Bochum. Im Kath. Klinikum Bochum sind 15 Stationen dicht, die Physiotherapie fährt Kurzarbeit. Der Klinik-Chef sorgt sich im Interview um Medikamente.

15 Stationen sind geschlossen, 40 Prozent aller Betten im Katholischen Klinikum Bochum (KKB) bleiben zurzeit ungenutzt, um gewappnet für die Krise zu sein. In Corona-Zeiten hat sich das 172 Jahre alte Unternehmen binnen weniger Wochen neu aufgestellt. Professor Christoph Hanefeld, Sprecher der Geschäftsführung, sorgt sich im Gespräch mit der WAZ um Medikamente, spricht über Kurzarbeit und warnt vor einem vorzeitigen Ende der Kontaktsperre.

+++ Das Wichtigste zum lesen Sie in unserem Newsblog +++

Für jeden Patienten mit Coronavirus soll es auf der Intensivstation einen Pfleger geben

Prof. Hanefeld, gibt es überhaupt eine Fallpauschale für die Behandlung von Covid-19-Patienten?

Christoph Hanefeld: Die gibt es in der Tat seit wenigen Tagen. Sie liegt bei 520 Euro pro Tag. Für Schwerkranke, die intensivmedizinisch behandelt und beatmet werden müssen, ist die Abrechnung aber sehr viel komplexer. Sie richtet sich nach dem konkreten Aufwand. Der kann sehr verschieden sein.

Wie viel Personal wird auf der Intensivstation benötigt?

Wird ein Patient beatmet und ist infektiös, streben wir eine 1:1-Betreuung an. Liegen zwei Covid-19-Patienten in einem Zimmer, könnten sie von einer Pflegekraft versorgt werden.

Ärgert sie die Scheinheiligkeit politisch Verantwortlicher, die Ärzte und Pflegekräfte jetzt in den höchsten Tönen loben, die dem Gesundheitssystem in den vergangenen Jahren aber eine Schlankheitskur nach der anderen verordnet haben?

Ich ärgere mich momentan über Vergangenes gar nicht. Das lenkt nur ab. Meine Aufgabe ist es, aus der jetzigen Situation das Beste zu machen – für die Patienten, für die Bochumer Bevölkerung und für das Krankenhaus.“

Niemand hat erwartet, dass eine solche Pandemie so schnell kommt

Virologen warnen seit Jahren vor den Gefahren von Pandemien, Pläne wie darauf reagiert werden muss, gibt es. Warum sind wir trotzdem so schlecht vorbereitet in die Krise gegangen?

Das Robert-Koch-Institut hat 2012 verschiedene Szenarien durchgespielt. Die Wahrscheinlichkeit einer solchen Pandemie wurde so vorhergesagt, dass sie einmal in 100 bis 1000 Jahren auftreten kann. Dass sie aber so schnell kommt, hat niemand erwartet; das gilt übrigens für nahezu alle Berufsgruppen.

Pflegekräfte sollen für ihre belastende Arbeit 1500 Euro Prämie bekommen. Gilt das auch im KKB, ist das gegenfinanziert oder belastet es ihr Budget?

Viele Dinge, die momentan öffentlich diskutiert werden, sinnvolle und weniger sinnvolle, aber dafür populäre, sind uns noch gar nicht klar. Wir kennen bislang nur die Eckpunkte des Rettungsschirms für die Krankenhäuser. Wir bekommen für jedes Bett, das im vergangenen Jahr belegt war und jetzt leer steht, 560 Euro pro Tag. Und für jeden Covid-19-Fall gibt es eine 50 Euro-Pauschale für die Schutzausrüstung, was aber natürlich nicht reicht.

Seit Dienstag gibt es in der Ruhrsport Reha Kurzarbeit

In Witten sprach eine Klinik von Kurzarbeit. Ist das auch im KKB ein Thema?

Für den stationären Krankenhausbereich nicht, da gilt der Rettungsschirm. Wir haben aber auch rein ambulante Bereiche: zum Beispiel Praxen und die Physiotherapie. Seit Dienstag haben wir in der Ruhrsport Reha Kurzarbeit. Besonders wichtig ist mir hier: Wir stehen zu unserer Verantwortung und stocken für alle betroffenen Mitarbeiter auf 95 Prozent des Nettogehalts auf.

Wie viele Stationen sind derzeit geschlossen?

Es sind mittlerweile 15 in allen Betriebsstätten, 40 Prozent der Betten sind ungenutzt. Das führt auch zu einer Diskrepanz in Reihen der Mitarbeiter. Im Intensivbereich, auf der Infektionsstation und in der Notaufnahme arbeiten alle hochkonzentriert und sehr angespannt, in anderen Abteilungen läuft es zum Teil ruhiger.

