Essen. Journalisten sollen aufschreiben, was ist. Es bedarf einer aufrichtigen Empathie für den Sport. Doch zum Beobachten gehört ebenso der kritische Blick auf die Auswüchse des modernen Sports. Ein Kommentar von Dirk Graalmann zu unserer Berichterstattung über die Olympischen Spiele.
An dieser Stelle könnte ein Kommentar folgen über die ungebrochene Faszination der Olympischen Spiele, das unvergleichliche Treffen der weltbesten Athleten auf engstem Raum, die Kraft der verborgenen Sensationen, den temporären Ruhm der unbekannten Athleten, die plötzlich die (verdiente) Beachtung bekommen, ins Rampenlicht geschubst werden oder auch über das Nebeneinander von Amateuren und Multi-Millionären, die 350 Tage im Jahr in unterschiedlichen Welten leben, aber die 15 Tage lang die Sehnsucht nach olympischen Ehren eint. All’ das wäre denkbar. All’ das wäre nicht falsch.
Ebenso gut aber könnte hier, mit reinem Gewissen und ohne geheuchelte Empörung, ein Kommentar stehen über den Verrat an der Idee der Olympischen Spiele der Neuzeit, über den Wahn, die Großmannssucht, den Gigantismus, die Schacherei um die Austragung der Spiele samt ihrer Begleiterscheinungen Kungelei und Korruption – und natürlich über einen Sport, der auf seiner nimmermüden Rekordjagd in manchen Teilen und Disziplinen mehr und mehr zum Wettkampf der Mediziner und Schamanen wird, die sich dem Doping, ergo dem Betrug, verschrieben haben.
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Die Frage für uns Journalisten lautet: Ist es per se naiv, über Olympia zu berichten? Sind wir gutgläubig, gar naiv, wenn wir schreiben, berichten über Siege und Rekorde, insbesondere in Sportarten, bei denen das Recht auf Unschuldsvermutung nicht einmal mehr papierenen Wert hat? Lassen wir uns gar missbrauchen für eine Show, die sinn-entleert ist, deren Grundlage nicht der sportlich faire Wettkampf ist, sondern die profit-getriebene Belustigung der Masse? Soll man darüber wirklich berichten? Darf man das?
Beobachter der Veranstaltung
Journalisten sollen aufschreiben, was ist. Sie sind Beobachter dieser Veranstaltung, aber ganz persönlich sicher auch den Anfechtungen dieses Faszinosums ausgesetzt. Weil es einer aufrichtigen Empathie für den Sport bedarf, eines Blickes für die Anstrengungen und Leistungen der Athleten. Doch zum Beobachten gehört ebenso, gleichwertig, nicht nachrangig, der kritische Blick auf die Auswüchse des modernen Sports, die angeprangert werden, nicht verschämt, sondern deutlich.
Erst eine derartige Berichterstattung trägt dazu bei, dass sich die Gesellschaft, die Öffentlichkeit, auch die Politik mit diesem Thema auseinander setzt. Wenn laut einer aktuellen Umfrage drei von vier Deutschen davon überzeugt sind, dass bei den Olympischen Spielen gedopt wird, ist das auch Ausdruck der breiten Wirkung, die mediale Berichterstattung hinterlässt.
Im Journalismus gibt es einen guten Grundsatz: Die Reporter werden nichts schön reden – und sie werden nichts weglassen. Sie werden berichten.