Bochum. Das Thema „Gendern“ spaltet die Gemüter in Bochum. Viele sind genervt, andere halten es für unerlässlich. Eine Diskussion, die anhalten wird.
Bochumerinnen und Bochumer – oder nur Bochumer? Bochumer*innen oder Bochumer:innen? Gendergerechte Sprache erhitzt die Gemüter. Viele Unternehmen nutzen in der Kommunikation mittlerweile die männliche und weibliche Form oder das Gendersternchen. Viele Männer und Frauen in Bochum sind hingegen genervt. „Überflüssig“, schreiben sie bei einer Umfrage in den sozialen Medien. Oder: „Es sind Bochumer. Damit sind alle Geschlechter gemeint!“
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Bei der Stadt Bochum ist das „Gendern“ schon länger ein Thema. In einem fortlaufenden Text würde zuerst die weibliche und dann die männliche Form genutzt. „Wobei die weibliche Form vorangestellt werden soll“, teilt Sprecher Peter van Dyk mit. Bei Stellenausschreibungen beispielsweise spreche die Stadt gezielt alle Geschlechter an: männlich, weiblich, divers. Derzeit werde ein Leitfaden zur gendergerechten Sprache erstellt.
Bochum: Stadtwerke und Bogestra gendern seit rund einem Jahr
Die Stadtwerke haben später als die Stadt Bochum – Mitte 2020 – sämtliche internen Kommunikationsmedien der Stadtwerke Bochum auf gendergerechte Sprache umgestellt. Derzeit passiere das auch in nicht externen Kommunikationsmedien. Auch die Bogestra gendert seit einem Jahr konsequent in allen Abteilungen, intern bereits seit zwei oder drei Jahren. Schwierigkeiten gebe es bei alten Geschäftsberichten, die notariell beglaubigt sind: „Das lässt sich nicht so schnell ändern“, erklärt Sprecherin Sandra Bruns.
Schon länger beschäftige sich die evangelische Kirche in Bochum mit dem „Gendern“: „Auf Leitungsebene ist geschlechtergerechte Sprache selbstverständlich“, sagt Sprecherin Hannah Praetorius. Im Bereich Gottesdienste gebe es Diskussionen und Veränderungen. In vielen katholischen Kirchengemeinden und Einrichtungen werde die ausgeschriebene Schreibweise beider Geschlechter verwendet, teilt Christian Schnaubelt, Pressesprecher der Katholische Stadtkirche mit.
Warum sollten wir gendern?
Doch warum sollten wir gendergerechte Sprache nutzen? Dr. Beate von Miquel, ehemalige Gleichstellungsbeauftragte und heute Geschäftsführerin des „Marie Jahoda Center for International Gender Studies“ an der Ruhr-Universität, erklärt: „Die Sprache bildet die soziale Ordnung nicht nur ab, sie drückt ihr gewissermaßen ihren Stempel auf. Die geschlechtergerechte Sprache ist ein kreativer Versuch, eine sich verändernde Gesellschaft sprachlich abzubilden.“
Das Bundesverfassungsgericht habe anerkannt, dass es eine „dritte Option“ gibt – also eine Geschlechtszugehörigkeit neben der Kategorie Mann und Frau. Von Miquel: „Geschlechtergerechte Sprache übersetzt das gewissermaßen in unseren Alltag und trägt so zum Abbau von Diskriminierungen und sozialen Ungleichheiten bei.“
„Uns ist klar, dass das generische Maskulinum nicht mehr alleine stehen kann“
Bei Vonovia werde in den meisten Kommunikationsarten „gendergerechte Sprache“ genutzt. „Wir sind für einen pragmatischen Ansatz: Uns ist klar, dass das generische Maskulinum nicht mehr alleine stehen kann“, so Sprecher Matthias Wulff. Auch bei der Knappschaft werde gendergerechte Sprache angewandt – derzeit sorge eine Projektgruppe für die Vereinheitlichung. Beim Unternehmen BP spielt das „Gendern“ hingegen eine nachrangige Rolle: „Als internationales Energieunternehmen findet ein Großteil unserer Kommunikation in Englisch statt“, so Sprecher Marc Schulte. Grundsätzlich verwende das Unternehmen aber geschlechtsneutrale Bezeichnungen.
Hochschulen in Bochum: Keine einheitlichen Regeln zu gendergerechter Sprache
Was ist Gendern?
Sprachwissenschaftliche und psychologische Studien zeigen, dass bei der Nutzung des sogenannten generischen Maskulinums, das heißt der Ansprache aller Personen nur in männlicher Form, Frauen zwar häufig mitgemeint, selten jedoch mitgedacht werden, erklärt die Ruhr-Universität auf ihrer Homepage. Sprache schaffe auch Realität. Durch den sprachlichen Einbezug aller Geschlechter könnten Diskriminierungen und Missverständnisse vermieden werden.
