Bourg-en-Bresse. Rund ein Lebensjahr hat Jens Voigt auf den Etappen der Tour de France verbracht – im Alter von 42 Jahren soll die 17. Tour nun aber seine letzte sein. Oder doch nicht? “Ganz sicher nicht, ich habe meine Frau im Spaß gefragt und die hat nur gesagt: 'Du bist ja bekloppt.'“

Mit federndem Schritt steigt Jens Voigt aus dem tiefschwarzen Bus seiner Mannschaft Trek Factory Racing. Schlank ist er, drahtig, der Mann in seinem grauen Trikot wirkt beneidenswert jugendlich. Noch 20 Minuten bis zum Start, aber während seine Kollegen noch vor den Klohäuschen Schlange stehen, ist der Berliner entspannt und scheint noch alle Zeit der Welt für ein Gespräch zu haben. Voigt kann sich die Lockerheit leisten, er kennt wirklich alles bei der Tour, was soll ihn noch nervös machen?

Voigt ist die Tour schließlich seit schon 1998 gefahren, als sein Kapitän Frank Schleck noch fünf Jahre vor seinem ersten Profivertrag stand oder sein prominenter Teamkollege Fabian Cancellara noch in die Elektriker-Lehre ging. Da muss man zwangsläufig fragen, wie es denn so geht mit 42 Jahren im härtesten Radrennen der Welt. „Nun ja“, sagt er „vor fünf Jahren lief es sicher ein wenig leichter, aber ich will wirklich nicht jammern.“

Klagen wäre nun auch wirklich nicht sein Ding. Jens Voigt ist ein Kämpfer, ein unkaputtbarer Beißer, der, wann immer es geht, die Flucht sucht, alleine an der Spitze stürmt, auch wenn es noch so sinnlos erscheint und meistens ja auch ist. „Feldallergie“ nennt er das, „Kampfgeist“ sagen seine Fans. Und ganz selten klappt das ja auch mal. 2001 schloss er eine Soloflucht im Zentralmassiv erfolgreich ab, 2006 gehörte er zu einer Fünfergruppe, die bei brütender Hitze eine halbe Stunde vor dem Hauptfeld ins Ziel in Montélimar kam. Auch diese Etappe konnte er gewinnen. Und aktuell bescherte ihm seine lange wenn auch erfolglose Soloflucht auf der ersten Etappe in England noch einmal für eine Tag das Bergtrikot der Tour.

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Noch immer in der Lage zu helfen

Dieser Erfolg war ihm wichtig, er wollte zeigen, dass er es noch kann, vor allem sich selbst: „Ich hatte nach dem Frühjahr Zweifel, ob ich noch mal die Form finde.“ Für Voigt wäre es eine Qual, wenn man auf seiner letzten Tour den Eindruck gewinnen würde, er sei sozusagen in Würdigung seines Lebenswerks am Start. „Ich bin hier, weil ich dem Team noch helfen kann.“ Punkt.

Zum 17. Mal also die Tour de France, das heißt: Rund ein Jahr seines Lebens hat er auf Touretappen verbracht, wobei er die große Schleife dreimal nicht beenden konnte. Zuletzt 2009 nach einem fürchterlichen Sturz in den Alpen. Aber auch der sagt viel über den Familienvater mit sechs Kindern. Obwohl er mit Tempo 80 frontal auf Brust und Gesicht knallte und aussah wie einem ziemlich brutalen Horrorfilm entsprungen, erklärte er schon im Hubschrauber auf dem Weg in die Klinik, dass er fünf Tage später wieder fahren wollte. Das klappte wegen eines Kieferbruchs allerdings nicht.

Unermüdliche Energie ist sein Markenzeichen, auch nach der Hälfte der Tour sieht Voigt frischer aus als mancher Jungprofi. Aber ein wenig anders ist sie doch, Voigts letzte Tour. Vor ein paar Tagen rollte er mit Chris Horner, dem zweitältesten im Feld aus den USA, und dem Franzosen Thomas Voeckler (35) im Peloton. „Na Jungs, Alter ist nichts für Feiglinge“ scherzte Voigt. Die beiden nickten eifrig „und Horner aß Snickers und trank eine Cola“ (Voigt). Das war dem Kämpfer dann doch zu behäbig.

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Eine Karriere ohne Skandale

Diese unermüdliche Energie, die ihm 2001 für einen Tag das Gelbe Trikot einbrachte, hat auch Fragen provoziert. Voigt fuhr in der Zeit vorneweg, als sich bei vielen die Dopingsubstanzen im Blut nur so drängelten. Aus seinem damaligen Team CSC wurden viele überführt oder sie gestanden wie Tyler Hamilton. Der Amerikaner findet übrigens Voigts Äußerung, vom Doping in der Szene nichts bemerkt zu haben, „lächerlich“. Einen positiven Test hatte der Berliner in einer extrem langen Karriere allerdings nie.

So dürfte in knapp zwei Wochen wohl auch seine letzte Tour ohne Skandal enden. Zusammen mit George Hincapie (USA) und dem Australier Stuart O’Grady wird er als Rekordfahrer ganz oben in der Ehrenliste der Tour stehen. Die beiden anderen sind schon zurückgetreten, Voigt könnte sich 2015 also mit 43 Jahren alleine an die Spitze setzen. Voigt schüttelt da nur den Kopf: „Ganz sicher nicht, ich habe meine Frau im Spaß gefragt und die hat nur gesagt - du bist ja bekloppt.“