War die Aufnahme von italienischen Patienten ein Akt christlicher Nächstenliebe oder am Ende auch ein Beitrag zur Wirtschaftlichkeit des Hauses?

Die Aufnahme der Italiener erfolgte im Rahmen einer humanitären Hilfsaktion des Ministerpräsidenten. Die Finanzierung stand nicht im Vordergrund und ist bislang nicht geklärt.

Vor drei Monaten wäre eine solche Kehrtwende unvorstellbar gewesen

Werden bei Ihnen mittlerweile auch Niederländer behandelt?

Ja, seit Montagabend haben wir einen Covid-19-Patienten aus den Niederlanden. Das Landesgesundheitsministerium und die Uniklinik Münster hatten dafür die Koordination vorgenommen.

Auch interessant

Wie beschreiben Sie die aktuelle Situation im KKB?

Wir sind als gesundes Krankenhaus in das Jahr gestartet und waren für 2020 gut aufgestellt. Die Entwicklung ab Februar können Sie mit einer Fahrt auf einer Autobahn vergleichen. Wir waren mit Tempo 140 sicher unterwegs, kamen an eine nicht angekündigte Baustelle, mussten eine Vollbremsung machen und sofort in eine ganz andere Richtung fahren. Das machen wir gerade. Vor drei Monaten wäre das für mich unvorstellbar gewesen.

Medikamente, die Patienten in den Schlaf versetzen, werden knapp

Wie steht es derzeit um Ihre Vorräte zum Infektionsschutz?

Desinfektionsmittel sowie FFP2- und FFP3-Schutzmasken reichen bei den aktuellen Zahlen noch für mehrere Wochen, aber wir müssen ja schon für die nähere Zukunft von ganz anderen Zahlen ausgehen. Knapp wird es jetzt schon bei den virendichten Schutzkitteln. Sorgen machen ich mir auch um intensivmedizinische Medikamente wie z.B. Sedativa, die Patienten in den Schlaf versetzen.

Auch interessant

Wie häufig werden Ihnen Artikel zu Wucherpreisen angeboten?

Zehnmal am Tag per Mail sicherlich. Schutzmasken, die früher 3 Cent kosteten, werden für einen Euro angeboten. Es geht dabei oft um Vorkasse. Solche Angebote nehmen wir grundsätzlich nicht an.

Jeden Tag um 12 Uhr entzünden in der Corona-Krise Seelsorger in der Kapelle des St.-Josef-Hospitals drei Kerzen: Eine goldene für das Göttliche, eine schwarze gegen die Sorgen und das Leid und eine zum Gedenken an alle Menschen, die einem wichtig sind. „Wir wenden uns dem Licht zu“, sagt Seelsorgerin Lisa Lepping (im Bild).
Jeden Tag um 12 Uhr entzünden in der Corona-Krise Seelsorger in der Kapelle des St.-Josef-Hospitals drei Kerzen: Eine goldene für das Göttliche, eine schwarze gegen die Sorgen und das Leid und eine zum Gedenken an alle Menschen, die einem wichtig sind. „Wir wenden uns dem Licht zu“, sagt Seelsorgerin Lisa Lepping (im Bild). © KKB

Haben Sie Standards mit Blick auf die knappen Reserven bereits reduzieren müssen?

Bislang nicht. Wir haben aber eine sehr gute Hygieneabteilung, die sich gerade darauf vorbereitet, Material mehrfach zu verwenden. Darin haben wir unsere Mitarbeiter bereits geschult. Wir haben 10.000 waschbare Mundschutzmasken selber nähen lassen und dafür unsere eigenen Waschmaschinen wieder in Betrieb genommen. Dieses Beispiel zeigt: Wir haben in zahlreichen Bereichen rechtzeitig gehandelt und müssen diesen Zeitvorteil nutzen, den wir vor anderen Ländern haben.

83 Beatmungsplätze: Aber im Notfall können mehr Patienten betreut werden

Wie viele Intensivbetten haben Sie aktuell?

Wir verfügen im Klinikum in der letzten Ausbaustufe mittlerweile über 133, an 83 ist eine Beatmung möglich. Das ist mit Personal und Dienstplänen hinterlegt. Benötigt werden aber noch Beatmungsgeräte, die von der Politik in Aussicht gestellt worden sind. Wir könnten im Notfall sicher noch mehr Patienten betreuen, aber dann reden wir nicht mehr von einer geordneten Versorgung, sondern von einer Katastrophe.

Wie viele Covid-19-Patienten behandeln Sie zurzeit?

Es sind 17, sieben davon auf der Intensivstation. Fünf werden beatmet.

Zwei Ärzte im Klinikum sind mit dem Virus infiziert

Waren oder sind Mitarbeiter des KKB mit dem Virus infiziert?

