Bochum. Die türkische Justiz wirft dem Bochumer Pizzabäcker Mahmut Güneş Terrorpropaganda vor. Der 46-Jährige sitzt seit 14 Tagen im Gefängnis.

„Papa geht es gut.“ Erleichtert reagiert Zehlia Güneş auf die jüngsten Nachrichten aus der Türkei. Ihre Mutter und eine ihrer beiden Schwestern haben ihren Vater Mahmut Güneş im Gefängnis besucht. Seit 14 Tagen sitzt der Pizzabäcker aus Bochum in einer Einzelzelle. Die türkische Justiz wirft dem 46-Jährigen Propaganda für eine Terrororganisation vor.

Der Vorwurf fußt auf Beiträgen, die der Gastronom mit kurdischen Wurzeln in den Sozialen Medien verfasste oder teilte. Zu finden sind sie im Netz nicht mehr. „Die Accounts auf Twitter und Facebook habe ich bewusst gelöscht“, sagt Zeliah. Die 24-Jährige weiß, dass alle Einträge längst von der türkischen Justiz gesichert worden sind.

Türkei hält Pizzabäcker aus Bochum in Einzelzelle gefangen

In der Anklage geht es aber nicht, wie es bislang hieß, um einen Twitter-Tweet, in dem der türkische Präsident Recep Tayip Erdogan als Treuhänder der USA bezeichnet wird, und den Güneş geteilt hat. Die türkische Justiz wirft dem Gastronom mit ausschließlich deutscher Staatsbürgerschaft vor, in knapp 20 Fällen Artikel von bekannten kurdischstämmigen Journalisten geteilt zu haben.

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Dabei geht es in erster Linie um Berichte, die den Einmarsch der Türkei in Nordsyrien kritisieren und die der Türkei die Verletzung von Menschenrechten vorwerfen. Es geht um Tweets aus dem Zeitraum von August 2016 bis Januar 2019, die auch über die Aktivitäten der kurdischen Armee informieren.

Um Angst und Unsicherheit zu verbreiten, versuchen die türkischen Behörden selbst harmloseste kritische Äußerungen als angebliche Terror-Propaganda zu verurteilen, um demokratische Öffentlichkeit zu verhindern“, schreiben die Bochumer Linken. Für die Grünen ist der Fall Güneş ein „Verstoß gegen die Menschenrechte“.

„Die Festsetzung und Verhaftung von deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern mit Türkeibezug ist kein Einzelfall“, sagt Grünen-Bundestagskandidat Max Lucks. „Vor dem Hintergrund der deutschen Abhängigkeit durch das menschenrechtswidrige Antiflüchtlingsabkommen mit der Türkei bin ich nicht überrascht, dass das Erdogan-Regime so massiv gegen diplomatische Regeln verstößt.

Frau und Tochter zu Besuch im Gefängnis

Die Regeln zum Besuch im Hochsicherheitsgefängnis Kayseri-Bünyan indes wurden laut Horst Hohmeier (Linke) penibel eingehalten. Frau und Tochter Güneş mussten sich komplett ausziehen und einer Leibesvisitation stellen, ehe sie Mahmut Güneş besuchen durften.

Auswärtiges Amt warnt Reisende

Auf der Homepage des Auswärtigen Amtes findet sich unter dem Stichwort „Festnahmen und Einreiseverweigerungen“ ein deutlicher Warnhinweis:

„Deutsche Staatsangehörige werden weiterhin willkürlich festgenommen, mit einer Ausreisesperre belegt oder ihnen wird die Einreise in die Türkei verweigert. Auch Personen, die in der Vergangenheit ohne Probleme ein- und ausreisen konnten, können bei einem erneuten Aufenthalt festgenommen werden.“

Anlass sei in vielen Fällen „der Verdacht der Propaganda für eine oder Mitgliedschaft in einer als terroristisch eingestuften Organisation“, heißt es. Als Beispiele werden die PKK oder Gülen-Bewegung genannt.

Häufig reichten für eine Festnahme „bloße Äußerungen, Teilen oder „Likes“ von Beiträgen in sozialen Medien, die in Deutschland vom Recht auf freie Meinungsäußerung abgedeckt sind. Auch die Teilnahme an Demonstrationen in Deutschland oder die Mitgliedschaft in einem in Deutschland eingetragenen Verein mit Bezug zu kurdischen Anliegen, teils jahrelang zurückliegend, kann Anlass für Festnahmen, Ausreisesperren oder Einreiseverweigerungen sein.“

Verhaftet wurde der frühere Betreiber und heutige Angestellte einer Pizzeria in Herne direkt bei seiner Einreise am Flughafen Kayseri Ende Juli. Seitdem sei er von allen Informationen nahezu abgeschnitten, sagt Hohmeier. „Fernsehen, Radio, Zeitungen – nichts steht ihm zur Verfügung.“

Nachdem der Antrag auf Haftentlassung abgelehnt wurde, könnte in Kürze eine zweite Prüfung anstehen. „Es heißt, in fünf bis zehn Tagen“, sagt Zeliah Güneş. Ihre Hoffnungen ruhen unter anderem auch auf den Einsatz der Bochumer Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen (Linke) und Michelle Müntefering (SPD), die immerhin Staatsministerin im Auswärtigen Amt ist.

Dagdelen habe Anfang dieser Woche aber aus dem Auswärtigen Amt nichts anderes erfahren als die WAZ Anfang August, berichtet Hohmeier. „Der Fall sei bekannt, heißt es dort.“ Michelle Müntefering indes sagte der WAZ auf Anfrage: „Auch ich persönlich setze mich nachdrücklich ein und bin hierzu bereits an die türkische Seite herangetreten.“ Sie bitte um Verständnis, dass sie momentan nicht mehr berichten könne.

Stimmung bei Hochzeitsfeier in Türkei getrübt

Erschwert werde das Bemühen um eine Freilassung Güneş’ durch die Gerichtsferien in der Türkei, berichten informierte Kreise. Die zumeist unerfahrenen Vertreter der Staatsanwälte und Richter trauten sich eher Verhaftungen denn Freilassungen zu.

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Die Reisewarnungen des Außenministeriums waren Mahmut Güneş, der im Stadtteil Wiemelhausen lebt, bekannt. Im Familienkreis habe er bereits in den vergangenen Jahren gescherzt, „stellt euch vor, ich fliege in die Heimat und werde dort festgenommen“, berichtet Zeliah Güneş. „Papa hat halt einen Hang zum Sarkasmus. Jetzt ist unser Alptraum leider wahrgeworden.“

Anlass für die Reise in diesem Jahr war eine Hochzeit im Familienkreis. „Wir sind nacheinander geflogen. Erst meine Mutter mit meiner kleinen Schwester, dann mein Onkel und ich und zuletzt mein Vater mit meiner ältesten Schwester“, berichtet Zeliah Güneş. Die Verhaftung des Vaters habe die Stimmung natürlich sehr getrübt. „Aber meine Mutter hat versucht, stark zu sein, und sie hat uns aufgemuntert.“

Die Nachricht, dass es ihrem Vater im Gefängnis gut gehe, stimmte zusätzlich optimistisch. „Hoffentlich hat er nicht nur uns zu Liebe Stärke gezeigt“, sorgt sich Zeliah Güneş.