Bochum. Wieder einmal erhalten Johan Simons und das Schauspielhaus Bochum bei einer Theater-Umfrage Bestnoten. Was macht den Intendanten so erfolgreich?

Alle Jahre wieder im August wartet die Theater-Gemeinde, auch in Bochum, auf die Autorenumfrage der Fachzeitschrift „Die Deutsche Bühne“. Fast wäre sie diesmal ausgefallen, denn ungebeten mischte ein neuer Akteur bei der Erhebung mit: Das Coronavirus hatte in der Saison 2019/20 so tiefe Spuren hinterlassen, dass sich die Frage stellte, ob eine profunde Bewertung der Bühnenleistungen überhaupt Sinn macht. Schließlich wurde seit März ja kaum noch gespielt.

Kunst soll nicht in Vergessenheit geraten

Am Ende siegte aber doch die Einsicht, dass angesichts der verzweifelten Lage eine künstlerische Würdigung der verkorksten Saison wichtiger sei denn je. Damit das Theater nicht ganz in Vergessenheit gerät.

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Ein Glück auch für das Schauspielhaus, denn die Bochumer Bühne setzte sich in besagter Umfrage neben den Münchner Kammerspielen deutlich von der Konkurrenz ab. Johan Simons, seit 2018 Intendant in Bochum, übernimmt mit elf Nennungen sogar klar die Führung in der Kategorie „Herausragender Beitrag zum Schauspiel“, wobei jeweils Intendant bzw. Regisseur und Theater in einem Atemzug genannt werden.

Von der „Jüdin“ bis zu „Iwanow“

Damit wird einmal mehr dokumentiert, was schon länger offenbar ist: Aktuell wird Bochums Theater fast ausschließlich über die Person und die künstlerische Tätigkeit von Johan Simons definiert. Seine Inszenierungen von „Die Jüdin von Toledo“ über „Penthesilea“ und „Hamlet“ bis zu „Iwanow“ waren Sternstunden des Theaters, weil sie Spielfreude und Agilität ebenso beinhalteten wie genau durchdachte Konzeptionen des Politischen. Es ist ein Theater, das fordert, aber nicht überwältigt. Das zum Mit-Denken auffordert, das dem Publikum „Arbeit macht“.

Tatsächlich sind Simons’ Stücke nicht nur vielfach ausgezeichnet (u.a. Einladung zum Theatertreffen in Berlin) und von der Kritik gelobt worden, sie überstrahlen alles andere, auch was den Publikumszuspruch angeht.

Zur Person

Johan Simons (* 1946) ist ein international bekannter niederländischer Theater- und Opernregisseur. Von 2015 bis 2017 leitete er die Ruhrtriennale. Seit der Spielzeit 2018/2019 ist er Intendant des Schauspielhauses Bochum.

Die nächste große Inszenierung von Johan Simons ist „King Lear“ von William Shakespeare. Mit der Premiere des Dramas wird die neue Spielzeit am 10. September eröffnet. Karten & Info: 0234/3333-5555.

Zwar kamen in den zwei Spielzeiten des niederländischen Intendanten etwa mit Karin Henkels „Geschichten aus dem Wienerwald“, Herbert Fritschs „Philosophie im Boudoir“ oder Dušan David Pařízek „Iphigenie“ gleichfalls hochkarätige Produktionen heraus, dem Gesamtbild fügten sie aber nur kleine Mosaiksteine zu. Zu dominierend ist Simons‘ Arbeit und Persönlichkeit.

Kreative Kraft flammt ohne Pause

Woran liegt das?

Zunächst an der Person selbst. Johan Simons ist das, was man früher einen „Theaterberserker“ genannt hätte; jemand, der für die Kunst brennt, dessen geistige und kreative Kraft scheinbar ohne Pause flammt und immer neue Wellen hinaus schickt in die Welt.

