Berlin. . Diskuswerfer Robert Harting arbeitet nach seinem Kreuzbandriss an seinem Comeback. Im Interview spricht er über seine Pause, seine Zukunft und Doping.

Im September 2014 erlitt Robert Harting (31) einen Kreuzbandriss im linken Knie. Seitdem arbeitet der Diskus-Olympiasieger, Welt- und Europameister an seinem Comeback. Das große Ziel des Berliners, der 2012, 2013 und 2014 zum Sportler des Jahres in Deutschland gewählt wurde, sind die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro.

Herr Harting, Sie tragen ein T-Shirt mit der Aufschrift „Rio de Janeiro“. Wir deuten das als Zeichen, dass Sie schon voller Vorfreude in Richtung Olympia 2016 blicken.

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Robert Harting: Das stimmt. Aber für mich sind Olympische Spiele gar nicht so das Thema, für mich ist Olympiasieger das Thema. Das ist viel schöner, weil Olympiasieger eine internationale Währung ist. Das ist so, als hätte man einen Koffer mit einer Million Dollar. Physisch nicht vorhanden, jedoch wirkt es in jedem Land ähnlich.

Eine Million bekommt man aber als Olympiasieger nicht.

Harting: (lacht) Schön wär’s aber. In jedem Land hat der Olympiasieg Eigenschaften, die zu einem guten Status führen oder für hohes Prestige sorgen. In manchen Ländern kann man damit sogar sehr viel Geld verdienen, in manchen...

...wie Deutschland...

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Harting: ...leider auch nicht. Der Olympiasieger ist ein universelles Sprachmittel, als wenn du jede Sprache der Welt sprechen würdest.

Bereits 2008 in Peking und 2012 in London waren Sie bei den Spielen dabei. Was ist das Faszinierende und Besondere an Olympia?

Harting: Die Dimension des sportlichen Zusammentreffens ist supergeil. Du weißt ganz genau: Diejenigen, die hier sind, sind die Besten der Besten aus allen Ländern in allen Sportarten und Disziplinen. Von Sprachen unabhängig finden hier Vergleiche statt in einer großen Dimension. Das ist für mich die Grundform der Völkervereinigung und der ideelle und spirituelle Wert der Olympischen Spiele.

Was ist nach Ihrer Verletzungspause denn Ihr Ziel in Rio?

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Harting: Es ist ein großer Unterschied zu 2012. Vor London habe ich eine Bestimmung gefühlt. Ich habe mir den Kopf zermartert: Es muss klappen! Dein ganzes Leben hast du dafür geackert! Wenn du das jetzt nicht schaffst, dann machst du irgendwas falsch! Die Sinnfrage schwebte über allem. Diese Sinnfrage habe ich jetzt nicht mehr.

Sondern?

Harting: Jetzt ist es so, dass ich das Gefühl des Sieges gerne wieder haben möchte, na klar. Ich bin jetzt aber in der Lage, es schaffen zu können, nicht mehr, es schaffen zu müssen. Ich muss nicht mehr Gold holen. Das ist der große Unterschied. Nicht, weil ich es schon mal geschafft habe, sondern weil ich das Ganze mit einer anderen Denkweise angehe. Ich werde mich danach nicht fünf Jahre lang selbst hassen, weil ich es nicht geschafft habe. Das wäre 2012 mit Sicherheit der Fall gewesen. Es ist echt widerlich, wenn du dich selbst nicht ertragen kannst.

Heute geht es Ihnen besser?

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Harting: Ja, meine Gedanken sind viel feingeistiger und weitreichender geworden. Ich bin reflektierter und entspannter geworden – und ich weiß, dass ich 2018 mit 33 Jahren aufhöre und dass das dann nur knapp ein Drittel meines Lebens war. Aber was ist danach?

Treibt Sie die Frage, was nach Ihrer sportlichen Karriere kommen wird, schon jetzt sehr um?

Harting: Das ist total eklig. Ich bin bisher im Kopf immer vier, fünf Jahre voraus gewesen. Mit 18 wusste ich, du musst mit 23 den oder den Erfolg haben, so und so weit musst du werfen, um in etwa diese Wirtschaftlichkeit zu haben und musst dir so und so viel beiseitelegen. Ich hatte immer einen Plan, aber auf einmal geht das nicht mehr. Meine Identität wird dann eine andere sein, weil es den ganzen gottverdammten Tag nicht mehr nur um den Sport geht.

Insofern gibt der Sport Ihnen jetzt noch ein festes Lebensgerüst.

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Harting: Das stimmt, doch danach wird ein Loch entstehen. Man muss in seiner Identität einen neuen Anker finden, weil der dann fehlt. Das kann ich nicht im Vorhinein planen, das ist Neuland für mich. Ich habe mich schon viel damit beschäftigt, auch in Gesprächen mit einem Psychologen.

Sie arbeiten mit einem Sportpsychologen zusammen?

Harting: Das hat mit dem Sport gar nichts zu tun, da geht es eher um Bereiche wie Selbstfindung. Im Sport kannst du auch nicht auf fünf Jahre im Voraus planen, man kennt aber zumindest das Ziel. Doch jetzt ist das Ziel unbekannt, du kannst nicht mehr so methodisch wie im Sport vorgehen.

Sind Sie mit Ihren Zukunftsplanungen schon weitergekommen?

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Harting: Nicht wirklich. Ich stelle mir so viele Fragen: Wer bin ich dann? Was wird mal aus mir? Ein krasser Unternehmer? Ein Befehlsempfänger? Ein wilder Denker oder Künstler? Oder habe ich so einen langen Bart und mache den ganzen Tag überhaupt nichts? Wahrscheinlich werde ich mich erst mal treiben lassen und hier und da reinschnuppern.

Lamine Diack, Ex-Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF, steht wegen Korruption am Pranger. Einige Köpfe aus der internationalen Funktionärsriege sind gerollt. Sie als einer, der oft eine lasche Anti-Doping-Politik kritisiert hat, dürften sich bestätigt fühlen.

Harting: Ich freue mich natürlich sehr, weil es ein Erfolg ist, was da jetzt alles rausgekommen ist. Viele Medien sehen das leider nicht so. Sie hacken nun auf der ganzen Sportart herum, was zu einfach ist. Wir Athleten haben als Experten doch schon so lange was gemerkt. Wir sehen das ja, wie sich bei einem die Haut verändert, wie er sich bewegt. Außer mir haben viele meiner Kollegen Interviews gegeben, in denen sie erklärten, dass sie dem einen oder anderen nicht trauen, dass er betrügt. Das wurde ihnen als Neid ausgelegt. Jetzt entschuldigt sich bei ihnen niemand. Das ist krass.

Wer sollte sich entschuldigen?

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Harting: Ich erwarte eigentlich noch eine Entschuldigung von vielen Funktionären, wie Clemens Prokop (Anm.: Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes) oder Dagmar Freitag (DLV-Vizepräsidentin), die über einige Ecken herum Einfluss nehmen wollten, wie ich über Lamine Diack geredet habe. Weil das nicht gut für den Leichtathletik-Verband sei. Und jetzt ist Diack schuldig hoch zehn.