Bochum. Hinter Hallenwänden und Firmentüren herrscht emsiges Wirken in dem Gewerbegebiet Rombacher Hütte. Auf der vielverzweigten Straße aber ist es fast so ruhig wie auf dem leeren Parkplatz des Club Taksim. Ein Ortsbesuch.
Als Fußgänger fühlst du dich in einem Gewerbegebiet wie ein gestrandeter Passant in einer amerikanischen Großstadt: völlig fehl am Platz. Die Straßen sind für den motorisierten Verkehr gebaut. Bürgersteige wirken wie schmückendes Beiwerk, benutzt werden sie nur selten. Wer spaziert schon in einem Gewerbegebiet herum?
Die WAZ-Reporter. Mit dem Auftrag, das Wesen der Rombacher Hütte in Weitmar zu erkunden – ein weit verzweigtes Straßenkonstrukt, auf dem es alles zu geben scheint was das Wirtschaftsleben hergibt: eine Wäsche fürs Auto, eine Disco für einen vergnüglichen Abend, Technikbetriebe, Dienstleister, Handwerker und Logistiker. Wo anfangen und wo aufhören?
Eine der großen Handwerksfirmen
Vielleicht bei der Hausnummer 2. Bei der Philipps GmbH – Heizung, Sanitär, Klima. Als Betrieb mit mehr als 100 Beschäftigten ist es einer der großen Handwerksfirmen in der Stadt. Und ihr Eigner, Johannes Philipps, ist seit 30 Jahren Chef der Kreishandwerkerschaft. Mit dem halbrunden Showroom an der Ecke Kohlenstraße/Rombacher Hütte hat er dem Gewerbegebiet einen schmucken Eingang verliehen.
Rombacher Hütte
Dahinter verliert die Straße schnell diesen Glanz. Und weit und breit ist kein Mensch zu sehen. Nur von Gegenüber, aus dem Hinterland des ehemaligen Max-Bahr-Gartencenters, dröhnen Bagger-Geräusche herüber.
Überraschende Stille
Überhaupt Geräusche. Zu gucken gibt es erst einmal nicht so viel, zu hören ist immerhin gelegentlich etwas: das Rangieren eines Lastwagens, die unrund laufende Mischmaschine hinten im Wendehammer bei Elektro Oberfeld oder das Vorbeizischen von Zügen, das von der nahe gelegenen S-Bahnlinie herüberweht. Aber sonst? Dieses Gewerbegebiet mit der Geräuschvergangenheit fortwährenden Dröhnens hätte den Sound eines Naherholungsgebiets, wenn die überraschende Stille nicht gelegentlich unterbrochen werden würde.
Da wirkt es nur noch halb so verwunderlich, dass sich inmitten dieser scheinbar unwohnlichen Areals ein Pflegedienst samt Tagesbetreuung niedergelassen hat. Darf man das? Offenbar. Und überhaupt: „Ich finde das gar nicht schlecht“, sagt Siebelt Faust von der gegenüberliegenden Waschanlage. „Im Sommer wird dort draußen manchmal ein Sitzkreis gebildet. Dann wird gesungen oder werden Spiele gemacht.“
Hinter dem Gebäude, in dem früher ein Fitness-Studio für Frauen war, steht die vielleicht bekannteste Immobilie der Rombacher Hütte: der Club Taksim, das frühere Tarm-Center. Der große Parkplatz ist an diesem Mittwochmorgen so belebt wie ein Freibad im Dezember. Merkwürdig wirkt, dass beim Gang um die Ecke gegenüber der Spedition Wiechers, die vor kurzem um eine imposante Lagerhalle erweitert wurde, die Mauern des Taksim mit Stacheldraht gesäumt sind.
„Es gibt zu viele Waschstraßen“
Zu tun gibt es immer etwas. Aber von dem dauernden Betrieb des Marktführers, der an einer Ausfallstraße liegt und dem die Kundschaft buchstäblich im Vorbeifahren offeriert wird, können Siebelt Faust und sein Team bei USI Car Wash nur träumen. Seit 20 Jahren ist der Betrieb hier an der Rombacher Hütte. Und es war immer schwer.
„Es gibt zu viele Waschstraßen in der Stadt“, sagt der Betriebsleiter und peilt über den Daumen gut und gerne 20 Anlagen. Mehr als zehn seien es aber bestimmt. Dazu kommen noch die Waschgaragen an den Tankstellen und die SB-Anlagen. Das läppert sich zusammen. Wetterabhängig sei das Geschäft, sagt der 58-Jährige und zählt dann auf, was sich in den vergangenen Jahren an der Rombacher Hütte verändert hat. Welche Firma gegangen, welche gekommen ist. Er hat den Wandel stets mit verfolgt.
