Bochum. Im Rollstuhl alleine durch Bochum fahren? Für Frank Wendland unmöglich, zu groß sind die Barrieren. Er wünscht sich die Selbstständigkeit zurück.

„Wenn der Aufzug nicht funktioniert, muss ich wieder in die Bahn steigen und mein Glück an einer anderen Haltestelle versuchen“, erzählt Frank Wendland aus Bochum. Der 64-Jährige ist an der Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose erkrankt und auf einen Rollstuhl angewiesen. „Ich möchte ganz gerne mal alleine einkaufen gehen“, sagt der Höntroper. Das ist unmöglich, zu viele Barrieren hindern ihn daran, selbstständig zu sein.

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Ein frühlingshafter Mittag in der Bochumer Innenstadt. Frank Wendland sitzt in seinem Rollstuhl, neben ihm steht sein langjähriger Freund Manfred Elwing. Das Duo genießt vor dem Rathaus die Sonnenstrahlen, die die noch winterlichen Temperaturen langsam angenehmer machen. „Wenn das Wetter gut ist, machen wir öfter Ausflüge zusammen“, erzählt der 69-jährige Elwing aus Harpen.

Rollstuhlfahrer aus Bochum fordert: „Einstieg in Bus und Bahn müsste optimiert werden“

Sein Freund Wendland ist alleinstehend und froh über die Begleitung – allein hätte er es heute wohl nicht hierher geschafft. „Der Einstieg in Bus und Bahn müsste optimiert werden, damit ich ohne fremde Hilfe einsteigen könnte“, erzählt der Mann, der seit 20 Jahren im Rollstuhl sitzt. Diesmal hatte er Glück, dass er an der U-Bahn-Haltestelle „Rathaus“ aussteigen konnte. Hätte der einzige Aufzug nicht funktioniert, hätte er bei der Bogestra nach Hilfe fragen müssen – oder wäre eine Station weitergefahren, in der Hoffnung, dass es dort besser läuft.

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Die Bogestra weist darauf hin, dass sie ein eigenes Team habe, das Fahrtreppen und Aufzüge warte: „So können ca. 95 Prozent der Störungen innerhalb eines Tages beseitigt werden“, erklärt Sprecher Christoph Kollmann. Insgesamt gebe es im Bogestra-Gebiet 165 Rolltreppen und 53 Aufzüge. „Zu etwa 75 Prozent sind die Störungen durch Vandalismus verursacht. Ursache für die sonstigen Defekte sind u. a. Witterungseinflüsse“, so Kollmann. Hinweise fänden Kunden unter anderem über die Homepage des Nahverkehrsbetriebs. Kollmann: „Weil Störungen und Vandalismus-Beschädigungen kurzfristig auftreten können, lassen sich Fälle, in denen Fahrgäste (...) auf Störungen treffen, leider nicht ganz verhindern.“

Frank Wendland sitzt im Rollstuhl und wird begleitet von Manfred Elwing. Eine Rolltreppe stellt für ihn ein unüberwindbares Hindernis dar. Er muss hoffen, dass Aufzüge funktionieren.
Frank Wendland sitzt im Rollstuhl und wird begleitet von Manfred Elwing. Eine Rolltreppe stellt für ihn ein unüberwindbares Hindernis dar. Er muss hoffen, dass Aufzüge funktionieren. © FUNKE Foto Services | Gero Helm

Barrieren verhindern einen normalen Alltag – manchmal hilft nur Humor

Rollstuhlfahrer Wendland findet: „In den vergangenen Jahren hat sich etwas getan, aber es geht einfach zu langsam.“ Bei einem Gang durch die Innenstadt fällt der Blick in die Geschäfte und es wird deutlich, was er meint: Hier braucht es zwei Stufen hinauf, um in den Optiker zu gelangen, an einem Restaurant geht es mehrere Treppenstufen hinab. „Die müssen dir dein Bier wohl rausbringen“, scherzt Elwing. Die beiden Freunde versuchen viele Situationen mit Humor zu nehmen.

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Doch zum Lachen ist beiden nicht immer zumute. Gerade weil die Barrieren Wendland jegliche Selbstständigkeit rauben. Zum Beispiel hat er eine Einkaufshilfe, unter anderem die Gänge im Supermarkt seien häufig zu eng.

Durch die Corona-Pandemie hat sich für Wendland nicht allzu viel verändert, weder ins Positive noch ins Negative. „Gerade die derzeitige Situation ist aber wohl dazu angetan, dass manche Mitmenschen nicht nur über die eigene gesundheitliche Lage ins Grübeln geraten, sondern dass bei vielen auch die Überzeugung wächst, dass nur in einer erheblich gesteigerten Mitmenschlichkeit ein gangbarer Weg aus der Krise zu finden ist“, hofft Elwing.

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Bochumer zeigen Hilfsbereitschaft

Bogestra hat Busse und Bahnen modernisiert

„Fahrgäste, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, sollen Busse und Bahnen möglichst barrierefrei nutzen können“, heißt es dazu von Bogestra-Sprecher Kollmann. Daher habe der Nahverkehrsbetrieb in den vergangenen Jahren viele Anstrengungen unternommen, um dies zu ermöglichen. Seit 2008 seien sogenannte Niederflurstraßenbahnen der zweiten Generation im Einsatz.

„Diese neuen Bahnen ersetzten Schritt für Schritt ältere Straßenbahnen. Bei diesen waren für den Einstieg Stufen zu überwinden und waren daher für Rollstuhlfahrer nicht nutzbar“, so Kollmann weiter. Seit Ende 2019 fahren die neuen Bahnen auf allen Linien, zuletzt wurde auch die 310 modernisiert – sie verfügen pro Seite über zwei Klapprampen. Kollmann: „Diese machen die Überwindung des sogenannten ,Restspalts’ möglich.“ Seit 2013 verfügten zudem alle Bogestra-Busse über Klapprampen.

Dass die beiden, aber vor allem Wendland, in Bochum immer wieder Hilfsbereitschaft erleben, macht die Sache etwas besser: Aus der Innenstadt geht es mit der Bahn in Richtung Hauptbahnhof, schon beim Einstieg machen die Bochumer dem Mann im Rollstuhl Platz. Elwing berichtet von einer der vergangenen Fahrten: „Ein junger Mann fasste, ohne meine Zustimmung abzuwarten, den Rolli gekonnt an der richtigen Stelle an und half uns mit dem Wort Moment und einem kräftigen Handgriff über die Hürde.“

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Wendland schafft es an diesem Frühlingstag mit der Hilfe Elwings aus der Bahn. Am Hauptbahnhof angekommen, sucht das Duo den Aufzug. „Wo kommen wir raus? Das ist schon recht spärlich ausgeschildert“, meint Wendland. Doch gesucht, gefunden. Nach zweimaligem Umsteigen in andere Fahrstühle erreichen die beiden schließlich den Kurt-Schumacher-Platz. „Komfortabel, oder?“, meint Manfred Elwing mit leicht ironischem Lächeln und ergänzt: „Abenteuer, überall.“