Bochum. . Mit seiner Auftakt-Inszenierung „Die Jüdin von Toledo“ präsentiert Intendant und Regisseur Johan Simons am Schauspielhaus Bochum starkes Theater.

Johan Simons hat am Schauspielhaus Bochum einen starken ersten Aufschlag hingelegt. Der Intendant und Regisseur setzte zum Saisonstart am Donnerstag mit der von Dramaturg Koen Tachelet besorgten Adaption von Lion Feuchtwangers Romans „Die Jüdin von Toledo“ sogleich auch ein programmatisches Ausrufezeichen. Die „Jüdin“, das waren drei Stunden betonte Ernsthaftigkeit und problematisierende Weltsicht. Rasch war klar: Die Zeiten des zuletzt gern gepflegten gehobenen Entertainments an der Königsallee sind erst einmal vorbei.

Johan Simons (*1946), der von 2015 bis 2017 die Ruhrtriennale leitete und bereits vor zwei Jahren als neuer Intendant des Bochumer Theaters ausgerufen wurde, ist kein Bühnenhexer, der es knallen und blitzen lässt. Vielmehr ein politisch denkender Mensch, für den Theater seit je ein Forum war, Dinge zu verhandeln, die das allgemein Menschliche ebenso berühren wie die scheinbare Unmöglichkeit, Politisches und Poetisches zu verbinden. Auch in der „Jüdin“, dieser sehr heutigen Inszenierung eines historischen Stoffes, zeigt Simons, wie äußerer Druck die Menschen in Selbstbehauptungszwänge stürzt, von denen sie nicht immer so genau wissen, warum sie ihnen eigentlich nachgeben.

Romanzen, Dramen und Erzählungen

Behandelt wird die Affäre Alfons VIII. von Kastilien mit der jungen Jüdin Raquel, ein Thema, das über Jahrhunderte zahllose Bearbeitungen in Romanzen, Dramen und Erzählungen erfahren hat. Lion Feuchtwanger passt in seinem Roman diese Legende ins Zeitbild Spaniens im 12. Jahrhundert ein. Die Geschichte der „Fermosa“ („Die Schöne“) wird mit wahren historischen Ereignissen verknüpft – und weist damit deutlich über die übliche tragische Liebesgeschichte hinaus.

Simons leuchtet den Stoff gründlich aus. Ihn interessieren nicht so sehr die Lovestory zwischen dem christlichen König und seiner jüdischen Mätresse, sondern das Verhältnis von Privatem und Gesellschaftlichem, die wirtschaftlichen Grundlagen von Krieg und Frieden, das Verhältnis von Christentum, Islam und Judentum zueinander sowohl im historischen als auch im aktuellen Sinn. Es geht um Krieg und Opposition, Glaubenseifer und Verblendung, und – ja! – auch um die Liebe zwischen Menschen, die am Ende unters Rad der Zeitläufe, Konventionen und politischen Zwänge geraten.

Bildmächtiges Ende

Vermittelt wird das als herausforderndes Kopf- und Körpertheater, das dem Zuschauer in jedem Moment volle Konzentration abverlangt. Simons nimmt Feuchtwangers Text ernst, die Sprache ist seine Prämisse. Passagen des dickleibigen Buches werden erzählt, Handlungsmomente aus- und durchgespielt. Beides gelingt auf hohem Niveau. Die Schauspieler meistern die Sprache mit bemerkenswerter, wenn auch kalter Präzision; selten hat man in den letzten Jahren auf Bochums Bühne solch punktgenaue Artikulation gehört. Wunderbar!

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Bei aller Kopflastigkeit kommt die Physis nicht zu kurz. Das zehnköpfige Ensemble – herausragend Hanna Hilsdorf als Raquel, Pierre Bokma als Jehuda und Anna Drexler als Königin – muss sich mit Kraft und Ausdauer in ein Setting werfen, das auf einer drehenden Scheibe und einer kreisenden, raumhohen Styropormauer unablässig in Bewegung gehalten wird (Bühne: Johannes Schütz). Die Figuren laufen, sie liegen, sie zerren aneinander. Sie schlagen sich, sie kopulieren. Simons arrangiert Menschengruppen mit der wuchtigen Ausdruckskraft expressionistischer Skulpturen.

Bildmächtig und schaurig

Am Ende wird die weiße Wand zur gesprengten Klagemauer: Zurück bleibt ein Trümmerfeld, das alle und alles unter sich begräbt. Der Boden stellt sich schräg, die Welt gerät ins Rutschen. Das ist enorm bildmächtig und ebenso schaurig wie die Botschaft dieses beklemmenden Abends: Ihr hofft auf eine gerechtere, menschlichere Welt? Vergesst es!