Um die Geschlechterdiversität in Formulierungen zum Ausdruck zu bringen und alle Geschlechter einzubeziehen, wird zum einen der Genderstern* genutzt, erklärt die Ruhr-Universität weiter. Dieser symbolisiert einen Raum für Personen, die sich nicht im zweigeschlechtlichen Kategoriensystem einordnen (können). Im Sprachgebrauch wird der Genderstern* als kurze Pause gesprochen.
Neuerdings wird auch der Gender-Doppelpunkt genutzt, der genau wie der Genderstern* angewandt wird, allerdings laut Experten den Vorteil einer besseren Lesbarkeit mit sich bringen soll. Klammern, ein Schrägstrich oder das Binnen-I gelten inzwischen als veraltet, so die Ruhr-Universität.
Die Regeln zur gendergerechten Sprache sind an den Hochschulen in Bochum nicht einheitlich. In der Verwaltung werde an der Ruhr-Universität derzeit an vielen Stellen, wenn auch nicht lückenlos gegendert. „Mit Blick auf die Fakultäten herrscht eine (...) typische Vielfalt. Einzelne Fakultäten haben beispielsweise eigene Empfehlungen zum geschlechtergerechten Sprachgebrauch verabschiedet“, so Sprecher Jens Wylkop.
„Gendern ist ein Thema, aber es gibt noch keine einheitliche offizielle Sichtweise“, sagt Detlef Bremkens, Sprecher der Hochschule Bochum. Die Hochschule für Gesundheit verwendet in offiziellen Dokumenten wenn möglich die neutrale Formulierung und sonst das Gender-Sternchen. „Für alle anderen Texte der Hochschulangehörigen wird die Art der gendersensiblen Schreibweise individuell offengelassen“, so Sprecherin Julia Gottschick. Ein Senatsbeschluss der Evangelischen Hochschule sehe vor, möglichst die neutrale Form zu verwenden. An weiten Teilen der Technische Hochschule Georg Agricola werde gegendert – es gebe aber keine einheitliche und vorgeschriebene Regelung.
Abstimmung unter Bochumern zeigt: Großteil will nicht gendern
Den Firmen und Hochschulen in Bochum ist das Thema „Gendern“ wichtig – doch wie sieht es bei den Menschen in Bochum aus? Wir haben Umfragen bei Facebook gestartet: Mehr als 80 Prozent der Facebook-User haben dafür abgestimmt, dass sie die gendergerechte Sprache „unnötig“ finden. Auch eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts „Insa-Consulere“, die der Verein Deutsche Sprache in Auftrag gegeben hat, zeigt: Über 60 Prozent halten gendergerechte Sprache für „sehr unwichtig“ oder „eher unwichtig“ – die Einschätzung hält sich bei Männern und Frauen die Waage.
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Die Bochumerin Biggi Frowein meint: „Viele ältere Menschen können mit dem Begriff gar nichts anfangen. Es ist doch gut wie es ist, muss alles kompliziert werden“ Auch Olaf Kelsch aus Bochum findet: „Es nervt. Weiß doch jeder was gemeint ist. Persönlich habe ich bisher noch keine Frau kennenlernen können, welche sich über die alte (normale) Sprache/Schreibweise aufregte oder sich diskriminiert fühlte.“
Die Bochumerin Katja Grabowski meint: „Das hilflose Gendern löst in mir das Gegenteil von dem aus, was es sollte: Alle paar Zeilen fühle ich mich mit der Nase darauf gestoßen, dass der Unterschied zwischen Männlein und Weiblein so wahnsinnig wichtig ist, dass er nirgends unerwähnt bleiben darf!“
„Sprache bildet Realität ab. Dazu gehört das Einbeziehen aller Geschlechter“
Doch es gibt auch Gegenstimmen: Philipp Meyer von der Twer findet, dass möglichst die neutrale genutzt werden sollte – lieber „Teilnehmende“ statt Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Maurice Spengler ergänzt: „Sprache bildet Realität ab und prägt sie. Deshalb sollte sie inklusiv und gerecht sein. Dazu gehört für mich auch das Einbeziehen und Sichtbarmachen aller Geschlechter.“ Das sieht auch Bochumerin Tabea Diek so und plädiert dafür, mit einem Doppelpunkt zu gendern: „Er ist nicht nur hinsichtlich des Gender inklusiv, sondern auch für Menschen mit einer Sehbehinderung hörbar in vorgelesenen Texten.“