Berlin. Viel dran ist nicht, aber das macht sie wertvoll: Theo Reinhardt gibt Einblicke in Konstruktion und Herstellung eines Bahnrades.

Viel dran ist eigentlich nicht. Keine Gänge zum Schalten, die Bremsen fehlen auch. Reduziert auf das Wesentliche sind die Zeitfahrräder, die den deutschen Bahnvierer bei den Olympischen Sommerspielen in Tokio um das Holz-Oval tragen. Und gerade deshalb sind sie so speziell. Alles ist optimiert, auf Höchstleistung getrimmt.

Eines steht natürlich im Vordergrund. „Der wichtigste Punkt ist, den Rahmen so aerodynamisch wie möglich zu bauen und eine sehr hohe Steifigkeit zu erreichen“, sagt Theo Reinhardt. Möglichst leicht soll das Gerät selbstverständlich auch sein, knapp sieben Kilogramm wiegt das Rad des Berliners, der zum Vierer gehört, der in Japan an den Start geht. Reinhardt (30) tritt auch im Madison an, wo er bei den vergangenen drei Weltmeisterschaften zwei goldene und eine bronzene Medaille gewann. Für dieses Zweier-Mannschaftsfahren nutzt er ein Rad, das einen klassischen Rennlenker hat. Und ein Vorderrad mit vier bis fünf großen Speichen.

Bahnrad: Lenker-Vorbau aus dem 3D-Drucker

Das sind zwei beträchtliche Unterschiede. Mit der Zeit-Maschine fährt er vorn wie hinten mit Scheibenrädern. „Das macht das Rad unagiler, es ist schwerer zu lenken, wenn der Wind gegen die Scheibe arbeitet“, erklärt Reinhardt. Der Lenker verändert die Position auf dem Gefährt, ist bei der Verfolgung im Vierer tiefer angebracht und mit einem Vorbau versehen, auf dem man eine aerodynamisch günstige Haltung einnehmen kann. „Dieser Vorbau wird für jeden individuell angepasst“, sagt Reinhardt. Und er wird in einem 3D-Drucker hergestellt. High Tech also, aber das gilt für das gesamte Rad.

Startet in Tokio: Bahnradfahrer Theo Reinhardt aus Berlin.
Startet in Tokio: Bahnradfahrer Theo Reinhardt aus Berlin. © picture alliance / Picture Alliance | Frank May

Dessen Produktion liegt in der Hand der FES in Berlin, dem Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten. Dort werden seit Jahrzehnten einige der weltweit besten Räder, Boote oder Schlitten konstruiert. Der Prozess ist enorm aufwendig, pro Olympia-Zyklus gibt es neue Geräte. „Durch die Entwicklungskosten werden die Räder sehr teuer“, weiß Reinhardt. Eine mittlere fünfstellige Summe kostet sein Vierer-Gefährt, das auch Athleten aus dem Ausland kaufen dürfen. Das ist eine Vorgabe des Weltverbandes UCI, die Chancengleichheit unter allen Sportlern gewährleisten soll. Doch nicht nur die Entwicklung schlägt sich im Preis nieder. Lenker, Rahmen, Sattelstütze – alles ist aus Karbon gefertigt. Selbst die Scheiben der Laufräder sind Spezialanfertigungen der FES, „extrem schmal gebaut“, sagt Reinhardt.

Er und seine Kollegen treten gehörig in die Pedale. Wie stark, zeichnet die spezielle Leistungsmesskurbel im Detail auf. In der Anfahrtsphase leisten die Vierer-Fahrer über 1000, in der Führung bei Spitzentempo etwa 600 Watt. An die zehn Meter kommen die Athleten mit einer Umdrehung. „Mit dieser Kurbel kann man alles auswerten, wir sehen auch, wie die Trittfrequenz ist und ob jemand Unruhe reinbringt.“ Ruhig, gleichmäßig und in einer Linie zu fahren, vor allem in den Kurven, ist besonders wichtig.

Olympia: Reifen bleiben ein Betriebsgeheimnis

Dabei helfen auch die Reifen. Kein Einheitsbrei, natürlich nicht. „Rollwiderstand und Reibung sind minimiert“, sagt Reinhardt: „Es gibt wie in der Formel 1 so viele verschiedene Reifenmischungen.“ Weicher, härter, unterschiedlich gewebt. Immer aber läuft das Rad ganz ruhig über die Bahn, alles ist so abgestimmt, dass man selbst bei den hohen Geschwindigkeiten um die 70 km/h kaum mehr spürt als das Brennen der eigenen Oberschenkel. Normal sind die Reifen 19 Millimeter breit, der Druck liegt bei 14 Bar. Aber hier kann sich vor den Spielen noch einmal etwas ändern, was jedoch Betriebsgeheimnis ist.

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Derart besonderes Material wie ein Zeitfahrrad für den Bahnvierer wissen die Trainer am liebsten gut gesichert. Zum Transport kommt es in passgenau ausgeschäumte Koffer. Sonst werden die Räder in Frankfurt/Oder im Stützpunkt gelagert. „Dass man die mit nach Hause nimmt, ist nicht gern gesehen“, sagt Theo Reinhardt. Dazu sind sie einfach zu kostbar, obwohl auf den ersten Blick nicht viel dran ist.