Bochum. . Der scheidende Intendant Anselm Weber blickt auf sieben Jahre am Schauspielhaus zurück. An eine „brutale Erfahrung“ erinnert er sich besonders.

  • Anselm Weber verlässt das Schauspielhaus Bochum und wechselt nach Frankfurt
  • Im WAZ-Gespräch blickt er auf seine sieben nicht immer einfachen Jahre zurück
  • Gleichwohl verabschiedet sich der Theatermacher mit einer Super-Besucherquote

WAZ-Gespräch mit Anselm Weber zum Ende seiner Amtszeit. Der Intendant wechselt nach sieben Jahren ans Schauspiel Frankfurt.

Mit welchen Erwartungen sind Sie 2010 angetreten?

Weber: Die Kernpunkte hießen Internationalisierung, Vernetzung in die Stadt und Arbeit mit Schauspielern. Grundidee war aber die Internationalität. Kaum ein Ort bietet da solche Möglichkeiten wie Bochum.

„Boropa“ lautete das Motto bei Ihrem Start. Hat es verfangen?

Ja und nein. Vielleicht haben wir in der ersten Spielzeit Stadt und Kritiker überfordert, es waren sehr viele, auch kontroverse Inszenierungen zu sehen, man denke an Fadhel Jaibis „Medea“ oder Paul Koeks „Drei Schwestern“, für mich eine der stärksten Stücke meiner sieben Jahre. Das „Boropa“-Programm hätte ein eigenes Festival gefüllt.

Szene aus „Drei Schwestern“, die Inszenierung von Paul Koek gehört zu Anselm Webers persönlichen Favoriten.
Szene aus „Drei Schwestern“, die Inszenierung von Paul Koek gehört zu Anselm Webers persönlichen Favoriten. © Thomas Aurin

Was waren der schönste und der übelste Moment Ihrer Intendanz?

Das Schauspielhaus zu übernehmen, war die große Herausforderung. Aber ich, wir alle hier, haben die Situation des Hauses ganz falsch eingeschätzt. Der Fokus unsere Arbeit hat sich danach zwangsläufig verschoben.

Sie meinen den „finanziellen Abgrund“ im Theater-Etat, mit dem Sie plötzlich konfrontiert waren?

Das war eine sehr harte Erfahrung, für mich, für das Team. Nach und nach wurde immer klarer, wie groß die Finanzierungslücke tatsächlich war. Dieses strukturelle Defizit, das man über Jahre sehenden Auges hat auflaufen lassen, hat alles verändert.

Sie waren damals mehr „Buchhalter“ als Bühnenkünstler...

Wir sahen uns einer ökonomischen Situation gegenüber, die ich meinem schlimmsten Feind nicht wünschen würde. Die finanzielle Schieflage aufzufangen, war eine Herkulesaufgabe. Wir mussten überall Sparmaßnahmen fahren, das war brutal.

Als Sie Ihren Vertrag unterschrieben, hat man Ihnen seitens der Stadt nichts gesagt?

Nein. Eine deutlichere Transparenz hätte ich mir sehr gewünscht. Auch eine andere Form von Sensibilität im Umgang mit dem Thema. Nicht zuletzt musste man ja nicht nur mich, sondern das ganze Schauspielhaus hintern sich kriegen, um in neues Fahrwasser zu kommen. Am Ende war der „Druck auf die Kasse“ so groß, dass wir auch konzeptionelle Änderungen vornehmen mussten.

Die Inszenierung von Schillers „Kabale und Liebe“ –  Szene mit Nils Kreutinger (Ferdinand) und Friederike Becht (Luise) – gehörte zu Anselm Webers besten Regie-Arbeiten in Bochum.
Die Inszenierung von Schillers „Kabale und Liebe“ – Szene mit Nils Kreutinger (Ferdinand) und Friederike Becht (Luise) – gehörte zu Anselm Webers besten Regie-Arbeiten in Bochum. © Thomas Aurin

Mit dem Publikumszuspruch können Sie aber zufrieden sein.

Bin ich auch. 1,4 Millionen Zuschauer in sieben Jahren. Was die beste Auslastungszahlen aller bisherigen Schauspielhaus-Intendanten angeht, lautet die Reihe heute Peymann, Hartmann, Weber.

Werden Sie das Bochumer Publikum vermissen? Ist es wirklich ein besonderes Publikum?

Ja, natürlich. Das Bochumer Publikum ist etwas Besonderes. Es ist unkorrumpierbar, man kann nicht absehen, was ankommt, was nicht. Es gibt keinen „Goldenen Schlüssel“, um es aufzuschließen. Aber wenn es gelungen ist, ist es großartig! Vor dem „Bochumer Theatergedächtnis“ habe ich Respekt, das Publikum hat ein Elefanten-Gedächtnis für Schauspieler und Inszenierungen. Dieses Wissen paart sich mit einer kritischen, eigenständigen Haltung zu Regisseuren.

>> Zur Person:

Anselm Weber (*1963) war von 2001 bis 2003 Oberspielleiter am Schauspiel Frankfurt, bevor er von 2005-2010 das Theater Essen als Intendant leitete.

  • 2010 kam er ans Schauspielhaus. Seinen Fünfjahresvertrag hatte er zwischenzeitlich bis 2020 verlängert, ihn dann aber aufgekündigt. Ab Sommer leitet er das Schauspiel Frankfurt.