London. Mark Cavendish ist beim Straßenrennen am Samstag die große Medaillenhoffnung des Gastgebers. Ein großer Konkurrent ist der Rostocker André Greipel. Aber Cavendish ist der Beistand der Queen sicher.
Der Mann hat Google Street View in seinem Kopf. So sieht es jedenfalls Erik Zabel, der sechsmalige Gewinner des Grünen Trikots bei der Tour de France. Der Mann mit der eingebauten App im Gehirn heißt Mark Cavendish und ist am Samstag beim Straßenrennen Britanniens große Hoffnung auf das erste Gold bei den XXX. Olympischen Sommerspielen in London. Im Auftrag Ihrer Majestät will der 27-jährige Radprofi von der Isle of Man nach 250 Kilometern auf der Zielgeraden nahe des Buckingham Palace seinen unnachahmlichen Schlussspurt ansetzen und dem neuerdings dem Radsport völlig verfallenen Volk der Briten den Olympiasieg bescheren.
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Cavendishs außergewöhnliche Gabe, sich jede Kleinigkeit der Streckenführung einzuprägen, soll ihm ein weiteres Mal zum Erfolg verhelfen. Ob ein Kanaldeckel auf der linken Straßenseite zur Gefahr werden könnte, ob und wie stark vor einer Kurve das Tempo gedrosselt werden muss, Cavendish hat alles abgespeichert. In einem Spurt um den Sieg und im olympischen Rennen um das Gold muss eben alles passen.
Queen könnte ihre Tea Time verschieben
Und wenn es am Samstag, so gegen 16.15 Uhr englischer Zeit, wirklich um die Medaillen geht, dann wird Königin Elizabeth II. vielleicht ihre Tea Time ein wenig verschieben und auf dem Balkon des Buckingham Palace das tun, was alle Briten an diesem Samstag tun: Cavendish die Daumen drücken. Vielleicht wird sie aber auch nur heimlich hinter der Gardine stehen, um wenigstens einen Blick auf das größte Spektakel der Olympischen Spiele in London zu erhaschen. Her Majesty wird jedenfalls seit neuestem nachgesagt, sie habe neben ihrer Leidenschaft für Corkies und Pferden jetzt auch eine Hingabe für Drahtesel entwickelt.
Wie das Oberhaupt so das Volk oder eher umgekehrt. Seitdem Bradley Wiggins vor nicht einmal zwei Wochen als erster Engländer auf den Champs Elysées in Paris als Sieger der Tour de France geehrt wurde, ist bei den Inselbewohnern das Radsport-Fieber ausgebrochen. Vieles, auch die weitgehend unkritische Berichterstattung über den immer noch alles andere als dopingfreien Sport erinnert an die Zeit, als Deutschland 1997 nach dessen Triumph bei der Tour de France zum Jan Ullrich-Land wurde. In England gibt es jedoch so strenge Pressegesetze, dass Doping-Vorwürfe mit hohen Geldstrafen geahndet werden. Wohl gemerkt, bis auf eine verpasste Trainingskontrolle im April 2011 gibt es keine Doping-Hinweise gegen Mark Cavendish.
Greipel ist ein großer Konkurrent
Bei der Tour de France musste sich Cavendish mit einer ungewohnten Rolle im britischen Sky-Team begnügen. Während in den Vorjahren alles auf „Cav“, wie er in der Radsport-Szene genannt wird, ausgerichtet war, ging es bei der Tour 2012 nur um das Gelbe Trikot für Wiggins. So war Cavendish in den ersten zwei Tour-Wochen auf sich allein gestellt. Während sein größter Konkurrent, der Rostocker Andre Greipel, im Sprint von fünf Helfern seines Lotto-Teams unterstützt wurde, musste sich Cavendish ein Hinterrad eines Rivalen suchen, um dann im richtigen Moment aus dem Windschatten zu treten und zum Sieg zu spurten.
Während Greipel dreimal siegte und so auch seine Medaillenambitionen für das olympische Rennen unterstrich, gelang Cavendish zunächst nur ein Erfolg. Aber in den letzten drei Tour-Tagen zeigte er dann, zu was er fähig ist. Den sicheren Tour-Triumph vor Augen machte Wiggins für seinen Teamkollegen Tempo und Cavendish ließ die Konkurrenz gleich zweimal im Vergleich zu ihm wie Hobbyfahrer aussehen. „Wenn ich 200 Meter vor dem Ziel vorne bin, kann mich niemand besiegen“, das ist nur einer von vielen Sprüchen des Mark Cavendish, bei dem Selbstsicherheit und Arroganz nahtlos ineinander übergehen. Aber seine Erfolge wie der Gewinn des Weltmeister-Titels 2011 oder seine 23 Etappensiege bei der Tour sprechen für sich.
Millar gehört wieder zum britischen Team
Und so heißt das Motto des britischen Teams für das olympische Straßenrennen am Samstag „Cav for Gold“. "Wir haben einen Plan A, einen Plan B und einen Plan C. Alle besagen, wir tun alles für einen Sprintsieg für Mark“, sagt sein schottischer Kollege David Millar, der trotz einer zweijährigen Dopingsperre wieder zum britischen Team zählt. Es wird ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Ausreißern und dem Feld. Doch weil bei Olympia nur fünf Fahrer zu einer Mannschaft gehören, ist es schwieriger für das Peloton, die Flüchtigen einzuholen und so den Showdown für die Supersprinter vorzubereiten. Mark Cavendish, der Fahrer Ihrer Majestät, ist bereit dafür.