mit verbundenen Augen gezeichnet und modelliert. „Wie man sich im Raum orientiert, wie sich das Material anfühlt – das war alles ganz anders“, erinnert sich die Studentin der Wirtschaftspsychologie. Im Anschluss an das gemeinsame künstlerische Schaffen bleibt immer noch Zeit, um Fragen zu stellen – ein einmaliges Angebot in Bochum.
Kunst-Projekt in Bochum soll Chance zur Selbstverwirklichung sein
„Ich möchte offen mit meiner Einschränkung umgehen“, sagt Samuel Sommerhoff. Kein Problem ist es für ihn deshalb, zu erklären, wie er sich als Blinder den Bart rasiert, wie er den Bus findet oder seine Anziehsachen. Doch auch Tiefergehendes interessiert die Kursteilnehmer: „Zum Beispiel wird oft gefragt, wie es ist, einen Partner oder eine Partnerin zu finden“, sagt der 22-Jährige, der an der Ruhr-Universität Wirtschaftswissenschaften studiert. Seiner Erfahrung nach sind die Berührungsängste im Workshop schon nach wenigen Minuten verflogen.
Auch interessant
Seit 2018 gibt es das Projekt, entstanden als Teil der globalen Studierendeninitiative „enactus“, die soziale Start-ups unterstützt, in denen benachteiligte Personengruppen Chancen zur Selbstverwirklichung bekommen. Denn „Blinc“ hat sich noch ein weiteres Ziel gesetzt: Neben dem verbesserten Verständnis für sehbehinderte Menschen will das Projekt den Blinden auch den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern.
Kunst-Kurse bringen den Sehbehinderten Berufserfahrung
Nina Karger erklärt: „Unsere blinden und sehbehinderten Kursleiter könnten beruflich relevante Erfahrungen sammeln, sich ausprobieren und natürlich auch Geld verdienen.“ Samuel Sommerhoff ist sich beispielsweise sicher, dass sich seine Führungskompetenz und seine Kommunikation mit einer Gruppe bereits verbessert haben. „Ich weiß noch nicht genau, welchen Beruf ich einmal ergreifen möchte, aber das wird mir auf jeden Fall helfen“, meint er.
Auch interessant
Durch die Corona-Pandemie haben die Workshops lange im Digitalformat stattgefunden, nun geht es wieder in die Präsenz: Am 21. August lädt „Blinc“ um 15 Uhr ins Haus der Begegnung (Alsenstraße) ein, um gemeinsam zu modellieren und zu zeichnen. „Es gibt noch freie Plätze“, sagt Nina Karger.
Auch individuelle Workshops
Der nächste Kunstworkshop von „Blinc“ findet am 21. August um 15 Uhr im Haus der Begegnung, Alsenstraße 19a, statt. Tickets können online auf der Website www.blindinclusion.de gebucht werden.
Die Workshops von „Blinc“ werden auch individuell angeboten, also beispielsweise auf Betriebsfeiern, Sommerfesten, Geburtstagen oder Hochzeiten. Kontaktanfragen können auch an blinc@rub.enactus.de gesendet werden.
Insgesamt können 20 Menschen teilnehmen. Rund 20 Euro kostet ein Ticket für den zweieinhalbstündigen Workshop, Materialien werden gestellt und das Kunstwerk darf am Ende mit nach Hause genommen werden.
Auch interessant
Die Kunstworkshops sollen für „Blinc“ nur der Anfang sein. „Wir haben noch jede Menge weitere Ideen für Formate in der Pipeline“, sagt Samuel Sommerhoff. Ein Make-up-Kurs zum Schminken als sehbehinderter Mensch gehört ebenso dazu wie ein Kurs für Sport ohne Sehkraft.
Bochum: Weitere Workshops sind in Arbeit
„Wir denken darüber nach, in Zukunft einen Kurs für Goalball anzubieten“, sagt Samuel Sommerhoff. Dabei handelt es sich um die weltweit beliebteste Ballsportart für Menschen mit Sehbehinderung. Ziel des Spiels ist es, einen 1250 Gramm schweren Klingelball in das gegnerische Tor zu werfen. „Es gibt sogar eine eigene Bundesliga für Goalball“, sagt Sommerhoff.
Ob Schminken, Zeichnen, Kochen oder Ballspielen aus der Perspektive eines sehbehinderten Menschen – das Motto von „Blinc“ bleibt dasselbe: „We open your eyes by closing them“ – zu deutsch: „Wir öffnen deine Augen, indem wir sie schließen“.