Bochum. Applaus statt Lohn: Studien zeigen, unter der Coronakrise leidet die Gleichberechtigung. Der Frauenbeirat Bochum will das nicht hinnehmen.

Nicht nur in den systemrelevanten Berufen, auch zu Hause tragen die Frauen in der Krise mehr Verantwortung, übernehmen hauptsächlich die Kindererziehung und den Unterricht zu Hause neben ihrem eigenen Beruf – und büßen dabei Errungenschaften der Gleichstellung ein. Nach den Ergebnissen erster Studien zur Auswirkung der Coronakrise auf die Rolle der Frau, fürchtet der Bochumer Frauenbeirat einen Rückfall in die 50er Jahre.

Ernüchterung, Wut und zugleich Entschlossenheit stehen im Raum, als der Frauenbeirat zum ersten Mal seit Beginn der Coronakrise im Rathaus zusammenkommt. Jede der Anwesenden hat in den vergangenen Wochen die Doppelbelastung von Homeschooling und Kinder- oder Enkelbetreuung meistern müssen. Vorsitzende Angela Siebold freut sich über das persönliche Treffen im kleinen Sitzungssaal des Rathauses, den wegen Überfüllung einige wieder verlassen müssen. „Die tausenden Videokonferenzen stehen mir bis hier“, sagt Siebold zu den Beiratsmitgliedern und Gästen.

Frauen reduzieren ihre Arbeit für den Heimunterricht der Kinder

„Die letzten Wochen mit Corona haben uns komplett zurückgeworfen“, sagt die Vorsitzende und fasst die Ergebnisse einiger Studien zu den Auswirkungen der Krise zusammen: „Um das Homeschooling der Kinder kümmern sich vor allem die Frauen. Es sind vorwiegend Frauen, die in der Krise deshalb ihre Arbeit reduzieren. Die, die in der Krise ihre Arbeit ganz aufgeben, sind auch meist Frauen.“

Sie habe das Gefühl, zurück in die 50er Jahre gerissen worden zu sein. Was das Emanzipationsrisiko Corona anbelangt, „haben wir kein Erkenntnis- sondern ein Umsetzungsdefizit“, sagt die Frauenbeiratsvorsitzende. Einige der Beiratsmitglieder sind auch Erstunterzeichnerinnen des sogenannten „Care-Manifests“ und setzen sich für einen sogenannten „Care-Gipfel“ ein, der unterbezahlte oder unbezahlte Arbeit in Pflege und Erziehung – und damit auch Frauen – politisch sichtbar machen will.

„Unbezahlter Arbeit soll ein Wert zugemessen werden. Außerdem gehört Schwarzarbeit in Haushalts-nahen Jobs und 450-Euro-Jobs abgeschafft“, sagt die städtische Gleichstellungsbeauftragte Regina Czajka, „Wir wollen einen Care-Gipfel im Kanzleramt. Einen Autogipfel gibt es immer sofort.“

Frauenbeirat Bochum: Klatschen auf dem Balkon – eine peinliche Aktion

Die Frauen im Saal haben wenig für die gesellschaftlich gezeigte Anerkennung für Frauen in systemrelevanten Berufen übrig. „Den Applaus auf Balkonen fand ich eine peinliche Aktion“, sagt Beiratsmitglied Petra Kersting, „Wenn ich in dem Sektor beschäftigt wäre, würde es mich anekeln.“

Das ist Care-Arbeit

Care-Arbeit umfasst Tätigkeiten wie Geburtshilfe, soziale Arbeit, Erziehungs- und Betreuungsberufe, Kranken- und Altenpflege und die Unterstützung von Menschen mit Behinderung.

Auch gänzlich unbezahlte Arbeit in der Familie, im Haushalt oder der Grabpflege zählen dazu.

Die Tätigkeiten eint eine hohe Verantwortung, keine Anerkennung und schlechte oder keine Bezahlung.

80 Prozent dieser Arbeiten leisten Frauen.

2016 wurde der Equal Care Day ins Leben gerufen.

Ein eingespieltes Video einer Rede von Markus Söder, indem er preist, welche Chancen das Homeoffice für die Work-Life-Balance bietet, erntet unter den Anwesenden ähnlich-fassungslose Reaktionen. „Die eigentlichen Krisenmanager sind wir“, kommentiert Fiona Rode, die als Geschäftsführerin des Arbeiter-Samariter-Bunds dem Netzwerk Bochumer Führungsfrauen angehört. Beiratsmitglied Diane Tigges-Brünger kritisiert, auf den Plakaten der Wir-Kampagne der Stadt Bochum würden vorwiegend Männer als die Macher dargestellt.

Bochumerinnen fordern: „Wir müssen jetzt sichtbar werden!“

Beiratsmitglied Stefanie Helder-Notzon wirft das Mittel der Demonstration oder des Streiks in den Raum. „Was würde bei einem Frauenstreik im Haushalt passieren, wenn alle Frauen für drei Tage keine Wäsche mehr waschen, kein Kindertaxi spielen, kein Essen kochen?“, fragt Helder-Notzon, „Doch das würden die Frauen nie machen, wegen ihres Verantwortungsbewusstseins.“ Diane Tigges-Brünger betont: „Die Krise zeigt uns, dass wir mit dem, was wir seit 40 Jahren fordern, Recht haben.“ Die Problematik müsse nun in das öffentliche Bewusstsein, „Ich möchte nicht mehr darüber diskutieren, was im privaten Bereich möglich ist. Wir müssen jetzt sichtbar werden!“

Der Bochumer Frauenbeirat unterstützt die Forderungen des Deutschen Frauenrats: Finanzausgaben sollten auf ihre Auswirkungen auf das Leben beider Geschlechter und ihre tatsächliche Gleichstellung hin überprüft werden. Wissenschaftliche und politische Gremien sollten geschlechtergerecht besetzt und die Bundesfrauenministerin Franziska Giffey als festes Mitglied in das Corona-Kabinett berufen werden. Außerdem sollten im Koalitionsvertrag niedergeschriebene Vorhaben zur Gleichstellung der Geschlechter politisch umgesetzt werden.

Zahlreiche bundesweite Verbände forderten außerdem Ende April in einem Aufruf, die finanzielle Aufwertung der Pflege- und Erziehungsberufe. Sonderregelungen für geringfügig Beschäftigte gehörten abgeschafft. Steuer-, Sozial- und Familienleisten sollten so aufeinander abgestimmt werden, dass sie „zu einer tatsächlichen finanziellen Verbesserung für Frauen , insbesondere für Alleinerziehende führen“. Die Verbände fordern zudem eine bundesweite Gewährleistung von Beratungs- und Gewaltschutz-Einrichtungen, an die sich Frauen jeder Herkunft wenden können.

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