Bochum. Staatsanwälte und Richter in Bochum haben immer mehr Arbeitsdruck. Die Fallzahlen steigen. Viele neue Aufgaben sind hinzugekommen.
Die Strafjustiz in Bochum hat immer mehr Arbeitsdruck. Zwar sei in den vergangenen Jahren die Anzahl der Stellen bei den Gerichten und der Staatsanwaltschaft erhöht worden, aber dieser Vorteil werde von reichlich Mehrarbeit wieder aufgebraucht.
Das erklärt der Vorsitzende der Bezirksgruppe Bochum des Bundes der Richter und Staatsanwälte, Michael Rehaag, auf Anfrage der WAZ. „Man muss ganz klar sagen, dass mannigfaltige Aufgaben hinzugekommen sind.“ Das lässt sich deutlich an der Anzahl der neuen Ermittlungsverfahren ablesen. Oberstaatsanwalt Dr. Christian Kuhnert: „2018 gingen 61.922 und im Jahr 2019 63.001 Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft Bochum ein.“ Auch die Komplexität der jeweiligen Verfahren hat deutlich zugenommen. Zehn Jahre davor waren es 53.000 Verfahren.
Viele U-Häftlinge mussten freigelassen werden
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Die Zahlen beziehen sich auf den ganzen Bezirk der Staatsanwaltschaft. Außer Bochum sind dies noch Herne, Witten, Recklinghausen, Waltrop, Datteln, Herten und Oer-Erkenschwick. In Bochum arbeiten knapp 50 Amtsrichter, am Landgericht 91 Richter, 81 Staatsanwälte sowie – für kleinere Strafsachen – 18 Amtsanwälte.
Der bundesweite Richterbund hatte vor wenigen Tagen beklagt, dass die Strafjustiz wegen Überlastung immer häufiger Tatverdächtige aus der U-Haft habe entlassen müssen, weil die Strafverfahren zu lange dauerten – 250 Fälle in den vergangenen fünf Jahren. Im Bochumer Gerichtsbezirk gab es einen solchen Fall bisher zwar nicht. „Wir bekommen das durch geschickte Umverteilung hin“, sagt Rehaag. Trotzdem würden auch hier die Staatsanwälte und die Richter zunehmend belastet.
Diese Aufgaben sind für die Strafverfolger in Bochum neu hinzugekommen
Er nennt einige Beispiele:
Immer mehr wird die Strafjustiz durch Verfahren gegen „Reichsbürger“ beschäftigt. Es gibt nicht nur mehr Fälle, jeder einzelne ist auch extrem zeitintensiv. Grund: Reichsbürger kennen den deutschen Staat und seine Gesetze häufig nicht an, so dass sie grundsätzlich gegen alle Maßnahmen der Justiz Beschwerde einlegen. Rechtsmittel würden „bis zur Grenze des Unzulässigen und darüber hinaus ausgeschöpft“, sagt Rehaag.
Zweites Beispiel Vermögensabschöpfung: Häufiger als in früheren Jahren wird heute bei Straftätern eine Vermögensabschöpfung durchgeführt. Nur mit einer Bestrafung ist es nicht mehr getan. Vermögenswerte von Tätern aufzuspüren und auf sie zugreifen zu können, ist aber oft extrem schwer und aufwändig, zumal im Ausland.
Richter müssen entscheiden, wenn ein Schwerkranker mit Bettgitter geschützt wird
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Zunehmend ermitteln Staatsanwälte wegen Beleidigungen und anderer Straftaten im Internet. Die werden heute viel häufiger verfolgt. Das Landeskriminalamt NRW hat dafür extra das „Kompetenzzentrum Cybercrime“ geschaffen.
„Freiheitsentziehende Maßnahmen“ brauchen heute immer einen richterlichen Beschluss, auch wenn es nicht um Haft geht. Wenn zum Beispiel ein Patient in der Geriatrie ein Bettgitter haben muss, weil er sonst zu Boden stürzen könnte, muss erst ein Richter darüber entscheiden.
Ebenfalls zusätzlich belastet werden (Amts-)Richter durch eine zeitliche Ausweitung der Eil- und Bereitschaftsdienste – später in den Abend hinein und früher am Morgen.
Deutlich mehr Anzeigen der Polizei wegen Übergriffen auf Beamte
Zu wenig Büros im Justizzentrum
Michael Rehaag ist selbst Richter und Vorsitzender einer Wirtschaftsstrafkammer. Zudem steht er dem Bochumer Richterrat vor (Betriebsrat).
Der Richter stellt auch eine „räumliche Enge“ im Justizzentrum fest. Dieses sei dem Personalzuwachs nicht mehr gewachsen, so dass sich einige Richter ein Büro teilen müssten.
Außerdem würde die Polizei heute deutlich mehr Anzeigen wegen Beleidigungen und anderer Übergriffe gegen Beamte schreiben, schildert Rehaag. Das sei natürlich keinerlei Kritik, aber objektiv sorge auch dies für mehr Arbeit bei den Strafverfolgern.
Nicht zuletzt gibt es auch neue Strafgesetze - und damit neue Verfahren. Beispiel: „Verbotene Kraftfahrzeugrennen“ (§ 315d StGB). Strafbar ist demnach nicht nur, wer ein Rennen im eigentlichen Sinne führt, mit einem oder mehreren anderen. Sondern auch, wer „sich als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“. Auch diese Strafvorschrift treibt die Fallzahlen nach oben.
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