Zwei Ärzte sind erkrankt, sie befinden sich in häuslicher Quarantäne. Alle Kontaktpersonen aus dem Krankenhaus sind erfasst. Sie wurden zweimal abgestrichen und auf das Virus getestet. Wenn sie negativ und asymptomatisch sind, können unsere Mitarbeiter mit Mundschutz weiterarbeiten. Bislang waren alle negativ.

Wie lange müssen Mitarbeiter auf ihr Testergebnis warten?

Sie bekommen es noch am selben Tag. Wir haben dafür schon vor vier Wochen ein Zelt vor der Infektionsstation aufgebaut. Nach dem Karnevals-Wochenende kamen 400 Mitarbeiter von Reisen zurück, teilweise aus den Skigebieten. Sämtliche Rückkehrer aus Risikogebieten wurden getestet – alle freiwillig.

Haben sich die infizierten Ärzte das Virus während ihrer Arbeit eingefangen?

Das wissen wir nicht. Sie waren jedenfalls nicht auf der Intensivstation im Einsatz.

Arbeitsgruppe begleitet alle Coronavirus-Behandlungen wissenschaftlich

Das KKB ist zum großen Teil auch ein Universitätsklinikum. Arbeiten Sie an einer eigenen Studie zu Covid-19?

Wir haben eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Prof. Michael Nauck gegründet, die unsere Arbeit wissenschaftlich begleitet und aufarbeitet. Auch zwischen den Kliniken in Bochum tauschen wir Erfahrungen aus und arbeiten mit dem Netzwerk der anderen Universitätskliniken in Deutschland wissenschaftlich zusammen. Beteiligt sind wir zudem an der Studie zum Einsatz des Medikamentes Remdesivir. Es wurde bereits gegen Ebola eingesetzt und wird nun klinisch als Medikament gegen Covid-19 erprobt.

Auch interessant

Menschen werden nach wie vor auch „herkömmlich“ krank. Ist gewährleistet, dass diese genauso gut behandelt werden wie vor der Corona-Krise?

Alle Patienten, die mit akuten, schwerwiegenden Erkrankungen ins KKB kommen, werden bestmöglich und nach den Leitlinien behandelt. Das gilt für Schlaganfälle, Herzinfarkte, onkologische Erkrankungen, Knochenbrüche und alle anderen Notfälle.

Eine Situation wie im Elsass muss vermieden werden

Sind Maßnahmen wie das Schließen von Kitas und Schule oder die Kontaktsperre aus Ihrer Sicht wirklich sinnvoll? Schweden geht einen anderen Weg.

Schweden rudert gerade zurück. Ob die Maßnahmen, die ich voll und ganz unterstütze, richtig oder falsch sind, werden wir bei nüchternem Verstand erst nach Ostern sehen. Als ich aber vor drei Wochen vor der Kontaktsperre bei schönem Wetter durch Bochum gegangen bin und die vielen Menschen in den Cafés gesehen habe, war mir klar, dass das nicht der richtige Weg sein kann.

Auch interessant

In Österreich sollen Regeln nach Ostern wieder gelockert werden.

Man muss sich in der Tat Gedanken machen, wie man wieder anfangen kann. Der Zeitpunkt ist aber erst gekommen, wenn die Infektionskurve flacher wird. Wir sitzen jetzt hier in Bochum noch relativ gelassen. Im Elsass aber gibt es bereits die Katastrophe. Das Elsass ist vier Stunden weg. Wir müssen, bei allem, was wir tun, uns immer vor Augen führen, dass so etwas hier nicht passieren darf. Ich möchte das nicht erleben.

Mundschutzpflicht darf nicht zu Lasten von Altenheimen gehen

Was halten Sie von einer Mundschutzpflicht?

Das finde ich gut, es ist in erster Linie ein Schutz anderen gegenüber und führt dazu, dass man sich signifikant weniger ins Gesicht fasst. Es darf aber nicht auf Kosten von Altenheimen gehen. Wenn ich sehe, wer draußen als Nicht-Risikopatient mit FFP2-Masken rumläuft, denke ich, das Material wäre andernorts besser aufgehoben.

Deutschlandweit kommt jeder dritte Corona-Tote aus einem Altenheim, in Bochum sind es mehr als 50 Prozent.

In Altenheimen haben wir es mit der Risikogruppe schlechthin zu tun. Glücklicherweise leben die meisten in einem Einzelzimmer. Trotzdem ist es sehr, sehr schwierig, eine Infektion dort einzudämmen. In Italien leben viel mehr Ältere als bei uns eng zusammen in Familien, stecken sich dort an und sterben auch.

Bei uns in Deutschland ist jedes Leben gleich viel wert

Diskutiert wird zurzeit auch, für Jüngere die Kontaktsperre alsbald aufzuheben und für Ältere weiterhin in Kraft zu lassen. Was halten Sie von einer solchen Regel?

