Essen. Nina Mittelham vom Niederrhein ist eine von Deutschlands besten Tischtennisspielerinnen. Vor Olympia in Tokio erklärt sie ihr Spielgerät.
Ganz am Anfang reichte ein Buch oder eine Hand. Gespielt wurde mit einem Tennisball auf einer Steinplatte. Wie bei so vielen Tischtennisspielerinnen und Tischtennisspielern liegen auch Nina Mittelhams sportliche Wurzeln auf einem Schulhof. Ihr Bruder Nico nahm sie dann erstmals mit in den Verein. Da war es um sie geschehen. Das Schulbuch wich dem ersten richtigen Schläger. „Mit ihm habe ich sogar noch ziemlich lange gespielt. Er hatte einen XS-Griff – weil ich so kleine Hände hatte“, erinnert sich Nina Mittelham lachend und ist sich sicher: „Ich habe den Schläger sogar immer noch irgendwo.“
Wissenschaft aus Holz, Belag und Griff
Aus dem Mädchen vom Schulhof in Willich am Niederrhein ist heute eine der besten deutschen Tischtennisspielerinnen geworden. Mit ihrem Verein ttc berlin eastside gewann sie im Mai das Triple aus Meisterschaft, Pokal und Champions League. In Warschau wurde die 24-Jährige, die noch immer in Willich lebt, vor wenigen Wochen Europameisterin im Mixed. Am Sonntag hob Nina Mittelham Richtung Tokio ab. Sie nimmt als Ergänzungsspielerin an den Olympischen Spielen teil, die am Freitag in der japanischen Hauptstadt beginnen. Ihre Rolle ist eine besondere.
Als sogenannte P-Akkreditierte kommt sie nur zum Einsatz, wenn sich eine ihrer gesetzten Teamkolleginnen um Europameisterin Petrissa Solja verletzt. Nina Mittelham muss die Spannung trotzdem hochhalten. „Natürlich würde ich auch lieber spielen“, sagt sie ehrlich, aber: „Ich hoffe, dass ich dem Team helfen und es unterstützen kann, egal in welcher Hinsicht. Meine eigenen Bedürfnisse stelle ich in Tokio komplett hinten an.“
Nicht nur mental und spielerisch ist Nina Mittelham gut vorbereitet – sondern auch materiell. Zu ihrem Spielgerät hat sie eine besondere Beziehung. Im Wesentlichen besteht ein Tischtennisschläger aus einem Griff, Belägen und dem Holz des Blattes. Die Gummibeläge – ein schwarzer und ein roter, damit auch der Gegner sie unterscheiden kann – werden auf die Holzplatte geklebt. Mittelham wechselt die Beläge circa alle fünf Wochen.
Mittelham geht beim Kleben der Beläge akribisch vor
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Der Griff ist am Holz befestigt und kann unterschiedlich geformt sein. Hier beginnt es kompliziert zu werden: Die Beschaffenheiten dieser drei Komponenten füllen ganze Fachbücher. Jede Nuance kann den Eigenschaften des Spielers entweder entgegenkommen oder sie behindern. Profis merken jeden noch so feinen Unterschied. Auch Nina Mittelham.
Sie spielt einen glatten Belag – alternativ gibt es Beläge mit kleinen Außennoppen –, der zu ihrem offensiven Spiel passt. Ihre Griffform ist gerade – eine Wahl so bodenständig wie ihr Charakter. Der Griff bekommt von ihr zudem eine spezielle Behandlung: „Ich schmirgel’ da immer eine Menge ab, damit er keine Kanten hat. So bekomme ich keine Blasen.“ Und so bildet sie im Spiel eine Einheit mit ihrem Schläger.
Auch beim Kleben der Beläge auf das Holz ist Nina Mittelham akribisch. „Mein Schläger muss immer gut aussehen“, gesteht sie lachend. Ganz straff rollt sie den Belag auf das Holz. „Darum werde ich auch mal beneidet“, erzählt sie. Auf buntes Kantenband verzichtet sie: „Das stört mich, weil ich im Spiel dann immer im Augenwinkel draufschaue.“
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Kostentechnisch gibt es für einen kompletten Schläger nach oben kaum ein Limit. Nina Mittelham profitiert davon, einen Ausrüster zu haben. Einen echten Mittelham wird man sich im Geschäft dennoch nicht kaufen können. „Es ist schon so, dass Kader-Athleten die Chargen mit der besten Qualität bekommen“, erklärt Nina Mittelham.
Den Schläger hat Nina Mittelham auch schonmal geworfen
Und sie räumt mit noch einem Mythos auf. Immer wieder beobachtet man Tischtennisspieler, die nach einem vergebenen Punkt ratlos auf ihren Schläger schauen. Das habe nichts damit zu tun, dass man die Schuld beim Schläger sucht, sagt Mittelham. Vielmehr sei das ein Kontrollblick. Sieht man zum Beispiel den Abdruck des Balles gut, kann das an der Luftfeuchtigkeit liegen – die Eigenschaften des Belags verändern sich dann. „Einen Vorwurf mache ich meinem Schläger aber nie“, sagt Mittelham. Allerdings: Aus Wut den Schläger zu werfen, das sei auch ihr schon passiert. „Da bin ich dann aber eher sauer auf mich. Dem Schläger ist dabei zum Glück noch nichts passiert.“
Dennoch hat Nina Mittelham immer Ersatzmaterial dabei. Auch in Tokio gehören drei Sätze Beläge und ein weiteres Holz dazu. Man weiß ja nie. Nur das mit dem Schulbuch, das lässt sie lieber bleiben.