Schlag auf Schlag entwickelt er seine Pläne, und setzt Ideen, wenn es sein muss, auch mal hoppla hopp um – so, als es darum ging, eine Antwort auf die Herausforderung der Corona-Krise zu geben und Simons mit dem Ensemble eine dystopische Neufassung von Elias Canettis „Die Befristeten“ auf die leere Bühne hievte.

Lange Schatten des Erschreckens

Es war das hoch künstlerische Destillat eines längst vergessenen Schauspiels, das durch die veränderte Situation plötzlich lange Schatten des Erschreckens und der Einsicht warf.

Szene aus der Inszenierung „Die Jüdin von Toledo“, mit der Johan Simons seine Intendanz in Bochum 2018 eröffnete.
Szene aus der Inszenierung „Die Jüdin von Toledo“, mit der Johan Simons seine Intendanz in Bochum 2018 eröffnete. © Jörg Brüggemann / Ostkreuz

Simons kann sich so eine Arbeitsweise leisten, denn sein Können und sein (politisches) Gespür fußen auf einer fast 50-jährigen Erfahrung im Dienst der Kunst. Das ist keine neue Einsicht, denn als Intendant der Münchner Kammerspiele und der Ruhrtriennale waren Simons Fähigkeiten schon ausreichend deutlich geworden. Dennoch rollen sie nun das Bochumer Stadttheater gleichsam von hinten auf.

Ein Kraftfeld, um das alles kreist

Das Ensemble, die Dramaturgie, die Mitarbeiter: Sie alle sind wichtig, um den Betrieb an der Königsallee zu stemmen (wenn nicht gerade Corona herrscht). Aber der Intendant ist das Kraftfeld, um das alles kreist. Johan Simons ist das Schauspielhaus, und das Schauspielhaus ist Johan Simons. In der Hinsicht steht er dominanten Vorgängern wie Peter Zadek und Claus Peymann kaum nach.

„Hier gilt’s der Kunst!“

Nichts beweist das mehr, als dass er das Große Haus als „seine Bühne“ begreift, dass er diesen riesigen Theatersaal mit Kunst, Konzentration und Kontemplation füllen will. Man kann das egozentrisch nennen, aber vielleicht ist es auch nur normal. Die Bühnenwelt lebt von Typen, die als Gestalter großer Würfe Solitäre im Teamplay des Theaters sind. Wie Gustaf Gründgens, Claus Peymann, Frank Castorf ist Simons so ein Typ. Mit den Details der Rechnungslegung und der Schönheit von Zahlenkolonnen gibt er sich dagegen kaum ab. „Hier gilt’s der Kunst!“, würde Simons mit Richard Wagner sagen.

Eine Frage des Temperaments

Sein Vorgänger war übrigens ganz anders. Anselm Weber inszenierte regelmäßig in seinen sieben Intendanten-Jahren, und Vieles ist in Erinnerung geblieben, etwa sein „Don Carlos“, „Alle meine Söhne“ oder die Uraufführung von Lutz Hübners „Richtfest“. Die Akzente aber setzten andere Regisseure, Roger Vontobel mit „Die Nibelungen“ und „Rose Bernd“, David Bösch mit „Draußen vor der Tür“, Lisa Nielebock mit „Amphitryon“ und „Die Orestie“. Es ist letztlich eine Temperamentsfrage, auch eine der Fähigkeiten und vielleicht sogar eine des Zwangs.

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Simons Zwang konzentriert sich rein auf die Kunst, Webers Zwang lag in der Herausforderung, ein Loch im Etat des Schauspielhauses stopfen zu müssen, das ohne sein Zutun aufgebrochen war, wobei ihn die Stadt Bochum nach Kräften im Regen stehen ließ. Er sei in den ersten Jahren mehr Buchhalter als Regisseur und Künstler gewesen, hatte Weber halb im Scherz, halb im Ernst bei seinem Abschied gesagt.

Schwer vorstellbar, dass sich Johan Simons ähnlich würde einfangen lassen.

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