Bochum-Langendreer. Gottesdienst mal anders: Zum Erntedank-Fest spaziert die evangelische Gemeinde Langendreer durch den Stadtteil. Es darf sogar gesungen werden.

Leicht fällt es aktuell nicht, „Danke“ zu sagen: Angesichts der Krisenlage auf dem gesamten Globus liegt das Meckern näher. Warum lässt Gott dieses Leid zu? Wieso wird uns so viel genommen? „Das Erntedank-Fest steht in diesem Jahr unter einem besonderen Stern“, sagt auch Bärbel Vogtmann, während sie in einer bunten Schlange aus Regenschirmen und Jacken in die Straße Am Honnengraben einbiegt. Sie hat sich dem Erntedank-Spaziergang der evangelischen Kirchengemeinde Bochum- Langendreer angeschlossen, der in diesem Jahr anstelle eines klassischen Kirchgottesdienstes veranstaltet wird.

Rund 110 Teilnehmer sind gekommen. „Wir haben schon im letzten Jahr einen solchen Spaziergang gemacht, aber in Zeiten von Corona heißt es: Jetzt erst recht“, sagt Bärbel Vogtmann. Auch, wenn die Form eine andere ist: In Kleingruppen und entlang des Birkhuhnweges, Luchsweges und der Baroper Straße: „Ein Gottesdienst ist das trotzdem“, sagt Vogtmann. Denn in der Bibel heiße es: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“

„Wir haben zu essen, das sollten wir nicht vergessen“

Während der Posaunenchor den etwa zwei Kilometer langen Weg vorgibt, sagt Iris-Angelika Petz: „Ich finde das Format toll, auch wenn ich es normalerweise so kenne, dass Lebensmittelgaben an den Altar gestellt werden.“ Auch für Danuta Putek ist der Erntedank-Gottesdienst in Form eines Spaziergangs etwas Neues: „Ich komme aus Polen, dort wird das Fest eigentlich groß gefeiert. Auf Wiesen wird getanzt und Kronen aus Körnern werden gebastelt“, erzählt sie.

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Zwar blieben Bilder von mit Kürbissen, Getreide und Obst bestückten Tischen in diesem Jahr aus, ihr sei es dennoch wichtig, auch jetzt „Danke“ zu sagen: „Wir haben jeden Tag zu essen, das sollten wir nicht vergessen“, so Danuta Putek. Pfarrer Joachim Gentz hofft, in diesem Jahr das Gespür für das, was uns alles geschenkt ist, verstärken zu können. „Wir sind von der Natur und unserer Umwelt auf vielfältige Weise abhängig, das sieht man gerade sehr deutlich“, sagt er.

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Dabei hilft der Blick auf das abgeerntete und mit der Wintersaat bestückte Feld am Honnengraben, an dem die Gemeinde Halt macht. Gerade als die Spaziergänger das Lied „Wir pflügen und wir streuen“ anstimmen, klart der Himmel auf, Sonnenstrahlen leuchten auf das Feld nahe der Autobahn 448. „Schön, dass man Singen darf“, finden Marie Hilger und Nils Hauptvogel.

Viele Angebote – von Picknick bis offene Kirche

Auch Sandra Mette, die mit der zweijährigen Mia gekommen ist, sagt: „Das ist das erste Erntedank-Fest, welches sie so richtig erlebt. Toll, dass es ein Angebot gibt.“ Auch andere Gemeinden haben sich in diesem Jahr neue Formate einfallen lassen: So findet etwa im Matthäuspark in Weitmar ein ökumenischer Open-Air-Gottesdienst mit Campingstühlen statt, das Lutherhaus in Stiepel veranstaltet einen Familien-Picknick und die Erlöserkirche in Hiltrop lädt zur stillen Einkehr in die offene Kirche.

Immer am ersten Oktobersonntag

Erntedank-Bräuche gibt es in vielen Kulturen und bei allen großen Religionen. Nach einem Erlass des preußischen Königs 1773 bürgerte sich das Fest am Michaelistag (29. September) oder am ersten Sonntag danach als Termin ein.

Mittlerweile ist in Deutschland der erste Oktobersonntag Erntedank-Termi n, da der Michaelistag, wenn er auf einen Samstag fällt, am folgenden Sonntag gefeiert wird.

Alina und Dennis Sprenger sind mit ihren Kindern Holly (5) und Dean (6) nach Langendreer gekommen. „Jetzt, wo das Wetter schlechter wird, bietet sich im Oktober wohl die letzte Möglichkeit für eine solche Veranstaltung als Spaziergang“, sagen sie. Ob sich auch im letzten Viertel des Jahres etablierte Formate wie Weihnachtsgottesdienste, Adventmärkte oder Silvesterveranstaltungen durch Spaziergänge ersetzen ließen, bezweifeln die Sprengers.

Der Kontakt fehlt den Gläubigen auch weiterhin

Irma Scharschmidt jedenfalls bedauert: „Durch die Abstandsvorgaben sind wirkliche Gespräche leider immer noch nicht möglich. Der Kontakt fehlt.“ Stefanie Gerhards hingegen findet: „Man läuft zwar in Kleingruppen, aber es entsteht dennoch ein Gemeinschaftsgefühl.“ Für Kinder sei es außerdem besser, in Bewegung zu sein, anstatt auf Bänken sitzen zu müssen.

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Eine Wegzehrung gibt es für sie dann auch noch: Am Honnengraben werden Brötchen und Rosinen verteilt. Wieder am Birkhuhnweg angekommen, stimmt die Gemeinde das letzte Lied an: „Bewahre uns Gott, behüte uns, sei mit uns in allem Leiden. Voll Wärme und Licht im Angesicht, sei nahe in schweren Zeiten.“ Die Lautstärke der singenden Spaziergänger zeigt: Den Wunsch teilen scheinbar alle.

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