Bochum. Intendant Anselm Weber liefert in Bochum mit seiner Inszenierung von „Kabale und Liebe“ einen überaus starken Theaterabend ab. Hohe Ensemblekunst mit einem Klassiker, der offenbar doch noch Zündstoff birgt. Die Regie schält den Freiheitsbegriff und die aktuellen Komponenten heraus.
„Kabale und Liebe“, Schillers Bühnen-Klassiker, war nie von den Spielplänen verschwunden. Aber nun, da er seit einiger Zeit Abitur-Stoff ist, häufen sich die Neuinszenierungen an vielen Theater-Gestaden. Jetzt haben sie auch das Bochumer Schauspielhaus erreicht. Treibgut oder reiche Beute?
Regisseur und Intendant Anselm Weber gelingt ein Abend, der die Kraft des Theaters und die Macht der Imagination in einer Weise ausspielt, die sowohl den Schauspielern als auch dem Publikum Luft zum Luftholen, Nachdenken, Mitfühlen lässt. Gemeinsam inhaliert man einen Schiller, der süchtig machen kann.
Konzentrierte Stille
Was aber sagt uns das 230 Jahre alte Trauerspiel noch, das von der Liebe der bürgerlichen Musikertochter Luise Miller zum Adelssohn Ferdinand von Walter handelt, die durch niederträchtige Intrigen im Selbstmord endet? Korruption und Kabalen sind nach wie vor Mittel der Politik, und die Jungen wenden sich auch heute noch enttäuscht ab von ihren Vätern. Und der Freiheitsbegriff, um den es Schiller geht, ist eben nicht obsolet, nur weil der geschilderte Konflikt historisch ist: Er bleibt eine Herausforderung.
„Kabale und Liebe“ stark gefragt
Die Premiere am 22.11. in den Kammerspielen war ausverkauft. Für die Vorstellungen am 27.11. sowie am 2., 5. und 15.12. gibt es nur noch Restkarten.
Die letzte Vorstellung in diesem Jahr findet am 2. Weihnachtstag (26.12.) statt, weitere Termine sind für 2015 in Planung. Tickets 0234/3333-5555.
Weil Weber weiß, dass die verbotene Liebe zwischen Adel und Bürgertum heutzutage kein Skandal mehr ist, versetzt er das bürgerliche Trauerspiel in eine Sphäre jenseits von Zeit und Raum, in der es den „Zorn der Jugend“ auf die einengende Welt der (erwachsenen) Gesellschaft immer noch gibt. Die Bühne ist leer bis auf zwei Stühle und zwei Tische, unglaublich eigentlich angesichts der bühnenwirksamen Opulenz dieses Dramas, das plötzlich zu einem Kammerspiel „schrumpft“, dabei aber seltsamerweise nicht kleiner wird, sondern an Größe noch zulegt.
Die Inszenierung stellt sich dieser Herausforderung mit einer Selbstverständlichkeit, die niemals selbstgewiss wirkt. Man hat „Kabale und Liebe“ häufiger gesehen, aber selten – zumal im Schauspielhaus – herrschte eine so konzentrierte Stille wie während dieser Aufführung. Die berühmte Stecknadel hätte man fallen hören können, so unmittelbar dringt das verzweifelte Ringen der zwei vergeblich Liebenden in einer kaltschnäuzigen Gesellschaft durch.
Sehr gute Schauspieler erzeugen starke Theatermomente
Weber nimmt Schiller beim Wort, entwickelt das Drama in erster Linie über die Sprache. Dafür braucht es gute bis sehr gute Schauspieler; dieser Abend hat sie. Friederike Becht ist Luise, Nils Kreutinger Ferdinand: Die beiden „jugendlichen Helden“ tragen die Aufführung mit kraftvoller Hingabe an ihre Rollen, und es sind die darstellerischen Nuancen, die anrühren: Wie Ferdinand auf dem verfluchten Brief herumtrampelt, wie Luise mit einem Seitenblick aus dreister Ungläubigkeit die Fassung verliert, als sie von Wurm zum verräterischen Schreiben gezwungen wird: Das sind starke Theatermomente.
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Felix Vörtler als steif-rechthaberischer Präsident, Florian Lange als aasiger Intrigant Wurm, Bernd Rademacher als ehrpusseliger Miller und Roland Riebeling als puffige Hofschranze Kalb bilden das personelle Gerüst für eine stimmige Inszenierung, die ihre Extra-Spannung aus der Figur der Lady Milford bezieht; bekanntlich nimmt sie eine Mittelstellung zwischen der höfischen und der bürgerlichen Weltordnung ein. Schlichtweg großartig, wie NRW-Förderpreisträgerin Kristina Peters die Lady anfangs als machtgeile Tusse zeigt, die ihre angebliche „Partie“ Ferdinand im schlüpfrigen Unterhemd bezirzt. Und die am Ende, ihren gescheiterten feudalen Lebensentwurf akzeptierend, ausgerechnet mit Puderperücke und Reifrock zum Sinnbild für jene Sehnsucht wird, die Luise und Ferdinand (noch) nicht leben durften: Die Sehnsucht nach Weite und Freiheit, im Herzen wie in der Welt.
Fünf Sterne für diesen Abend!