Bochum. Der inhaftierte Betreiber des Schnelltesters Medican aus Bochum beteuert, nicht betrogen zu haben. Sagt sein Anwalt. Es geht um Riesenumsätze.

Gut eine Woche nach der Verhaftung des Betreibers der Medican-Schnelltests wegen des Verdachts des Abrechnungsbetrugs hat sich nun der Hauptbeschuldigte über seinen Rechtsanwalt gegenüber der WAZ zu Wort gemeldet. Der Unternehmer, der zurzeit in der JVA Bochum in U-Haft sitzt, bestreitet, betrogen zu haben.

Der Schreibtisch von Strafverteidiger Reinhard Peters in der Bochumer Innenstadt ist proppevoll. Viel Arbeit! Irgendwo darunter liegt wohl auch die Akte mit dem Fall Medican, der bundesweit für Schlagzeilen gesorgt hat. Betrug mit Corona-Schnelltests - so lautet der dringende Tatverdacht der Staatsanwaltschaft Bochum.

Anwalt: Staatsanwaltschaft Bochum geht von 15 Millionen Euro aus

Strafverteidiger Reinhard Peters am Montag beim WAZ-Interview in seiner Kanzlei in Bochum..
Strafverteidiger Reinhard Peters am Montag beim WAZ-Interview in seiner Kanzlei in Bochum.. © FUNKE Foto Services | MATTHIAS GRABEN

Das Verfahren wird von der ebenfalls bundesweit bekannten Schwerpunktstaatsanwalt zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität und Korruption geführt. Dort arbeiten Spezialisten. „Großwildjäger“ hatte ein Nachrichtenmagazin die Abteilung einmal genannt.

Dazu passt zumindest die Summe, die die Ermittler von den Konten des Beschuldigten beschlagnahmt haben sollen: Peters spricht von 15 bis 16 Millionen Euro. Ungefähr die Summe, die die Staatsanwaltschaft als Schaden annehmen soll.

Medican soll 2,5 bis drei Millionen Menschen getestet haben

Noch höher sind die Zahlen, die Medican in den ersten beiden Monaten mit den Schnelltests (März und April) umgesetzt haben soll. Peters sagt: Allein im März und April hat die Kassenärztliche Vereinigung rund 35 Millionen Euro an Medican überwiesen – und der Mai mit rund einer Million Tests sei noch nicht einmal mitgerechnet, weil noch gar nicht abgerechnet. Insgesamt habe das Unternehmen 2,5 bis drei Millionen Bürger auf das Coronavirus überprüft.

Das Schnelltest-Gewerbe – eine wahre Goldgrube.

Peters sagt, dass es zu Beginn der Schnelltests „eine wilde und chaotische Zeit“ gewesen sei. „Es musste alles immer ganz schnell gehen.“ Das Geschäft, so Peters, sei „von Null auf Hundert hochgeschossen“; es habe eine „riesige Nachfrage“ gegeben, sogar Oberbürgermeister, Schuldezernenten und Einkaufszentren hätten bei Medican angerufen – nach dem Motto: Ihr müsst sofort kommen!

Medican schaffte sich 40 Busse und 25 Labor-Geräte an

Und Medican kam oft. Bis zur Festnahme am 4. Juni am Firmensitz in Bochum-Wattenscheid testete das Unternehmen an 54 Standorten in 36 Städten Deutschlands, vor allem in NRW; hinzu kamen mobile Teststellen.

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Sein Mandant habe 40 Busse als Teststellen gekauft. Außerdem 25 Labor-Geräte, von denen ein einziges schon 45.000 Euro koste, sagt Peters.

Seinen Angaben zufolge erhebt die Staatsanwaltschaft im Grunde drei Vorwürfe: mehr Tests abgerechnet als tatsächlich gemacht, die jeweiligen Tests überhöht abgerechnet und zu hohe Kosten für Materialbeschaffung abgerechnet.