Vor 40 Jahren ist der Mann mit dem ungewöhnlichen Vornamen – „Siebelt“ ist die friesische Form von Siegbald – aus seiner Heimat Ostfriesland ins Ruhrgebiet gezogen, erst nach Dortmund, später nach Bochum. Er fühlt sich wohl hier. Und dass ein Kiosk oder ein Imbiss fehlt an der Rombacher Hütte, das können sie bei Car Wash verschmerzen. Wenn die mitgebrachten Butterbrote mal nicht schmecken, bestellen sie etwas beim Italiener oder beim Türken. Die hätten ihre Läden ganz in der Nähe und könnten in nullkommanix da sein. So schlecht ist die Lage also gar nicht.
Die Straße herunter, reihen sich zur Linken kleinere Betriebe aneinander, angefangen von der Dr. Brandt Messtechnik bis zur I.S.T. Innovative Sewer Technologies. Lauter spannende Firmen. Was die wohl alle machen?
Klar ist, was bei Wiechers passiert. Die blauen Zugmaschinen mit den Aufliegern beherrschen das Bild auf dem Hof. Viel Verkehr gibt es nicht. Und auch kurz vor dem Wendehammer hinter der Tagespflege von Frank Weyhofen steht nur ein Sattelzug, dessen Fahrerin tankt an einer Automatischen Diesel-Station. Aral hat die Säule, eine von 109 im gesamten Bundesgebiet, hier aufgestellt und erspart es den hiesigen Betrieben damit, eigene Tankstellen zu unterhalten.
Bescheidene Lage
Wir erreichen das gefühlte Zentrum des Straßenwirrwarrs: den USI Car Wash. Seit etwa 20 Jahren ist die Waschstraße an dieser Stelle. Und die ist nicht unbedingt die Beste: „Unsere Lage ist bescheiden. Wir leben von Zielkunden“, sagt Betriebsleiter Siebelt Faust. Es geht weiter die Straße herunter. Zur Rechten reihen sich große Hallen aneinander. Auf dem Hof des Logistikers DSV, der das frühere Sügro-Zentrallager übernommen hat, bilden die vielen Auflieger auf ihren wie Spinnenbeine anmutende Stahlfüßen ein fast malerisches Ensemble.
Und gegenüber? Da sind tatsächlich ein paar Menschen. Beim Bergbauzulieferer Tiefenbach gönnen sie sich eine Zigarettenpause auf dem Hof. Ob sie es nicht vermissen, dass es hier keinen Kiosk oder keine Imbissbude gibt, wollen wir wissen. Schade sei das schon, sagt Sybille Schlatter, bevor sie ihre Zigarette ausdrückt und in die Montagehalle zurück geht. Immerhin: „Jeden Tag kommt ein Wagen vorbei“, sagt sie. Tatsächlich taucht später das „Imbissmobil“ auf.
Hinter Tiefenbach geht’s noch weiter, vorbei am Bürogebäude der STG Braunsberg Nachrichten- und Kommunikationstechnik, deren Firmengelände bis zum Ende des vierten Wendehammers der Rombacher Hütte reicht. Auf dem Weg dort hin gibt es noch ein optisches Schmankerl: die Nummer 16. Die Halle ist zwar nur eine schmucklose unter vielen. Aber das hübsche Schild am Eingangszaun verrät, dass hier ein besonderes „Unternehmen“ residiert. „Schauspielhaus“ steht da in roten, schlanken Großbuchstaben, darunter in einer leicht schnörkeligen Grundschulschrift „Aussenlager“. Hier also werden die Dinge gelagert, die aus einem nackten Raum eine Bühne machen.
Industrie-Geschichte
Inzwischen ist es schon ein wenig in Vergessenheit geraten, aber die Rombacher Hütte, die der Straße den Namen gibt, war ein riesiges Bochumer Eisen- und Stahlwerk. Es war ab 1889 von der Westfälische Stahlwerke AG errichtet worden, kam 1921 zu den in Rombach/Lothringen gegründeten Rombacher Hüttenwerken und gehörte nach dem Krieg als Werk Weitmar zum Bochumer Verein. Unvergessen bei älteren Bochumern ist die Phalanx der Schornsteine, die weithin sichtbar waren.
Das Werk verfügte über Siemens-Martin-Stahlöfen, Schienen-Walzstraßen und ein Radreifenwalzwerk, es hatte einen Bahnanschluss nahe des heutigen S-Bahnhaltepunkts Ehrenfeld und auch eine Verbindungsbahn zum B.V.-Stammwerk an der Alleestraße. 1965 übernahm die Fried. Krupp Hüttenwerke AG den Bochumer Verein mit dem Werk Weimar. Schon 1968 wurde das Stahlwerk 4 stillgelegt, um 1970 das gesamte Werk.
Über zehn Jahre lag das Gelände brach; es war alles in allem eine eher düstere Gegend damals längs der Kohlenstraße. In unmittelbarer Nähe lag das Heusner-Viertel, ein altes Arbeiterquartier, das für den Bau des Außenrings unter vielen Bürgerprotesten abgerissen wurde.
Ende 1980 kaufte die Stadt Bochum das gesamte Gelände der alten Rombacher Hütte mit Unterstützung des Landes NRW von Krupp, um dort nach und nach ein Industriegebiet anzusiedeln. JBS