Bochum. Landgerichtspräsident Hartwig Kemner (66), geht in den Ruhestand. Im Interview mit der WAZ sprach er über Herausforderungen in der Justiz.

Er bekleidet das höchste Staatsamt in Bochum: Hartwig Kemner, Präsident des Landgerichts. Er hat die Dienstaufsicht über 195 Richterinnen und Richter in Bochum, Witten, Herne und Recklinghausen. Jetzt geht Kemner, ein waschechter Bochumer, mit 66 Jahren in Pension.

37 Jahre lang war er selbst Richter, hatte zuletzt eine Zivilkammer für Berufungen geleitet. Als Richter, sagt er, schaffe es „eine tiefe Befriedigung, Rechtsfrieden zu schaffen und Parteien zusammenzubringen, die vorher auseinander lagen“. In der Hauptsache war er aber Verwalter und Organisator des gesamten Gerichts- und Personalbetriebes. Die WAZ sprach mit ihm.

WAZ: Es ist ja nun schon das zweite Mal, dass Sie das Gebäude am Ostring - früher das Gymnasium am Ostring, heute das Justizzentrum – verlassen müssen, früher als Abiturient, heute als Gerichtspräsident. Schon sonderbar, nicht wahr?

Hartwig Kemner: 1972 habe ich dort Abitur gemacht im zarten Alter von 18 Jahren. Damals waren drei Grönemeyer-Kinder auf der Schule, auch der Schauspieler Claude-Oliver Rudolph. Aus der Schule sind später viele Chefarzt, Professor oder Jurist geworden. Ein sonderbares Gefühl ist das aber nicht, dass ich das Gebäude verlasse. Mich bewegt aber, dass ich den Gesamtkomplex Justizzentrum und die Menschen, die hier arbeiten, verlasse. Gemeinsam mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern habe ich das Gebäude mit viel Energie und Herzblut zur Vollendung gebracht, so dass es Ende 2017 eröffnet werden konnte.

Hätten Sie gern weitergemacht?

Ich hätte noch bis 67 arbeiten können, habe das aber mit meiner Frau genau abgewogen, wie lange man mit seiner Schaffenskraft noch seinen eigenen Ansprüchen gerecht werden kann. Ich bin mit mir im Reinen darüber, was nicht heißt, dass ich mit Euphorie gehe. Wehmut ist dabei. Ich habe immer mit Herzblut gearbeitet. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind mir ans Herz gewachsen. Es ist ein großer Verlust, dass ich sie nicht mehr täglich sehe.

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Sie wirken nicht, als würden Sie demnächst nur auf dem Sofa sitzen und Fernsehen gucken. Was haben Sie vor?

Eine der meistgestellten Fragen zuletzt. Ich will ein wenig runterkommen, privat noch einiges erledigen. Ich werde aber nicht vor dem Fernsehen sitzen und Gerichtsshows angucken. Ich werde versuchen, meiner Familie etwas zurückzugeben, was sie mir in den vielen Jahren meiner beruflichen Tätigkeit gegeben hat, und mit Sport auf meine Gesundheit achten. Der Akku wird im Alter schneller leer, wenn man nicht sportlich aktiv bleibt.

Was war Ihre wichtigste Entscheidung in Ihrer juristischen Laufbahn?

Das war mit 40 Jahren, als ich vor der Frage stand: Strebe ich an, Vorsitzender Richter am Landgericht zu werden, oder wechsele ich zum Oberlandesgericht Hamm. Eine Weichenstellung. Ich bin dann zum OLG gegangen, weil ich dort vielfältigere Möglichkeiten gesehen habe. Ich hatte damals aber nicht im Traum daran gedacht, einmal Präsident des Landgerichts zu werden. Das wäre Selbstüberschätzung gewesen.

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Immer wieder werden in der Belegschaft des Justizzentrums mit seinen 800 Mitarbeitern Stimmen laut, die sich über das neue Gebäude beklagen, die relative Enge der Büros und die Haustechnik. Was sagen Sie denen?

Die Zimmer sind nicht zu klein. Das ist objektiv nicht richtig. Das entspricht den gesetzlichen Rahmenbedingungen. Sie kennen doch das frühere Gerichtsgebäude: Sie können doch nicht sagen, dass das besser war. Wer im jetzigen Justizzentrum ganz neu anfängt, sagt: Schön, dass ich in Bochum arbeiten kann. Einiges hatte sich zwar nicht als so praktisch dargestellt, wie wir es uns gedacht hatten. Aber vieles wurde schon nachgearbeitet, und manches ist noch auf dem Weg.

Kemners Nachfolger ist Rainer Mues

Der Nachfolger von Hartwig Kemner steht bereits fest. Es handelt sich um Rainer Mues.

Er ist zurzeit noch Präsident des Landgerichts Detmold. Am 4. November wird er offiziell in sein Amt eingeführt.

Vor welchen großen Herausforderungen steht der Justizbetrieb in Bochum?

Es sind keine Herausforderungen, die nur die Bochumer Justiz betreffen, sondern die gesamte Justiz. Die fortschreitende Digitalisierung, das wird viel Kraft kosten. Mit der Pilotierung der elektronischen Gerichtsakte in unseren Zivilkammern haben wir schon insoweit Pionierarbeit geleistet. Außerdem wird es immer schwieriger, geeigneten Nachwuchs zu bekommen, gerade im Richterbereich. Wir müssen kämpfen. Wir könnten mehr einstellen. Drittens geht es darum, weiterhin die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – wie durch Elternzeiten, Teilzeit und der Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten - zu gewährleisten und zu fördern.

Immer wieder ist in einigen Gesellschaftskreisen nach Strafurteilen von einer „Kuscheljustiz“ die Rede. Können Sie das nachvollziehen?

Dass die Justiz zu lasch sei, kann ich nicht nachvollziehen. Wir haben hier hochengagierte Strafrichterinnen und Strafrichter. Die Bürger bekommen die Hauptverhandlung, die die Grundlage für ein Urteil ist, in der Regel ja nicht mit. Dort werden aber die Feststellungen, die für die Beurteilung der Strafbarkeit entscheiden sind, wie auch die persönlichen Umstände festgestellt, die für die Strafzumessung wichtig sind. In der Medienberichterstattung wird das aber verkürzt dargestellt. Das gibt dann den Bürgern Platz für eigene Wertungen.