Eine solche Regel würde ich davon abhängig machen, ob sie wissenschaftlich haltbar ist. Das kann ich aber - Stand heute - nicht beurteilen. Machen wir uns doch mal bewusst, wie wir mit unserer älteren Generation medizinisch umgehen. Das gibt es in anderen Ländern so nicht. Menschen über 80 Jahre, die Luftnot haben und ggfs. eine Beatmung benötigen, kommen im Elsass nicht mehr ins Krankenhaus, sondern erhalten zu Hause Opiate. In Großbritannien liegt die Grenze bei 75 Jahren. Bei uns indes ist jedes Menschenleben erst einmal gleich viel wert.

Gleichwohl sind Sie darauf vorbereitet, im Katastrophenfall eine Auswahl zu treffen: Stichwort: Triage.

Wir haben dazu gemeinsam mit den Ärzten Leitlinien entwickelt. Wenn man da unvorbereitet hineinläuft und nachts um 2 Uhr der jüngste Assistenzarzt entscheiden soll, dann ist das eine Katastrophe. Sollten wir, was ich nicht hoffe, entscheiden müssen, wen wir behandeln und wen nicht, wird das aber nicht nach dem Lebensalter gehen, sondern nach objektiven Kriterien. Der 80-jährige rüstige Patient kann durchaus bessere Chancen haben als ein 70-Jähriger mit gravierenden Vorerkrankungen. Entscheidend bei uns ist die Frage: Wer hat die besten Überlebenschancen?

Ärzte, Schwestern und Pfleger sind motiviert, da braucht es kein Gesetz

NRW plant ein Epidemiegesetz, das an diesem Donnerstag beschlossen werden soll. Was halten Sie von der beabsichtigten Zwangsverpflichtung von Ärzten und Pflegekräften?

Ich finde gut, dass darüber noch einmal in einer Expertenrunde diskutiert wurde und glaube, dass man Gesetze machen kann, die zeitlich begrenzt und situativ wirken dürfen. Wir haben aber gar nicht das Problem, dass Ärzte, Schwestern oder Pfleger nicht bereit wären, sondern die Motivation zu helfen ist sehr hoch.

Das Virus machte Sie bundesweit bekannt: Heute Journal, WDR-Fernsehen, WAZ und andere Zeitungen - Ihre Meinung ist gefragt. Was werden, was müssen Ihrer Meinung nach die Lehren aus der Krise sein?

Wir müssen lernen, was wir in Zukunft anders machen müssen. Dabei geht es nicht nur um medizinische Aspekte, sondern auch um gesellschaftliche. Europa muss autark werden. Als Katholisches Klinikum haben wir gelernt, dass wir sehr flexibel sind und schnell reagieren können. Was jetzt passiert ist, darf uns nicht wieder passieren. Man hat sicher in der Vergangenheit Fehler gemacht. Aber: Im Nachhinein ist man immer schlauer. Ein Beispiel: Wir wollten mit Blick auf die Chancen der Digitalisierung im Mai das wahrscheinlich größte moderne Krankenhaus Europas in den Niederlanden besuchen. Jetzt übernehmen wir Patienten aus den Niederlanden. Vielleicht waren wir vorher nicht so effizient wie die Häuser dort. Aber in den Niederlanden gibt es sieben Intensivbetten für 100.000 Einwohner, in Deutschland sind es 35. Dass das andere Kosten verursacht, dürfte klar sein. Daraus müssen wir lernen.

Politik muss nach der Krise ihr Wort halten

Was erwarten Sie von der Politik?

Wir vertrauen darauf, dass das, was die Politik zurzeit sagt, am Ende auch eingehalten wird. Sollte das nicht so kommen, dann müssen wir uns in Deutschland über Politikvertrauen und gesellschaftlichen Konsens nicht mehr unterhalten.

Wie belastend ist für Sie persönlich die Situation?

Es ist mit Abstand die größte berufliche Herausforderung, die ich bisher hatte. Ich gehe damit sachlich und konzentriert um. Wir sind ein 172 Jahre altes Unternehmen, ein christliches Krankenhaus. Dass man in einer solchen Krise verantwortlich ist für viele Patienten und die Bevölkerung, das ist die originäre Aufgabe eines Krankenhauses. Für mich als Ur-Bochumer ergibt sich daraus zusätzlich noch eine besondere Motivation.

Verglichen mit einem Marathonlauf: Wie weit sind wir?

Beim Laufen weiß ich immer, wo ich gerade bin, bei der aktuellen Krise habe ich keine Hinweise dafür. Es kann sein, dass wir bei Kilometer fünf sind, es kann Kilometer 20 sein. Weiter sind wir definitiv nicht.