Bochum. Firmenübergaben sind nicht einfach. Bei Reich in Bochum ist der Generationswechsel geglückt. Große Aufgaben warten auf den neuen Chef.
Dieses Jahr wird in die Firmengeschichte eingehen. Unweigerlich. Und das nicht nur, weil die Herwarth Reich GmbH 75 Jahre alt wird und damit einen Meilenstein passiert. Es ist mehr als das. Es beginnt eine neue Ära.
Dass Christian Reich (36) und sein Vater Herwarth (71) an diesem Tag gut zwei Meter voneinander entfernt am großen Konferenztisch im Firmensitz an der Vierhausstraße sitzen, ist ein trügerisches Bild. Geschuldet den Abstandsregeln in der Corona-Pandemie. Es suggeriert Distanz, ja womöglich Uneinigkeit. Genau das Gegenteil ist der Fall. Da sitzen zwei, die seit sieben Jahren gemeinsam daran gearbeitet haben, den Staffelwechsel im Familienunternehmen vorzubereiten. Und jetzt ist es so weit. Christian Reich hat die Geschäftsführung übernommen, sein Vater Herwarth erfüllt noch bis zum Ende des Jahres die Rolle des Begleiters. Dann hat die dritte Generation bei Reich endgültig das Sagen.
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300 Beschäftigte im In- und Ausland
„Es fällt mir schon schwerer als gedacht“, räumt der Senior ein, der schon längere Zeit nur noch zwei bis drei Tage pro Woche im Büro ist. Er hat Reich Kupplungen entwickelt, hat aus einem kleinen Betrieb ein weltweit tätiges Spezialunternehmen mit 300 Beschäftigten im In- und Ausland gemacht. Und jetzt hat er es an seinen Sohn übergeben.
Aber anders als er selbst, der 1977 nach dem Tod seines Vaters und Firmengründers quasi über Nacht die Verantwortung im Unternehmen übernehmen musste, hatte Christian Reich sieben Jahre lang die Chance, den ganzen Laden von der Pike auf kennenzulernen. Und er hat Freude daran. Auch heute gilt noch, was er vor einigen Jahren nach dem Einstieg ins Familienunternehmen gesagt hat. „Das Unternehmen weiterzuentwickeln, eigene Ideen und Vorstellungen einzubringen, ist eine große Chance und reizvolle Aufgabe“, so der 36-Jährige. Mit seinem abgeschlossenen Ingenieurstudium an der RWTH Aachen, ersten Berufserfahrungen bei BMW und den Jahren an der Seite seines Vaters im Betrieb geht er gut vorbereitet ans Werk.
Nachfolge ist oft ein ungelöstes Problem
Da dürfte so manch anderer Patriarch eines Familienunternehmens neidisch werden. Denn: Die Nachfolge in Familienunternehmen ist oftmals ein Problem – und nicht selten ein unlösbares. 6911 Firmeninhaber in Deutschland haben 2018 den Rat der Industrie- und Handelskammer (IHK) in dieser Frage gesucht – so viele wie seit Jahren nicht. Und fast die Hälfte hatte zu diese Zeitpunkt noch keinen Nachfolger gefunden. Auch das war ein Rekord.
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Bei Reich sind sie sich schon lange einig, dass der Junior zum Chef aufsteigt. Und das geschieht in herausfordernden Zeiten. Die Corona-Pandemie ist auch an dem Hersteller von Industrie-Kupplungen nicht spurlos vorübergegangen. Drei Monate lang hat er 25-Prozent-Kurzarbeit gefahren. Als besonders exportorientiertes Unternehmen war er den Unwägbarkeiten, die Corona rund um den Globus ausgelöst hat, besonders ausgesetzt.
Dritte Generation übernimmt den Familienbetrieb
„Aber jetzt haben wir gut zu tun“, sagt der Senior-Chef. Vor allem die Nachfrage aus China hat stark angezogen. „Gerade in der Baumaschinen-Branche“, ergänzt Christian Reich. China ist auch für die Reichs ein wichtiger Markt. Und gerade jetzt zahlt sich aus, dass der Junior in den vergangenen Jahren auch viel um die Welt gereist ist, Märkte und Menschen kennengelernt und Verbindungen geknüpft hat. „Ein Netzwerk aufzubauen dauert lange. Aber es ist wichtig“, sagt Herwarth Reich aus eigener Erfahrung.
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Mehr Bürokratie durch den Brexit
Derzeit brummt der Laden. In der Abfertigung stapeln sich die Kisten für den Übersee-Container, der jede Woche in Richtung USA gepackt wird.
Auch das Geschäft mit Großbritannien hat trotz des Brexit nicht so stark gelitten. Nur die Bürokratie macht schwer zu schaffen. Vergnügungssteuerpflichtig ist der Handel mit der Insel im Moment aber nicht. „Das ist ein Katastrophe“ sagt Versandleiter Andreas Müller.
Die Zeichen der gut laufenden Geschäfte sind nicht zu übersehen. Der vor einigen Jahren im polnischen Beuthen errichtete Betrieb ist bestens ausgelastet, auf der Wunschliste in Bochum stehen in nächster Zeit zehn zusätzliche Mitarbeiter. Und auf der anderen Straßenseite in der Fertigung wird eifrig gearbeitet. Demnächst wird noch ein Bearbeitungszentrum – eine automatische Dreh-, Fräs- und Bohrmaschine – angeschafft. Eine Millioneninvestition. Allerdings: Allmählich kommen die Reichs an der Vierhausstraße an ihre Grenzen. Viel Platz zum Erweitern gibt es nicht mehr, über kurz oder lang könnte das Unternehmen einen neuen Standort suchen.
Neues Bürogebäude wird nicht gebaut
Erst einmal sind Vater und Sohn froh, dass sie sich im vergangenen Jahr gegen einen schon genehmigten Bau neuer Büroräume auf dem Firmengelände entschieden haben. Seit Corona wissen sie, dass Arbeit auch gut im Homeoffice erledigt werden kann und zumindest nicht permanent Präsenz im Betrieb nötig ist. Den Büroimmobilienmarkt, da ist sich Herwarth Reich sicher, wird das in den nächsten Jahren massiv beeinflussen. Allerdings: Was die Kunden betrifft, „ist der persönliche Kontakt nicht zu unterschätzen“. Konferenzen per Telefon oder Video reichen da nicht.
Ob Corona sich nachhaltig auf das Geschäft mit den Kupplungen auswirkt, muss sich zeigen. „Die große Aufgabe besteht darin, weiter attraktive Produkte zu entwickeln und im Kampf um globale Märkte zu bestehen“, sagt Christian Reich. Die Internationalisierung sei auch vor der Haustür zu sehen. Kupplungen aus Bochum werden in China in Prüfständen des Fahrzeughersteller Byd verwendet. Und Byd-Elektrobusse der Bogestra fahren seit einigen Monaten auf der Linie 354 fast direkt vor der Haustür des Zulieferers.