Verteidiger weist Vorwurf, Abrechnungen erfunden zu haben, zurück

Angestoßen hatten die Ermittlungen Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung; demnach soll Medican deutlich mehr Corona-Schnelltests gemeldet haben als tatsächlich durchgeführt. „Den Vorwurf, dass zu viele Tests abgerechnet worden sein, weist mein Mandant zurück“, sagt Peters. Die Buchführung mit Einkauf, Abrechnung und Restbestand könne dies belegen; alles passe.

Die mittlerweile geschlossene Medican-Teststelle in Bochum-Wattenscheid: Auch dort brummte der Betrieb.
Die mittlerweile geschlossene Medican-Teststelle in Bochum-Wattenscheid: Auch dort brummte der Betrieb. © FUNKE Foto Services | Gero Helm

Ein zweiter Vorwurf betrifft die Höhe der jeweiligen Abrechnungen: Medican soll 15 Euro in Rechnung gestellt und erhalten haben, erlaubt seien laut Staatsanwaltschaft aber nur zwölf Euro gewesen. Der Unterschied liegt darin, ob ein Test mit oder ohne Aufsicht eines Arztes gemacht worden ist.

Ermittlungsverfahren könnte auch ins Sozialrecht hineinführen

Der Medican-Verteidiger argumentiert, dass die Firma einen hauptamtlichen Arzt und zwei Teilzeitärzte zur Überwachung eingestellt habe. Im Krankenhaus sei schließlich auch nicht bei jeder kleinen Behandlung ein Arzt persönlich dabei und es werde trotzdem als ärztliche Leistung abgerechnet.

Dieser Vorwurf sei also gar kein strafrechtliches Problem, sondern ein sozialrechtliches.

Bochumer Staatsanwaltschaft erhebt drei Vorwürfe

Der dritte Vorwurf: Medican soll für die Beschaffung des Testmaterials den Höchstbetrag, neun Euro, berechnet haben, erlaubt seien aber nur 3,27 Euro gewesen. Der Beschuldigte erklärt die höhere Summe mit dem – aus seiner Sicht legitimen – Einsatz eines Zwischenhändlers.

Das Verfahren wird wohl noch länger andauern. „Wir sind erst ganz am Anfang“, sagt Peters. „Es ist noch viel aufzuklären.“ Aber selbst wenn Medican genauso abgerechnet hätte, wie es die Staatsanwaltschaft für legitim halte, bliebe eine Forderung allein für den noch nicht abgerechneten Monat Mai von zehn bis 15 Millionen Euro übrig. Mittlerweile seien sämtliche Teststellen von Medican stillgelegt.

Beschuldigter würde zu viel gezahlte Beträge zurückzahlen

Peters betont, dass sein Mandant alles, was er möglicherweise zurückzahlen muss, auch erstatten wird. „Das Geld steht nach wie vor zur Rückzahlung zur Verfügung.“

Beschuldigter wurde stundenlang vernommen

Los gingen die Ermittlungen am 28. Mai mit Durchsuchungen von Geschäfts- und Privaträumen im Ruhrgebiet; dabei wurden auch Unterlagen beschlagnahmt. Eine Woche später (4. Juni) gab es eine zweite Durchsuchung; an diesem Tag wurden auch die beiden Beschuldigten verhaftet.

Am vorigen Freitag (11.) wurde Peters Mandant fünfeinhalb Stunden im Justizzentrum Bochum vernommen.

In U-Haft sitzt auch ein zweiter Beschuldigter aus dem Medican-Unternehmen. Er habe mit den ganzen jetzt in Rede stehenden Vorwürfen gar nichts zu tun, wie Peters sagt.

Die Staatsanwaltschaft sieht dies zum jetzigen Zeitpunkt aber offenbar völlig anders. Am Montag wollte sie sich auf WAZ-Anfrage nicht weiter zu dem Fall äußern.