Langendreer. Geschichten aus Langendreer: Gespräche mit Zeitzeugen wurden von Figurentheater und LutherLab kreativ verarbeitet. Woran sie sich erinnern.

Karsten Straube hält eine Mandarinenkiste auf dem Schoß und sitzt auf dem Vorplatz der ehemaligen Lutherkirche. Aus der Kiste ragen Kabel und Lautsprecher. Michaela Koenen-Welles hat den passenden Briefumschlag dazu. Was mag es damit auf sich haben? Der Inhalt des Briefumschlages offenbart: "Wir sollen uns die Tonbandaufnahme anhören und uns dazu austauschen", sagt Birgit Kracht. 

Etwa 25 Besucher sind am Freitagabend (9.) der Einladung des LutherLabs und des Figurentheater-Kollegs gefolgt und zum "Legendreeren Abend" gekommen, der ihm Rahmen der Veranstaltungsreihe "Parkstreifen" stattfindet. "Es geht heute Abend darum, Geschichten aus dem Stadtteil in ganz unterschiedlichen Formaten zu erleben", sagt Seta Guetsoyan, Leiterin des Figurentheater-Kollegs. 

Ausgefallene Formate beim "Legendreeren Abend"

Für die Kleingruppe um Besucher Karsten Straube heißt das: Eine Tonbandaufnahme zum ehemaligen Warenhaus "Divi", dem heutigen Standort des Supermarktes "Real" an der Hauptstraße, anzuhören. Schnell kommen in der Gruppe Gespräche auf: Wo hat man seine eigenen Schulhefte gekauft? Wie war der Geruch in der Bäckerei? Mit welchen Verkäufern ist man groß geworden?

In den anderen Kleingruppen geht es um etwas ganz anderes: Hier tauschen sich die Besucherinnen und Besucher über einen historischen Zeitungsartikel zur Aufstellung der umstrittenen Skulpturengruppe am Langendreer "Stern" aus, dort gibt ein kleine Kuscheltier Anlass, über das geschlachtete Schaf "Schneeflöckchen" des Pfarrers zu sprechen. "Wir hatten auch mal ein Schaf, es hieß Lotti", erinnert sich zum Beispiel Brigitte Ruttkowski.

Erinnerung an die Kindheit in Bochum-Langendreer

Gesammelt wurden die ganzen Geschichten in Vorarbeit vom Luther Lab und Figurentheater-Kolleg. "Wir haben Interviews mit Zeitzeugen aus dem Stadtteil geführt und uns dabei der Methode der oral history bedient", erklärt Guetsoyan vom Figurentheater-Kolleg. Dabei gehe es zum Beispiel um kleine Liebesgeschichten oder die Ausgehszene aber auch Kindheit in Langendreer und bewegende Ereignisse.

Bis ins Jahr 1905 reichen die Erzählungen und dazugehörigen Dokumente zurück. "Die Menschen aus dem Stadtteil sollen in ihrer Perspektive zu Wort kommen. Geschichte wird durch sie geschrieben", erinnert die Künstlerin. Eine der Interviewpartnerinnen war Monika Mangen. Wie sie ihre Kindheit an der Mansfelderstraße verbracht hat, wie sie in der Lutherkirche konfirmiert wurde, wie sie mit Pfarrer Schilling ein Zeltlager besuchte - all das hat sie im Vorfeld im Interview erzählt. 

Interviews mit Zeitzeugen aus Langendreer

"Ich habe meine Kindheit draußen verbracht. Zwar war ich Einzelkind, in unserem Haus lebten aber zwölf Kinder, sodass immer etwas los war. Ich brauchte nur in eine benachbarte Küche gehen", erinnert sich die 74-Jährige. Auch, wie die Kindergartenzeit an der Eislebenerstraße bei "Tante Hannah" war und wie der Alte Bahnhof immer mehr zu ihrem "Kiez" wurde, erinnert sie noch ganz genau. 

Peter Anders (76) ist ebenfalls einer der Zeitzeugen gewesen. "Ich lebe seit ich sechs Jahre alt bin in Langendreer. In den 1950er Jahren war hier noch viel kaputt, die Wohnungen waren klein und wir hatten wenig Kinderspielzeug. Wir haben einfach auf der Straße gespielt", erzählt er. In der Schule habe zwei Mal am Tag Unterricht stattgefunden und besonders die Schulspeisung sei ihm noch präsent. 

Erinnerungen teilen und auf Begegnungen einlassen

"Ich finde es schön, dass wir unsere Erinnerungen teilen konnten, so wird Vergangenheit lebendig", sagt Anders. Er selbst habe seine Eltern über ihr damaliges Leben in Schlesien ausgefragt, deshalb wolle er heute selbst gerne Fragen beantworten. Das passt zu dem Bedürfnis, welches Guetsoyan aktuell in Langendreer beobachtet. "Die Menschen wünschen sich wieder "face-to-face"-Begegnungen und lebendigen Austausch. Sie müssen lernen, sich darauf wieder einzulassen", so Guetsoyan. 

Am ersten "Legendreeren" Abend ist das gelungen. Wie sahen die Häuser einst in Langendreer aus? Was könnte das Lied "Nathalie" mit dem Stadtteil Langendreer zu tun haben? Manche Kleingruppen diskutieren vielleicht jetzt noch. 

Weitere Legendreere-Abende

Die "Legendreeren" Abende finden im Rahmen der Sommerveranstaltungen des Parkstreifen-Projektes statt. Dazu gehören weitere Aktionen wie zum Beispiel eine Schreibwerkstatt, "Tanz im Knochenpark" oder ein Figurenbau-Workshop.

Die nächsten "Legendreeren" Abende finden statt am: 6. August, 1. September, 8. Oktober jeweils um 19.30 Uhr an der Alten Bahnhofstraße 166 (Vorplatz ehemalige Lutherkirche).